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Praxis – Folge 120 der Reihe "Arzt und Recht"

Sanktionen im Falle eines sexuellen Übergriffs

27.11.2020 Seite 33
RAE Ausgabe 12/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2020

Seite 33

Die Beziehung zwischen Patient und Arzt ist geprägt durch ein besonderes Vertrauensverhältnis. Umso schwerer wiegt es, wenn dieses Vertrauen durch Medizinerinnen und Mediziner missbraucht wird. 

von Dirk Schulenburg und Katharina Eibl

Im Falle eines sexuellen Übergriffs drohen einem Arzt neben strafrechtlichen Konsequenzen der Entzug der vertragsärztlichen Zulassung, der Entzug der Approbation sowie ein berufsgerichtliches Verfahren wegen einer Verletzung der Berufsordnung. Keineswegs ist das Unrecht allein durch die strafrechtliche Sanktion ausreichend abgegolten, wie das Landesberufsgericht für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG) im Beschluss vom 29. Juli 2020 (Az.: 6t E 797/18.T) entschieden hat.

Strafrechtliches Verfahren 

Im vorliegenden Fall befand sich eine Patientin mehrere Jahre lang in hausärztlicher Behandlung bei einem Facharzt für Allgemeinmedizin. Auf dessen Veranlassung wurde sie mehrfach wegen psychischer Probleme stationär untergebracht. In den Jahren 2011 und 2012 kam es im Rahmen der Behandlung zu meist einvernehmlichen sexuellen Handlungen.

Gegen den Arzt wurde Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses gestellt (§ 174 c Strafgesetzbuch, StGB). Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt, die ihm wegen einer geistigen/seelischen oder körperlichen Krankheit anvertraut ist.

Nach einer Verständigung zwischen Arzt und Patientin wurde das strafrechtliche Verfahren nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 10.000 Euro eingestellt. 

Berufsgerichtliches Verfahren

Den Antrag auf Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens, den die Ärztekammer Nordrhein wegen eines Verstoßes gegen § 29 Heilberufsgesetz NRW in Verbindung mit § 2 Abs. 2 der Berufsordnung der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte (BO) gestellt hatte, wies das Berufsgericht beim Verwaltungsgericht in Köln in der ersten Instanz ab. Es fehle am sogenannten berufsrechtlichen Überhang. Die Tat sei durch das strafrechtliche Verfahren ausreichend sanktioniert. Das Verbot der Doppelbestrafung (de bis in idem) stehe der Eröffnung entgegen, urteilte das Gericht.
Die zweite Instanz, das Landesberufsgericht, hob diese Entscheidung auf und eröffnete das berufsgerichtliche Verfahren.

Berufspflichten 

Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten (§ 2 BO).

Zu den Berufspflichten gehört auch das sogenannte Abstinenzgebot. Die Würde und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten müssen respektiert werden. Dabei müssen auch die Rollenverteilung und das strukturelle Machtgefälle beachtet werden. Der Arzt darf das Vertrauensverhältnis zu seinem Patienten nicht zur Befriedigung eigener Interessen und Bedürfnisse missbrauchen.

Diese Berufspflichten werden offensichtlich nicht eingehalten, wenn ein Arzt sexuelle Handlungen an einer Patientin vornimmt oder diese an sich vornehmen lässt. 

Berufsrechtlicher Überhang

Neben dem strafrechtlichen Urteil ist ein berufsgerichtliches Verfahren nur dann zulässig, wenn ein berufsrechtlicher Überhang besteht. Der berufsrechtliche Überhang ergibt sich unter anderem aus der Nähe zum Kernbereich des ärztlichen Berufs und der Schwere der Tat. Er liegt vor, wenn der berufsrechtliche Unrechts- und Schuldgehalt der Tat über den strafrechtlichen hinausgeht und die strafrechtliche Pflichtenmahnung nicht ausreicht, um den Beschuldigten künftig zum pflichtgemäßen Verhalten anzuhalten. Zur Beurteilung sind alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen.

Strafverfahren schließt Berufsgerichtsverfahren nicht aus

Alleine die Tatsache, dass der Arzt im Strafverfahren einen Geldbetrag in Höhe von 10.000 Euro zu zahlen hatte, verhindert die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens nicht. Ob einem solchen Verfahren das Verbot der Doppelbestrafung entgegensteht, ist nach dem Einzelfall zu beurteilen, so das Landesberufsgericht in seinem Beschluss. 

Eine berufsrechtliche Disziplinierung ist auf jeden Fall dann vonnöten, wenn der betroffene Arzt sich nicht einsichtig zeigt und das Fehlverhalten, wie im Beispielfall, von erheblichem Gewicht ist. Zudem ist eine berufsrechtliche Ahndung aus generalpräventiven Gründen sinnvoll. Gerade in einem Fall des § 174 c StGB ist eine strafgerichtliche Entscheidung nicht ausreichend für die Wahrung berufsrechtlicher Belange.

Abstinenzgebot gilt auch bei einvernehmlichen Handlungen

Die Unsicherheit darüber, was als Missbrauch und was als leichte Grenzverletzung gilt, kann groß sein. Unzulässig im Rahmen einer Therapiesituation sind sämtliche Handlungen, die sexuell gedeutet werden können. Dazu zählen auch Dating-Versuche. Eine Untersuchung muss immer nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Sexuelle Handlungen sind im Rahmen von Behandlungen grundsätzlich verboten – auch wenn der Patient oder die Patientin einwilligt. Dies folgt aus dem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Patient und Arzt.

Sanktionen auf zahlreichen Ebenen

Verstößt ein Mediziner gegen das Abstinenzgebot, drohen ihm neben einem Strafverfahren weitere Verfahren wie der Entzug der Approbation, der Entzug der vertragsärztlichen Zulassung und, wie dargestellt, ein berufsgerichtliches Verfahren. 

Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.