Neben ihrem Beruf engagieren sie sich ehrenamtlich für ihre Kolleginnen und Kollegen: die Kreisstellenvorsitzenden der Ärztekammer Nordrhein. Doch welche Eigenschaften machen einen Vorsitzenden eigentlich aus und wie begeistert man die junge Ärztegeneration für das Ehrenamt? Diese Fragen stellten wir Dr. Wolfgang von Schreitter, Vorsitzender der Kreisstelle Neuss, in unserer Reihe „Mein Engagement“.
RhÄ: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Straßenbahn und möchten Ihrem Sitznachbarn erklären, was die Ärztekammer ist. Was würden Sie sagen?
von Schreitter: Die Ärztekammer ist die berufliche Standesvertretung aller Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein. Es geht um Fort- und Weiterbildung, Berufsrecht, Patientenbetreuung sowie ehrenamtliches Engagement. Die Kreisstellen der Kammer haben ähnliche Aufgaben, aber auf lokaler Ebene.
RhÄ: Welche Eigenschaften sollte ein Kreisstellenvorsitzender Ihrer Meinung nach mitbringen?
von Schreitter: Man sollte in jedem Fall in der Lage sein, zwischen allen Arztgruppen zu vermitteln. Ich denke, in meiner Position als Niedergelassener kann ich das sehr gut. Wahrscheinlich, weil ich beide Seiten – das Krankenhaus und die Praxis – erlebt habe und mir die unterschiedlichen Probleme und Positionen bewusst sind. Es geht nur miteinander, das sollte jedem klar sein. Das zeigt uns auch die aktuelle Coronakrise sehr deutlich. Wir Praxisärzte wurden mit voller Wucht getroffen. Ich saß als ärztlicher Berater während der ersten Welle mit im Krisenstab der Stadt Neuss und habe versucht, so gut es geht zu unterstützen. Ich habe damals vorgeschlagen, Testzentren einzurichten. Denn es zeichnete sich bereits in anderen Ländern und Städten ab, dass dies eine gute Möglichkeit war, um Leute schnell und unkompliziert zu testen.
„Ich möchte mehr Ärztinnen motivieren, sich ehrenamtlich zu engagieren.“
RhÄ: Was möchten Sie als Kreisstellenvorsitzender in Neuss bewirken?
von Schreitter: Mir persönlich liegt die Verbreitung des elektronischen Impfpasses sehr am Herzen. Das hat allerdings nur indirekt mit der Arbeit als Kreisstellenvorsitzender zu tun. Es gehört aber auch irgendwie dazu (lacht). Ich versuche zudem, die Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg hin zur Digitalisierung des Gesundheitswesens mitzunehmen. Fakt ist, ohne den elektronischen Heilberufsausweis der zweiten Generation wird es ab dem kommenden Jahr schwer. Denn er wird für die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte gebraucht, auf die Patienten ab Anfang 2021 Anspruch haben. Inwiefern die ersten Anwendungen, Medikationsplan und Notfalldatensatz, wirklich sinnvoll sind, wird sich zeigen. Ich bin da eher skeptisch. Ich kann aber aus unserer Erfahrung in der Praxis sagen, der elektronische Impfausweis kommt wunderbar an. Die Leute rufen in der Praxis an und sagen: „Ich muss meine Impfung auffrischen, das wurde mir angezeigt.“ Das wird die Impfbereitschaft deutlich steigern.
RhÄ: Welchen Rat würden Sie Ärztinnen und Ärzten geben, die heute in den Beruf starten?
von Schreitter: Mein Rat wäre: Überlegt euch vorher gut, in welche Richtung es gehen soll. Außerdem muss endlich diese Abneigung vor der Niederlassung aufhören. Es gibt ja schließlich nicht nur einen Weg, eine Praxis zu betreiben. Der Ärztemangel ist real und betrifft nicht nur das Land. In Neuss haben wir bereits drei Praxen ohne Nachfolger, Tendenz sicherlich steigend. Da sind pragmatische Lösungen gefragt.
RhÄ: Wie würden Sie die junge Ärztegeneration davon überzeugen, sich ehrenamtlich in der Ärztekammer zu engagieren?
von Schreitter: Wir müssen die junge Ärztegeneration noch mehr für das Ehrenamt begeistern. Bei den vergangenen Wahlen zum Kreisstellenvorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein haben in Neuss nur drei Frauen kandidiert. Letztendlich hat keine von ihnen das Ehrenamt angetreten, was sehr schade ist. Ich möchte mehr Ärztinnen motivieren, sich ehrenamtlich zu engagieren. Die angestaubte Ansicht, dass Ehrenamt und Familie sich nicht vereinbaren ließen, gilt es zu ändern. Dazu müssen aber auch die berufspolitischen Rahmenbedingungen optimiert werden. Die jungen Kolleginnen und Kollegen haben andere Ansprüche an ihren Berufsalltag und ihre Freizeitgestaltung.
Das Interview führte Vassiliki Latrovali.