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Die neue Weiterbildung kommt

23.01.2020 Seite 12
RAE Ausgabe 2/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2020

Seite 12

Voraussichtlich im Juli 2020 tritt in Nordrhein eine neue Weiterbildungsordnung (WBO) in Kraft. Kernpunkte sind mehr Flexibilität für den Ärztenachwuchs, eine engere Kommunikation zwischen Befugten und Weiterzubildenden und eine vertiefte Kooperation von Weiterbildungsstätten. Mit dem elektronischen Logbuch wird die Weiterbildung digital dokumentiert werden.

von Bülent Erdogan

Wenn Karl-Dieter Menzel in den vergangenen Jahren im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft auf den Beratungstagen für junge Kammermitglieder zu Ärztinnen und Ärzten am Beginn ihrer Weiterbildung sprach, dann gehörte ein praktischer Rat zu seinem Standardrepertoire: „Auch wenn Sie mit der Tätigkeit an Ihrer Weiterbildungsstelle nicht zufrieden sind, halten Sie mindestens sechs Monate aus“, mahnte Menzel, Leiter der Weiterbildungsabteilung der Ärztekammer Nordrhein, bei solchen Anlässen. „Denn nur dann können Sie sich diesen Abschnitt auch als Weiterbildungszeit anrechnen lassen.“ Künftig werden sich Weiterzubildende bereits nach drei Monaten (bei Vollzeittätigkeit) nach einer neuen Weiterbildungsstätte umschauen können, ohne diese Zeit abschreiben zu müssen.

Möglich macht das die neue Weiterbildungsordnung (WBO) für Nordrhein (siehe auch unseren Bericht in Heft 1/2020, S. 12 ff), die vorbehaltlich der Genehmigung durch das NRW-Gesundheitsministerium im Juli 2020 in Kraft treten wird. Vor etwa 300 nordrheinischen Weiterbildungsbefugten verdeutlichte Professor Dr. Susanne Schwalen, Geschäftsführende Ärztin der Ärztekammer Nordrhein, kürzlich in Düsseldorf die Notwendigkeit der von Befugten einmal alle sieben Jahre zu absolvierenden Fortbildung, die seit Sommer 2018 unter dem Titel „Verantwortung als Weiterbilder“ stattfindet. Schwalen: „Weiterbilder übernehmen Verantwortung und müssen deshalb auch alle formalen Voraussetzungen der Weiterbildung kennen.“ Gemeinsam mit Privatdozent Dr. Hansjörg Heep, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Ausschusses „Ärztliche Weiterbildung“, und Dr. Arndt Berson, MHBA, Vorstandsmitglied und einer der beiden Vorsitzenden der Weiterbildungskommission der Ärztekammer Nordrhein, stellten Schwalen und Menzel bei der Veranstaltung wesentliche Neuerungen vor, die sich mit der umfassenden Revision der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten zu Fachärzten im Rheinland und bundesweit ergeben werden.

Unverändert geblieben ist der übergeordnete Zweck, den die Ärzteschaft mit der in Selbstverwaltung organisierten Weiterbildung für eine hochstehende Patientenversorgung verfolgt: „Ziel der Weiterbildung ist der geregelte Erwerb festgelegter Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten, um nach Abschluss der Berufsausbildung besondere ärztliche Kompetenzen zu erlangen. Die Weiterbildung dient der Sicherung der Qualität ärztlicher Berufsausübung“, heißt es sowohl in der aktuellen Weiterbildungsordnung als auch im neuen Regelwerk.

„Ziel der Weiterbildung ist der geregelte Erwerb festgelegter Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten, um nach Abschluss der Berufsausbildung besondere ärztliche Kompetenzen zu erlangen. Die Weiterbildung dient der Sicherung der Qualität ärztlicher Berufsausübung. „
§ 1 Weiterbildungsordnung (alt und neu)

Doch es gibt auch zahlreiche Neuerungen:

  1. Kompetenzen statt Zeiten und Zahlen: Grundgedanke ist eine Weiterbildung, die die „Kognitive und Methodenkompetenz“ (Kennen) und die „Handlungskompetenz“ (Erfahrungen und Fertigkeiten) höher bewertet als das sture Ableisten von Zeiten oder einer ganz bestimmten Zahl an Prozeduren. Für bestimmte Kompetenzen sind weiter Richtzahlen vorgesehen, zum Beispiel 50 Hausbesuche in der Allgemeinmedizin oder 400 B-ModusSonographien des Abdomens und Retroperitoneums einschließlich der Nieren und ableitender Harnwege in der Inneren Medizin. Schwalen: „Die Kompetenzen werden unterteilt in ‚Kognitive und Methodenkompetenz‘ sowie in ‚Handlungskompetenz‘. Im Rahmen der Kognitiven und Methodenkompetenz sollen Information abgerufen, dargestellt und im Zusammenhang interpretiert werden können. Unter der Handlungskompetenz werden die Inhalte beschrieben, in denen der Weiterzubildende Erfahrungen und Fertigkeiten bis hin zur eigenverantwortlichen Umsetzung erwerben soll.“ Geleistete Abschnitte werden mit der neuen WBO schon ab drei Monaten anerkennungsfähig werden, bislang gilt grundsätzlich eine Untergrenze von sechs Monaten.
  2. Das elektronische Logbuch: Ein Kernstück der Reform ist die Dokumentation per elektronischem Logbuch (eLogbuch), das Heep auf der Veranstaltung in Düsseldorf in den Grundzügen vorstellte. Das eLogbuch wird vom Arzt geführt, der sich in Weiterbildung befindet. Der Weiterbilder muss über den Fortschritt seines angehenden Facharztkollegen in jedem Fall einmal jährlich im Logbuch Auskunft geben.

    Zugriff auf das Logbuch erhält der Weiterbilder über eine Einladungsfunktion seines Assistenten. Der Weiterbilder kann Eintragungen des Weiterzubildenden nicht löschen, er kann aber seine eigenen Anmerkungen machen (zum Beispiel, dass eine Kompetenz noch nicht erworben wurde oder eine Richtzahl noch nicht erreicht wurde). Der ursprüngliche Eintrag des Weiterzubildenden bleibt (durchgestrichen) nachvollziehbar. Für die Zulassung zur Facharztprüfung („kollegiales Fachgespräch“) ist es kein K.o.-Kriterium, wenn der Weiterbilder in einzelnen Punkten darstellt, dass ein Assistent die von ihm geforderten  Kompetenzen lediglich „unter Anleitung“ und damit nicht selbstständig erbringen kann. „Allerdings kann dies dann schon einen Anlass zu tieferen Fragen der Prüfer in den jeweiligen Kompetenzen geben“, sagte Menzel. „Größere Abweichungen bei den Richtzahlen können aber eine Prüfungszulassung verhindern.“

    Ein Wechsel von alter zu neuer Weiterbildungsordnung wird auch in Zeiten des eLogbuchs möglich sein. Laut dem Softwareanbieter des eLogbuches wird auch der Gebietswechsel nach neuer WBO möglich sein, so Heep: „Wenn zum Beispiel ein Assistent nach neuer Weiterbildungsordnung die Fächer wechselt, werden die anrechenbaren Inhalte des alten in das eLogbuch des neuen Faches übertragen werden. Mittelfristig ist geplant, dass vor das Logbuch eine oder zwei Seiten vorangestellt werden, auf denen der Befugte seine Einschätzung und die wesentlichen Grunddaten der Weiterbildung einstellen kann und so eines Tages auf ein Zeugnis verzichtet werden kann.“

    Schon heute zeichnet sich ab, dass der Zeitaufwand, den Befugte mit der Dokumentation des Weiterbildungsfortschrittes ihrer angehenden Facharztkollegen haben werden, steigen wird. Hintergrund ist die beschriebene Staffelung der Handlungskompetenzen (siehe oben), über die der Weiterbilder auf dem eLogbuch Auskunft geben muss. Für Heep wird das früher oder später eine neue Entwicklung mit sich bringen: „Ich gehe davon aus, dass Befugte in größeren Kliniken aufgrund des steigenden dokumentarischen Aufwands, der mit dem eLogbuch entstehen wird, dazu übergehen werden, gemeinsame Befugnisse mit individuellen Betreuungsschwerpunkten zu definieren.“

    Betrieben wird die eLogbuch-Webanwendung durch die Bundesärztekammer. Sie stellt die aus Hard- und Software bestehende Infrastruktur zur Verfügung und ermöglicht der mit der Software-Entwicklung beauftragten Firma Steadforce die Konfiguration und Wartung der eLogbuch-Webanwendung. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten erfolgt nach den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung und der landesspezifischen Datenschutzbestimmungen.
 
  1. Fachlich empfohlene Weiterbildungspläne sollen Einheitlichkeit schaffen: Auf Bundesebene arbeiten die Landesärztekammern in Gesprächen mit den Gesellschaften großer Fachgebiete derzeit an sogenannten Fachlich Empfohlenen Weiterbildungsplänen, kurz FEWP. „Damit sollen die geforderten Kenntnisse in den einzelnen Kompetenzblöcken genauer definiert werden“, sagte Schwalen. „Diese Pläne sollen dann die Grundlage für die Curricula an Ihrer Klinik oder in Ihrer Praxis bilden.“
  2.  Stärkung der ambulanten Weiterbildung: Mit der neuen WBO soll auch dem Trend zur ambulanten Weiterbildung Rechnung getragen werden, wie er seit Jahren zu beobachten ist, etwa in der Augenheilkunde, aber auch in Fächern, die bisher eher als stationäre Domäne wahrgenommen wurden. Heep: „Unheimlich viel an Inhalten lässt sich schon heute mit niedergelassenen Kollegen gemeinsam vermitteln.“ Das gelte auch für sein Fach: „Auch in der Orthopädie und Unfallchirurgie kann man drei Viertel und mehr aller geforderten Kompetenzen inzwischen ambulant lehren“, sagte der Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsmedizin Essen, St. Josef Krankenhaus Essen-Werden.
  3. Mehr Transparenz für den fachärztlichen Nachwuchs: Künftig werden auf der Homepage der Ärztekammer Nordrhein die Befugnisse der Weiterbilder mit den Kompetenzblöcken und den dafür benötigten Mindestweiterbildungszeiten veröffentlicht werden. Menzel: „Damit soll sich der Nachwuchs ein einfaches Bild machen können, ob er die angestrebten Kompetenzen und Zeiten in der von ihm gewünschten Weiterbildungsstätte auch erwerben kann.“ Die Landesärztekammern streben eine möglichst bundesweit einheitliche Darstellung der Kompetenzen und absolvierbaren Zeitabschnitte beim jeweiligen Befugten an, so Menzel. Zu weiterer Klarheit soll auch das jährliche Feedbackgespräch mit dem Weiterbildungsbefugten beitragen.
  4. Kooperation wird gefragter denn je sein: Die bisherigen gemeinsamen Basis-Weiterbildungen in verschiedenen Gebieten wird es mit der neuen WBO nicht mehr geben. Gleichwohl gibt es gemeinsame Inhalte in den Gebieten, die auch bei Befugten des gleichen Gebietes absolviert werden können. So müssen für den Facharzt Innere Medizin mindestens 24 Monate Weiterbildung in zwei anderen Facharztkompetenzen des Gebiets abgeleistet werden (ähnliches ist auch in der Chirurgie möglich). Verfügt eine Weiterbildungsstätte in der Inneren Medizin nicht über drei Befugnisse, so muss sie auf Partner zurückgreifen; Rotationen und Verbundweiterbildungen werden also an Bedeutung gewinnen. Dies sei auch sinnvoll, so Menzel, denn: „Der Nachwuchs soll auch künftig die Chance bekommen, das breite Spektrum eines Gebietes kennenzulernen.“
  5. Berufsbegleitende Zusatzweiterbildungen und „Versenkbarkeit“ von Zeiten: Insgesamt wird es in Nordrhein 56 Zusatzweiterbildungen (ZWB) geben, von denen 26 berufsbegleitend absolviert werden können. „Nicht mehr möglich sein wird indes das ‚Versenken‘ von Zeiten einer Zusatzweiterbildung durch bereits erbrachte wesensgleiche Zeiten in der Facharztweiterbildung“, sagte Heep. Ist in der neuen WBO also eine Zeit von 24 Monaten aufgeführt, müssen diese 24 Monate auch zusätzlich absolviert werden. Die Prüfung in der ZWB ist erst nach erworbener Facharztkompetenz möglich. Heep: „Ausnahmen sind die Sportmedizin und die Notfallmedizin: Diese Zusatzweiterbildungen können Sie schon während Ihrer Facharztweiterbildung machen, allerdings müssen Sie sich bereits zwei Jahre in Weiterbildung befinden.“
  6. Facharzt nach alter oder neuer Weiterbildung werden: Die Übergangsfristen mit dem Inkrafttreten der neuen WBO werden in Nordrhein sieben Jahre für den Facharzt und drei Jahre für einen Schwerpunkt oder für die Zusatz-Weiterbildungen betragen. Angehende Fachärzte haben aber auch die Möglichkeit, auf die neue Ordnung umzusteigen. „Es ist zu erwarten, dass Weiterzubildende diese Option auch nutzen werden, da die neue WBO auf Kompetenzen abstellt und eben nicht mehr auf starre Zeitvorgaben“, sagte Menzel: „Unsere Bitte ist: Nehmen Sie als Weiterbilder Ihre Verantwortung wahr und prüfen, ob Sie die fachliche Eignung der jungen Kollegin oder des Kollegen guten Gewissens im eLogbuch und dem Zeugnis bestätigen können.“
 
  1. Kammern in Übergangsphase auf vollständige Zeugnisdokumentation angewiesen: Die parallele Geltung von alter und neuer WBO über einen Übergangszeitraum ab Mitte 2020 steigert die Bedeutung des Weiterbildungszeugnisses noch einmal zusätzlich, wie Dr. Arndt Berson, Vorstandsmitglied und einer der beiden Vorsitzenden der Weiterbildungskommission der Ärztekammer Nordrhein, deutlich machte. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Weiterzubildender von der alten auf die neue Ordnung umsteigen möchte. Berson appellierte an die weiterbildenden Kolleginnen und Kollegen, in ihren Zeugnissen einen kurzen Überblick über das Leistungsspektrum und die Patientenklientel der Weiterbildungsstätte zu geben und die Daten über den Weiterzubildenden und dessen erbrachte Weiterbildungsinhalte möglichst vollständig im Zeugnis zu vermerken, zum Beispiel, ob eine Weiterbildung in Teilzeit erfolgte. „Wir wünschen uns auch detaillierte Angaben zu Rotationen und Stationen, zu absolvierten Zeiten auf der Intensivstation, der Teilnahme am Rettungsdienst, zu geleisteten Zeiten in der Notaufnahme oder der Arbeit im Labor.“ Schließlich sollte der Befugte im Zeugnis in jedem Fall auch seine Einschätzung zur fachlichen Eignung des ärztlichen Nachwuchses äußern, so Berson. „Anders als in einem Arbeitszeugnis dürfen Sie im Weiterbildungszeugnis auch Ihre Auffassung zum Ausdruck bringen, dass die Kollegin oder der Kollege noch nicht über die erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten verfügt, eigenverantwortlich im Fach tätig zu sein“, sagte der Kempener Allgemeinmediziner. Bei geteilten Befugnissen müssten alle Befugten das Zeugnis unterschreiben.
„Haben Sie noch etwas Geduld, bevor Sie Anträge auf Erteilung von Befugnissen nach neuer Weiterbildungsordnung stellen.“
  1. Übergangsfrist für Weiterbildungsbefugnisse: Die nach aktueller WBO erteilten Befugnisse stehen unter einem temporären Bestandsschutz. Es gilt das Datum, das im Befugnisbescheid steht. Menzel richtete eine dringende Bitte an die Weiterbildungsbefugten: „Haben Sie noch etwas Geduld, bevor Sie Anträge auf Erteilung von Befugnissen nach neuer Weiterbildungsordnung stellen.“ Die entsprechenden Formulare werden aller Voraussicht nach erst im Sommer 2020 vorhanden sein. Menzel: „Dann wird uns noch genügend Zeit bleiben, um die Befugnisse an die neue Weiterbildungsordnung anzupassen.“

Die Gesamtfassung des Entwurfs der neuen Weiterbildungsordnung soll in Kürze online gestellt werden, sagte Menzel. Mit Blick auf den gewachsenen Umfang des neuen Regelwerks hatte er diesmal für die Weiterbildungsbefugten einen praktischen Rat parat: „Bevor Sie sich die neue Weiterbildungsordnung ausdrucken, denken Sie daran: es sind jetzt 460 Seiten.“

Internethinweis:

Die Ärztekammer Nordrhein wird den Entwurf der neuen WBO in Kürze auf die Homepage stellen, sowohl auf der Startseite als auch in der entsprechenden Rubrik www.aekno.de/aerzte/weiterbildung.