Die hohe Zahl an Facharztprüfungen ist schon in normalen Zeiten eine organisatorische Herausforderung für die Ärztekammer Nordrhein. Das Corona-Virus und der Lockdown wirbelten für Prüfer, Prüflinge und die Weiterbildungsabteilung den Ablauf gehörig durcheinander.
von Jürgen Brenn
Die Zahlen sind beeindruckend: Im Jahr 2019 nahm die Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) insgesamt 3.230 Prüfungen nach der Weiterbildungsordnung ab. Für die Prüflinge wurden 759 Prüfungsausschüsse gebildet, die blockweise an sechs zentralen Prüfungsterminen über das Jahr abgenommen wurden. Die Prüfungsblöcke bestehen bereits seit einigen Jahren aus drei Tagen, um die ständig steigende Anzahl von Kandidaten prüfen zu können. Dies ist eine logistische wie organisatorische Herausforderung, um sämtliche Termine zu koordinieren und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.
Auch im Januar 2020 konnten rund 600 Ärztinnen und Ärzte noch an drei Tagen ihre Prüfungen zum Facharzt, zu Schwerpunktbezeichnungen oder zu Zusatz-Weiterbildungen ablegen. In der Hauptstelle der Ärztekammer Nordrhein an der Tersteegenstraße zeigte sich das gewohnte Bild: Sämtliche Seminarräume waren von Prüfungsausschüssen belegt, nervöse Prüflinge warteten in der Warmhalle oder im eigens als „Wartezimmer“ umfunktionierten Großen Veranstaltungssaal darauf, von den Mitarbeiterinnen der Weiterbildungsabteilung zu ihrer Prüfung aufgerufen zu werden. Die Angehörigen der Kandidaten, nicht selten die ganze Familie, wandelten durch die Warmhalle, schoben Kinderwägen hin und her und die Kleinen vertrieben sich die Zeit auf allen Vieren. Nach bestandener Prüfung lagen sich die frisch gebackenen Fachärztinnen und Fachärzte sowie ihre Familienangehörigen in den Armen und am Café-Med standen Sektflaschen bereit, um auf die bestandenen Prüfungen anstoßen zu können. Der Tag der Facharztprüfung ist ein besonderer Tag im Leben eines Arztes. In Zeiten der Corona-Pandemie fallen die Feierlichkeiten viel geringer aus. Dr. Alexandra Bick, die Mitte Juni ihre Facharztprüfung als Anästhesistin ablegte, sagte: „Es ist schade, dass an diesem Tag nicht wie vor Corona die ganze Familie dabei sein kann und dass der Sektempfang direkt nach der Prüfung ausfällt. Das ist einfach der derzeitigen Situation geschuldet.“
Corona stoppt die über 600 Prüfungen im März
Neben den Facharztprüfungen organisiert die Weiterbildungsabteilung der Ärztekammer Nordrhein ebenfalls die Fachsprachprüfungen für ausländische Ärztinnen und Ärzte, die kontinuierlich und in kleinerem Rahmen stattfinden. In den ersten zehn Wochen des Jahres fanden rund 220 Fachsprachprüfungen statt; Corona-bedingt war damit am 16. März ebenfalls vorerst Schluss. Zu diesem Termin waren auch lediglich zehn von 14 geladenen Kandidatinnen und Kandidaten erschienen.
Das Coronavirus schien zu Beginn des Jahres noch weit entfernt zu sein. Am 28. Januar wurde der erste Fall in Deutschland bei einem Mann in Bayern diagnostiziert. Fünf Tage vor dem Start der zweiten zentralen Prüfungsrunde im März kam der Lockdown für Schulen und Kindertagesstätten. Zwei Tage vorher kamen weitere Einschränkungen hinzu und das Haus der Ärzteschaft wurde für den Besucherverkehr komplett geschlossen. Die Ärztekammer Nordrhein fasste am 17. März den Entschluss, die zentralen Facharztprüfungen, die am 18., 19. und 26. März stattfinden sollten, komplett abzusagen. Insgesamt standen 697 Prüfungen an den drei Prüfungstagen auf dem Programm. Allerdings ließen die bisherigen räumlichen Gegebenheiten unter den Vorzeichen des Lockdowns und der Tatsache, dass Prüfer wie Prüflinge zu den hoch gefährdeten Personengruppen zählen, keine geregelte Prüfungsarbeit zu. Karl-Dieter Menzel, Leiter der Weiterbildungsabteilung der Ärztekammer Nordrhein, erinnert sich: „Die ganze Abteilung hat zum Telefonhörer gegriffen und alle Kandidatinnen und Kandidaten per Telefon oder per E-Mail informiert. Weiterhin wurden alle Prüfer und Vorsitzende in Kenntnis gesetzt und gebeten, die Prüfungsunterlagen zurückzusenden. Parallel haben wir an einem geänderten Raum- und Hygienekonzept gearbeitet. So ist es uns gelungen, doch noch über 70 Prüfungen stattfinden zu lassen.“
Für die restlichen rund 600 noch ausstehenden Prüfungen organisierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Weiterbildungsabteilung neu. Sie bildeten per Telefon neue Prüfungsausschüsse zu anderen Terminen und luden die Prüflinge dazu ein. Gleichzeitig musste das Raum- und Hygienekonzept ausgearbeitet werden. Da sämtliche Fortbildungsveranstaltungen abgesagt wurden, hatte und hat die Weiterbildungsabteilung die Möglichkeit, größere Räume zu nutzen, um mehr Abstand zwischen Prüfungsausschussmitgliedern und den Prüflingen zu gewährleisten. Damit stehen insgesamt weniger Prüfungsräume als normal zur Verfügung. Auch die Taktung zwischen den einzelnen Prüfungen musste so angepasst werden, dass möglichst wenig Wartezeit entsteht und sich die Prüflinge möglichst nicht begegnen.
Dies deckt sich mit den Beobachtungen des Prüfers Dr. Jochen Post: „Die Weiterbildungsabteilung hat einen echt guten Job gemacht, so mein Eindruck. Es werden nur die großen Räume genutzt. Der Abstand zwischen den Prüfern und dem Prüfling ist gewährleistet und es gibt weniger überlappende Wartezeiten, ergo weniger Menschen in den Räumen.“
Auch der Prüfungsausschussvorsitzende Dr. Michael G. Willems bestätigt, dass durch die Anordnung der Tische im Prüfungsraum rund zwei Meter Abstand eingehalten werden können und so das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes entfallen kann. Allerdings kann dies jeder Prüfungsausschuss für sich entscheiden. Auch werde am Anfang einer jeden Prüfung allen Kandidatinnen und Kandidaten die Frage „Maske – ja oder nein?“ gestellt, so Willems. So wird jedem Prüfling selbst die Entscheidung überlassen. Die Kandidatin Bick war froh, dass sie während der Prüfung keinen Mund-Nasen-Schutz tragen musste.
Damit kein vermeidbares Ansteckungsrisiko bereits bei der Anreise zur Tersteegenstraße in Düsseldorf entsteht, haben die Prüflinge wie auch die Prüfer die Möglichkeit, mit dem eigenen PKW anzureisen und dafür reservierte Parkplätze in der Tiefgarage zu nutzen.
Prüfungsstau vom März abgebaut
Um den im März entstandenen Prüfungsstau abzuarbeiten und den Kandidaten zeitnahe Termine anbieten zu können, wird derzeit an bis zu sechs Tagen in der Woche geprüft. Der Abteilungsleiter Menzel erläutert die Arbeitsweise seit Mitte April 2020: „Alle Kandidatinnen und Kandidaten werden telefonisch oder per E-Mail über die neuen Rahmenbedingungen bei der Prüfung informiert und gefragt, ob sie zur Prüfung kommen wollen. Dieses Verfahren haben wir seit Ostern beibehalten. Dank der vielen ehrenamtlich tätigen Prüferinnen und Prüfer und dank der großen Bereitschaft unserer Vorsitzenden, die zur systemrelevanten Risikogruppe gehören, Prüfungstermine wahrzunehmen, können alle Zulassungen innerhalb von vier Wochen um den zentralen Prüfungstermin herum abgearbeitet werden.“ Auch die Kandidatin Bick ist rund zwei Wochen vor dem Prüfungstermin informiert und geladen worden. Sie berichtet, dass sie dennoch bis zum Prüfungstag immer wieder die Infektionszahlen kontrollierte und unsicher war, ob der Termin tatsächlich stattfindet. „Ich habe geschaut, ob der Hotspot Gütersloh eventuell Auswirkungen auf meine Prüfung haben könnte und dann festgestellt, dass die Region zu Westfalen-Lippe gehört“, erzählt die Ärztin.
Bei der Fachsprachprüfung hat sich die Organisation und Terminvergabe nach Ostern normalisiert. „Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hat uns freundlicherweise Seminarräume zur Verfügung gestellt, sodass wir auch hier in größeren Räumen unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsvorgaben prüfen können“, so Menzel. Noch im April konnten 80 Kandidatinnen und Kandidaten ihre Prüfung antreten. Im Mai waren fünf Termine für Fachsprachprüfungen angesetzt. Es kommt derzeit zu keinen längeren Corona-bedingten Wartezeiten.
Enormer organisatorischer Mehraufwand
Im Bemühen, die Beeinträchtigungen für die Facharztprüfungen unter den gegebenen Vorzeichen so gering wie möglich zu halten, hat sich im Hintergrund in der Weiterbildungsabteilung der organisatorische Aufwand deutlich erhöht. Allein die Tatsache, dass mehr Prüfungstermine und -ausschüsse zu organisieren sind, bedeutet ein deutliches Mehr an Telefonaten zur Abstimmung. „Alle Kandidatinnen und Kandidaten werden zusätzlich angerufen. Trotzdem kommen auch viele Rückfragen von den Antragstellern“, sagte Menzel. „Neben der Terminkoordination müssen täglich die Prüfungen vorbereitet werden, dabei geht es zum Beispiel um Räume, Ausstattung und Verpflegung sowie die Besetzung der Anmeldung, Geräte und Unterlagen.“
Strikte Hygieneregeln erzeugen ein Gefühl der Wertschätzung
Bei allem dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ärztekammer Nordrhein in Corona-Zeiten befinden und zum Teil im Homeoffice arbeiten und vor Ort nicht zur Verfügung stehen, betonte der Leiter der Weiterbildungsabteilung.
„Ich habe den Eindruck, dass die Weiterbildungsabteilung das Prüfungsgeschehen professionell managt“, sagte der Prüfungsausschussvorsitzende Willems, der auch Mitglied in der Weiterbildungskommission ist. Auch die strikte Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln von Prüfern und Mitarbeiterinnen erzeuge ein Gefühl der Wertschätzung, das bei den Kandidaten gut ankomme, so Willems.
Der Internist und Transfusionsmediziner Post stellt der Organisation der Facharztprüfungen unter Corona-Vorzeichen ebenfalls ein gutes Zeugnis aus, nachdem er als Prüfer die Situation erlebt hat: „Die Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildungsabteilung haben die Vorschriften sehr gut umgesetzt.“ Auch für ihn ist die Situation neu und ungewohnt: „Lästig ist der Mund-Nasenschutz, auch wenn daran kein Weg vorbeiführt. Unser Vorsitzender beklagte sich, wegen der Masken schlechter hören zu können, sodass manche Frage oder auch die Antwort wiederholt werden mussten. Wir Prüfer und auch die Prüflinge sind souverän und professionell mit der Situation umgegangen. Das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes ist ja wahrscheinlich für keine Ärztin und keinen Arzt etwas absolut Neues. Im Operationssaal tragen sie die Masken oft stundenlang, deshalb ist auch eine 30-minütige Prüfung mit Mund-Nasen-Schutz zu bewerkstelligen“, sagte Post. Allerdings schränkten die Hygieneregeln lieb gewonnene Gewohnheiten rund um das Prüfungsgeschehen ein, stellte Post fest: „Für mich gehörte zur Gratulation das Händeschütteln und ein fester Blick in das ganze Gesicht einfach dazu. Auch bleiben die immer spannenden Fragen nach den weiteren Plänen des jeweiligen Prüflings auf der Strecke.“ Post bedauert ebenfalls, dass der kollegiale Austausch zwischen den Prüfungen unter diesen Vorzeichen fehle. Aber diese Einschränkungen seien zu verschmerzen, angesichts der Tatsachen, dass durch die veränderten Rahmenbedingungen das eigentliche Prüfungsgeschehen nicht leidet.
Gleich hohe Qualität der Prüfungen wie vor Corona
Professor Dr. Elmar Berendes, Fachprüfer für Anästhesiologie, kann ebenfalls keine Verunsicherung unter den Prüflingen durch die geänderten Rahmenbedingungen feststellen. Im Gegenteil: „Die meisten Kandidaten sind froh, dass sie an der Reihe sind.“ Auch habe sich an der Qualität der Prüfungen nichts geändert. Die als kollegiales Gespräch konzipierte 30-minütige Prüfung dürfe von den Rahmenbedingungen nicht beeinträchtigt werden, so Berendes. Der Prüfer und Anästhesist Dr. Peter Köster erläutert, dass sich ein breit angelegtes Gespräch entwickelt und weniger eine Frage-Antwort-Situation gewünscht sei.
„Die Facharztprüfung dient letztlich der Patientensicherheit“, betont Willems, der seit zehn Jahren Prüfungsausschussvorsitzender ist und sich vorher ebenfalls als Fachprüfer in der Ärztekammer Nordrhein engagiert hat. Es gehe nicht wie früher um Wissensabfrage, sondern um die Einschätzung, ob der Kandidat die Fähigkeit zum eigenständigen ärztlichen Handeln besitzt und über ein ausreichend strukturiertes Wissensgerüst in seinem Fachgebiet verfügt.
„An der Qualität der Prüfung hat sich nichts geändert, aber einiges an der Organisation“, fasst Willems zusammen. Neu sei zum Beispiel auch, dass die Ausschussvorsitzenden die Kandidaten persönlich aus dem Wartebereich abholen und zum Prüfungszimmer begleiten. Auch würden die Aspiranten nicht mehr vor die Tür geschickt, damit sich die Ausschussmitglieder beraten können, sodass die Prüfungen zügig und mit so wenig Kontakt und Begegnungen wie möglich vonstattengehen. Willems: „Alle am Prüfungsgeschehen Beteiligten bemühen sich um ein Maximum an Sicherheit“.