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Gesundheits- und Sozialpolitik

COVID-19 und die Folgen für die Versorgung in Alten- und Pflegeheimen

27.05.2020 Seite 15
RAE Ausgabe 6/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 6/2020

Seite 15

„Das Pflegepersonal hat sich sehr bemüht, das Fehlen des Besuchs auszugleichen“, sagt Bernd Zimmer, Wuppertaler Geriater und Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein. © Jochen Rolfes
Pünktlich zum Muttertag hat die nordrhein-westfälische Landesregierung das Besuchsverbot in stationären Alten- und Pflegeeinrichtungen gelockert. Die Heime gehören zu den Sorgenkindern der Corona-Pandemie. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner haben aufgrund ihres Alters und möglicher Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI).

von Jocelyne Naujoks

Das generelle Besuchsverbot in den stationären Alten- und Pflegeeinrichtungen sei eine der Maßnahmen gewesen, die am meisten weh getan haben, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann auf einer Pressekonferenz Anfang Mai. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Alten- und Pflegeheime haben nach seinen Worten besonders unter dem Kontaktverbot gelitten. Deshalb sei es so wichtig, Besuche unter Einhaltung der notwendigen Schutzmaßnahmen wieder zu ermöglichen, sagte Laumann. Soziale Isolation könne erhebliches seelisches Leid und körperliche Schäden verursachen, so der NRW-Gesundheitsminister. Ein Expertengremium hatte der Landesregierung in seinem Bericht zur Aufhebung des generellen Besuchsverbots geraten. Bei einem Ausbleiben von Besuchen bestehe die Gefahr, dass Apathie, Depressionen und Suizidgedanken entstehen oder zunehmen, so die Fachleute.

In Nordrhein-Westfalen leben laut Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) rund 170.000 pflegebedürftige Menschen in 2.200 stationären Pflegeeinrichtungen. Anfang Mai waren in 116 Einrichtungen in NRW 411 Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Coronavirus infiziert. Es starben 549 Heimbewohner. 382 Pflegerinnen und Pfleger in 144 Einrichtungen wurden positiv auf das Virus getestet. Die Zahlen der infizierten Bewohner und Pflegepersonen gingen bis Mitte Mai 2020 tendenziell zurück.
Seit dem 9. Mai gilt: Bewohner dürfen bis zu zwei Besucher in separaten Räumen oder im Außenbereich des Gebäudes empfangen. Alle Besucher werden registriert und müssen Fragen zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand beantworten. Die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts müssen bei allen Besuchen berücksichtigt werden. Die zusätzlichen Kosten, die den Heimen durch die Corona-Pandemie entstehen, werden laut Laumann von der Pflegeversicherung getragen. Darunter falle zum Beispiel auch Schutzbekleidung für die Besucher.

Sorgen nehmen und informieren

Die ärztliche Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner in den Alten- und Pflegeheimen sei auch seit Beginn der Corona-Krise zu jeder Zeit sichergestellt gewesen, sagte Bernd Zimmer, Facharzt für Allgemeinmedizin und Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo). Die Kollegenschaft habe versucht, die Zahl der betreuenden Ärztinnen und Ärzte in den Heimen zu minimieren. „Ärztinnen und Ärzte, die viele Bewohner eines Heimes betreuen, haben – das Einverständnis der Patientinnen und Patienten vorausgesetzt – für die Zeit der Krise auch die ärztliche Versorgung der Patienten ihrer Kollegen übernommen“, sagte Zimmer. Außerdem stehen die Ärzte in engem Kontakt mit den Familien. „Hier gilt es, den Angehörigen die Sorge zu nehmen und zu informieren“, so der Geriater.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein rät Ärztinnen und Ärzten außerdem, den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zu reduzieren und wenn möglich durch eine Telefon- oder Videokonsultation zu ersetzen. Bei Neuaufnahmen müsse sofort ein Labortest auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus veranlasst werden, so die KV Nordrhein.

Er halte eine regelmäßige Testung auf das Coronavirus bei Bewohnerinnen und Bewohnern und Pflegepersonal für sehr sinnvoll, sagte Zimmer, der seit vielen Jahren Patienten in mehreren Heimen in Wuppertal ärztlich begleitet. In wenigen anderen Bereichen sei der enge körperliche Kontakt so groß wie in der stationären Pflege und damit die Infektionsgefahr hoch. „Eine systematische Testung in den Pflegeeinrichtungen würde auch dazu führen, die Alten- und Pflegeheime wieder als unbeschwerte Orte des Miteinanders wahrzunehmen“, erklärt Zimmer. Auch unter den Heimbewohnern gebe es symptomarme bis symptomlose Verläufe, die durch Tests entdeckt werden können.

Inwieweit Bewohner und Personal aktuell bereits getestet würden, unterscheide sich von Einrichtung zu Einrichtung, so Zimmer. Gleiches gelte für die Schutzmaßnahmen. Während einige Heime von Kitteln bis zu FFP3-Masken über alle Schutzmittel verfügten, seien andere nur unzureichend mit Schutzausrüstung ausgestattet. „Die Versorgung der Pflegeheime verlief insbesondere zu Beginn der Ausbreitung des Virus sehr schleppend. In manchen Einrichtungen gab es nicht einmal genügend Desinfektionsmittel“, sagte Zimmer. Die Heime hätten dennoch Enormes geleistet. „Es stellt sich die Frage, wie die Lage in den Heimen wäre, wenn sie die nötige Schutzausrüstung gehabt hätten“, so der ÄkNo-Vizepräsident. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte Ende April vorgeschlagen, eine ärztliche Verordnung von Masken  für Risikogruppen zu prüfen. Hier gelte aber auch, dass medizinisches Personal weiterhin vorrangig mit Schutzmasken versorgt werden müsse, so die Fraktion in ihrem Diskussionsvorschlag.

Die Lockerung des Besuchsverbots hält Zimmer für wenig problematisch. „Überall an den Eingängen der Einrichtungen gibt es Desinfektionsmittel, die Besucher bekommen Masken.“ Die Bevölkerung habe verstanden, dass die Bewohner zu einer hochvulnerablen Gruppe gehören, sagt Zimmer. „Jeder, der ein Heim betritt, trägt die Verantwortung für dessen Bewohner und Angestellte. Ich denke, dessen sind sich alle bewusst.“