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Gesundheits- und Sozialpolitik

Mülheim: Diskussion über die Reform des Medizinstudiums

25.03.2020 Seite 20
RAE Ausgabe 4/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2020

Seite 20

Beim Forum Gesundheit 2020 der Kreisstelle Mülheim (v.l.n.r.): Uwe Brock, Vorsitzender der Kreisstelle Mülheim der Ärztekammer Nordrhein, Professor Dr. Joachim Fandrey, Prodekan für Studium und Lehre der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen, Margarete Wietelmann, Bürgermeisterin der Stadt Mülheim, Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Professor Dr. Jana Jünger, MME, Direktorin des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen, Martin Jonathan Gavrysh, Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V., Ulrich Langenberg, Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Nordrhein und Moderator des Diskussionsabends sowie Nils B. Krog, Geschäftsführer des Evangelischen Krankenhauses Mülheim. © PR-Fotografie Köhring
Eine neue Approbationsordnung soll mehr Praxisbezug bringen und die Allgemeinmedizin an den Universitäten stärken.

von Horst Schumacher

„Das ist eine neue Welt, die Sie uns gezeigt haben“, sagte Uwe Brock, „da möchte jeder wieder studieren.“ Damit reagierte der hausärztliche Internist und Vorsitzende der Kreisstelle Mülheim der Ärztekammer Nordrhein auf einen Vortrag von Professor Dr. Jana Jünger Mitte Februar im Kasino des Evangelischen Krankenhauses. Dorthin hatte Brock die Mülheimer Ärzteschaft und Experten zum jährlichen „ForumGesundheit“ eingeladen, um über den „Masterplan Medizinstudium 2020“ zu diskutieren.

Wesentliche Ziele dieses Plans: ein stärkerer Praxisbezug des Studiums, kompetenzorientierte Prüfungen, mehr Gewicht für kommunikative und soziale Fähigkeiten und eine Stärkung der Allgemeinmedizin in Studium und Forschung. Nach jahrelangen Vorarbeiten hatten sich der Bundesgesundheitsminister, die Bundesforschungsministerin, Vertreter der Gesundheitsministerkonferenz und der Kultusministerkonferenz der Länder sowie die  Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestages im März 2017 auf den Masterplan geeinigt. „Die Allgemeinmedizin muss im Studium den Stellenwert erhalten, der ihr auch in der Versorgung zukommt“, heißt es darin.

Idealistische Studierende

Das Thema des Diskussionsabends an der Ruhr erhielt zusätzliche Aktualität, weil das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Ende vorigen Jahres − fast drei Jahre nach Verabschiedung des Masterplans − den Arbeitsentwurf einer neuen Approbationsordnung (ÄAppO) für Ärzte vorgelegt hat. Darin sind wesentliche im Masterplan vereinbarte Reformschritte näher ausgearbeitet. Nach derzeitiger Planung soll die neue ÄApprO, die laut Bundesärzteordnung eine Rechtsverordnung des BMG ist und der Zustimmung des Bundesrates bedarf, am 1. Oktober 2025 in Kraft treten.

Ein besseres und mit weniger Stress verbundenes Studium, eine striktere Patientenorientierung und nicht zuletzt die Lösung von Versorgungsproblemen wie zum Beispiel dem Hausärztemangel – all das erhofft sich Professorin Jana Jünger von dem Vorhaben. Die Fachärztin für Innere Medizin ist seit April 2016 Direktorin des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen und damit auf fachlicher Ebene eine Protagonistin der Studienreform. 

In ihrem Impulsreferat in Mülheim sagte sie, dass sich Patientinnen und Patienten zugewandte Ärztinnen und Ärzte wünschen, die aufmerksam zuhören und verständlich erklären. Doch laut Picker Report 2016 fühlten sich 39 Prozent der befragten Patienten mit ihren Sorgen und Ängsten alleingelassen, 29 Prozent beklagen unverständliche Erklärungen von Untersuchungsergebnissen. Nach Jüngers Worten sollen deshalb Zuwendung, Fürsorge und Menschlichkeit wie überhaupt traditionelle ärztliche Tugenden einen höheren Stellenwert im Studium erhalten. Die „enormen Zahlen“ von überflüssigen Leistungen im Gesundheitswesen, die sich bei einer Befragung von Internisten ergaben, sprechen nach ihrer Auffassung für eine Studienreform, welche die Kritikfähigkeit der angehenden Ärztinnen und Ärzte fördert.

Unter dem derzeitigen Studium leiden viele Medizinstudierende, davon ist Jünger überzeugt. Dabei ist das Gros nach ihren Beobachtungen idealistisch und hoch motiviert. Das aber passe mit der Realität nicht zusammen. So zeige sich bereits bei PJ-Studierenden ein mittlerer Burnout-Grad. Auch fühlten sich lediglich 45 Prozent der Assistenzärztinnen und -ärzte durch ihre Ausbildung ausreichend auf die ärztliche Tätigkeit vorbereitet, 43 Prozent sehen sich in den ersten Wochen überfordert.

Theorie und Praxis verknüpfen

Im bisherigen Studium fehle es häufig am Verbindenden zwischen den einzelnen Fächern, kritisierte Jünger. Der Stellenwert für die Vermittlung klinischer Kompetenz und klinischer Entscheidungsfindung sei zu gering. Kommunikative Kompetenzen würden überwiegend theoretisch, verspätet oder nicht kontinuierlich vermittelt. Faktenwissen werde mit Wissenschaftlichkeit verwechselt, wissenschaftliche Kompetenzen würden kaum durchgehend vermittelt, das vorklinische Wissen werde zu schnell vergessen.

Im zukünftigen Studium soll all dies nach Jüngers Worten besser werden, vor allem soll es Theorie und Praxis besser miteinander verknüpfen. Tatsächlich wird die bisherige Trennung von Vorklinik und Klinik laut Arbeitsentwurf der neuen Approbationsordnung aufgehoben. So werden die Studierenden der Zukunft verpflichtet, bereits ab dem zweiten Semester vier einwöchige und zwei zweiwöchige sogenannte Blockpraktika in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen zu absolvieren. Bis Ende des zehnten Semesters muss sich die Dauer auf mindestens acht Wochen in höchstens zwei verschiedenen Praxen summieren. „Ziel ist der Aufbau einer engen, lehrfördernden Beziehung zu den Lehrärzten und Lehrärztinnen, in der diese als ärztliche Mentoren wahrgenommen werden“, heißt es im Arbeitsentwurf der neuen ÄApprO.

Prüfungsfach Allgemeinmedizin

Weiter ist zur Stärkung der Allgemeinmedizin an der Universität vorgesehen, dass alle Studierenden im Staatsexamen am Ende ihres Studiums in diesem Fach geprüft werden. Insgesamt sollen die Prüfungen praxisnäher gestaltet werden (siehe auch Kasten). Das Praktische Jahr soll von Tertialen auf Quartale und damit auf vier Ausbildungsabschnitte von je zwölf Wochen umgestellt werden. Dabei werden  Innere Medizin sowie Chirurgie nach dem Arbeitsentwurf Pflicht bleiben „und durch zwei Stationen in anderen klinisch-praktischen Fachgebieten (Wahlfächern) ergänzt, von denen mindestens eines im vertragsärztlichen Bereich zu absolvieren ist“.

Gegen eine Aufwertung von Kommunikation und Interprofessionalität hat auch Professor Dr. Joachim Fandrey nichts einzuwenden. Der Facharzt für Physiologie und Prodekan für Studium und Lehre der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen sieht hier eine „Schnittstelle mit der ärztlichen Weiterbildung“, nicht alles könne im Studium vermittelt werden: „More ist not always better.“ Bei allem derzeitigen „Innovationsschwung“ stellte Fandrey in Mülheim fest: „Das Medizinstudium in Deutschland ist hochwertig und anspruchsvoll.“ In Deutschland ausgebildete Mediziner genießen nach seinen Worten zum Beispiel in den Vereinigten Staaten hohes Ansehen. Das liege auch an deren umfassendem Faktenwissen. Dieses müssen die medizinischen Hochschulen nach Fandreys Auffassung trotz aller Kritik auch künftig vermitteln.

Wissenschaftliche Ausrichtung

Die mit der neuen Approbationsordnung angestrebte Stärkung der Allgemeinmedizin begrüßte der Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, Martin Jonathan Gavrysh. Er forderte „gut begleitete Lehrangebote“ und eine gute Organisation. Zum Beispiel dürften die Anfahrtswege zu den Lehrpraxen nicht zu weit sein. Die zurzeit vorgesehene Zahl der Blockpraktika sollte nach Gavryshs Ansicht überdacht werden, sie erscheint ihm zu hoch.
Die wissenschaftliche Ausrichtung des Medizinstudiums sei in den derzeitigen Reformplänen verbindlich festgelegt, zeigte sich Rudolf Henke zufrieden. „Diesbezüglich gab es Sorgen, aber das scheint zu gelingen“, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein in seinem Schlusswort bei der Mülheimer Veranstaltung. Henke lobte auch die geplante Verbindung von Klinik und Vorklinik und die Einbeziehung des ambulanten Sektors. Dass eine Studienreform mit aktuellen Problemen in der Versorgung zu begründen ist, glaubt er allerdings nicht. Es gehe um eine „breit gefächerte Ausbildung“ und nicht um eine „Engführung“ etwa im Hinblick auf den Landärztemangel. Eine offene Frage sieht Henke in der Finanzierung der Reform: „Der zusätzliche Bedarf ist noch nicht kalkuliert.“ Wichtig ist dem Kammerpräsidenten auch, dass die Bedeutung der Freiberuflichkeit im Sinne der ärztlichen Unabhängigkeit in fachlichen Entscheidungen künftig im Studium verstärkt vermittelt wird, um so einen Kontrapunkt zur Kommerzialisierung der gesundheitlichen Versorgung zu setzen. 

Die Prüfungen im Medizinstudium der Zukunft

Im Sinne der praxisnahen Gestaltung der Prüfungen in der künftigen Medizinerausbildung ist vorgesehen, die Prüfungen wie folgt zu gestalten:

  • Nach den ersten vier Semestern findet als Erster Abschnitt der Ärztlichen Prüfung eine schriftliche Prüfung statt, nach dem sechsten Semester als Zweiter Abschnitt der Ärztlichen Prüfung eine strukturierte klinisch-praktische Prüfung in Form des Prüfungsformates „Objective Structured Clinical Examination“ (OSCE). Der Masterplan sieht nach dem ersten Studienabschnitt eine einheitliche staatliche Prüfung vor, die aus einem schriftlichen (nach vier Semestern) und einem mündlich-praktischen Teil (nach sechs Semestern) besteht. 
  • Für den Dritten, schriftlichen Abschnitt der Ärztlichen Prüfung überarbeitet das IMPP entsprechend der Umstrukturierung der Ausbildung den bisher faktenorientierten Gegenstandskatalog in Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Fakultätentag (MFT). Mittelfristig soll die Durchführung des schriftlichen Teils des Staatsexamens mit elektronischer Unterstützung stattfinden, da dies das Spektrum von kompetenzorientierten schriftlichen Prüfungsformaten deutlich erweitert. 
  • Der Vierte, das Studium abschließende Abschnitt der Ärztlichen Prüfung, beinhaltet wie bisher die Prüfung am Patientenbett. Dabei werden Anamnese und körperliche Untersuchung künftig unter Aufsicht der Prüferinnen und Prüfer erfolgen und mittels standardisierter Checklisten bewertet. Der bisherige zweite Prüfungstag in der abschließenden staatlichen Prüfung wird zu einem OSCE umgestaltet. Die Fragestellungen erstrecken sich ausschließlich auf die Innere Medizin, die Chirurgie, die Allgemeinmedizin und das Wahlfach. 
  • Zusätzlich wird zwischen dem Ersten und dem Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung ein universitärer Leistungsnachweis in OSCE-Form zum Beleg der klinisch-praktischen Fähigkeiten eingeführt. 

Aus dem Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für eine neue Approbationsordnung für Ärzte und Ärztinnen