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Praxis

Ambulante Ethikberatung zur Therapiezieländerung: ein Fallbeispiel

26.10.2020 Seite 24
RAE Ausgabe 11/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2020

Seite 24

Die Entscheidung darüber, ob der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen wie künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe dem Patientenwillen entspricht, stellt Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige vor schwierige ethische Fragestellungen. Eine medizinethische Beratung kann in diesem Fall Angehörige und Behandler bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Das folgende Fallbeispiel zeigt, dass dabei nicht nur professionelle Einschätzungen, sondern auch persönliche Überzeugungen und Erfahrungen die Diskussion beeinflussen können.  

von Lukas Radbruch, Andrea von Schmude und Frank Peusquens 

In der Onkologie besteht mittlerweile ein breiter Konsens darüber, dass trotz aller Fortschritte in der Tumortherapie bei vielen Patienten mit dem Tumorprogress ein Punkt erreicht wird, ab dem das Therapieziel nicht mehr die Lebensverlängerung sein sollte, sondern stattdessen versucht werden sollte, eine hohe Lebensqualität zu erreichen. In anderen Bereichen der Medizin wie der Kardiologie, der Pneumologie oder der Neurologie wird diese Diskussion nur selten geführt. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass der Zeitpunkt für den Wechsel von einer kurativen Zielsetzung hin zu palliativen Therapiezielen hier deutlich schwerer zu erkennen ist. 
Bei einer Änderung des Therapieziels kann es zu Konflikten kommen. Behandelnde Ärzte, Pflegeteam und Angehörige sind nicht immer einer Meinung, ob die Behandlung – einschließlich lebenserhaltender Maßnahmen wie Ernährung und Flüssigkeitsgabe über eine Perkutane Endoskopische Gastrostomie (PEG) – unverändert fortgesetzt, limitiert oder sogar ganz beendet werden sollen. Solche Konflikte können leicht eskalieren, wenn nicht nur sachliche Argumente vorgebracht werden, sondern die Beteiligten ihre persönlichen Einstellungen und Haltungen in die Diskussion einbringen. 
Bei solchen Konflikten kann eine Ethikberatung einen Ausweg bieten. Ethikkomitees sind in Deutschland bisher fast ausschließlich in Krankenhäusern etabliert worden und nur sehr selten im ambulanten Bereich zu finden. Dort ist aber der Bedarf genauso hoch, wenn nicht noch höher. Im folgenden Fallbeispiel wird von einer Beratungssituation des Ambulanten Ethikkomitees des Netzwerkes Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg berichtet. Das Netzwerk hatte dieses Ethikkomitee im Jahr 2019 aufgebaut, da es immer wieder Anfragen nach Ethikberatung erhielt. 

Medizinische Vorgeschichte

Herr K. ist 67 Jahre alt. Vor dem Hintergrund einer jahrelangen Anamnese von verschiedenen psychiatrischen Diagnosen (Depression, Panikstörung, Sozialphobie) war eine Enzephalopathie mit Sprachstörungen und ein sekundäres Parkinson-Syndrom diagnostiziert worden. 
Nach einer Embolie, einer Sepsis und einer Aspirationspneumonie wurde Herr K. vor zwei Jahren intensivmedizinisch behandelt und im Anschluss in die außerklinische Intensivpflege überwiesen. Dabei wurden ein Tracheostoma und eine PEG angelegt, die Ernährung erfolgt seitdem über die PEG. Er lebt in einer vom Intensivpflegedienst versorgten Wohngemeinschaft.
Herr K. erhält eine Dauermedikation mit verschiedenen Neuroleptika, Antidepressiva und Benzodiazepinen sowie eine Dauermedikation mit einem niedrigdosierten transdermalen Fentanylsystem zur Behandlung der Muskelschmerzen bei Spastik.

Soziale Vorgeschichte

Es liegt eine vor zehn Jahren ausgestellte Patientenverfügung vor, die allerdings nicht vom Patienten unterschrieben worden ist. Die handschriftlichen Eintragungen in dieser Patientenverfügung konnten mit einer Handschriftenprobe aus dem Testament von Herrn K. verglichen werden. Sie scheinen identisch. In der Patientenverfügung hat Herr K. angegeben, dass er lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt, wenn keine Aussicht auf Heilung besteht. 
Außerdem liegt eine Vorsorgevollmacht vor, in der Herr K. seine Schwester als Vorsorgebevollmächtigte benannt hat. 

Fragestellung und Situationsbeschreibung

Die Schwester von Herrn K. und ihr Ehemann hatten sich mit der ethischen Fragestellung an das Netzwerk gewandt, wie die weitere Behandlung im Sinne ihres Bruders fortgeführt werden kann. Sie fragten, ob die weitere Gabe von Flüssigkeit und Nahrung über die PEG eingestellt werden kann oder sogar sollte.
An dem Gespräch nahmen die Geschäftsführerin des Intensivpflegedienstes sowie der Pflegekoordinator teil. Darüber hinaus waren die behandelnde Hausärztin und der behandelnde Neurologe, die Schwester von Herrn K. und ihr Ehemann sowie für das Ambulante Klinische Ethikkomitee der Vorsitzende, ein weiterer Teilnehmer und die Koordinatorin des Ethikkomitees anwesend. 
Aufgrund der pandemiebedingten Hygienebestimmungen wurde die ethische Fallbesprechung nicht in den Räumen der Wohngemeinschaft durchgeführt, sondern in einem nahegelegenen Konferenzraum mit ausreichender Größe. Aus diesem Grund konnte auch kein Vor-Ort-Termin bei Herrn K. eingerichtet werden, was sonst üblicherweise ein Teil der ethischen Fallbesprechung wäre.

Schritt 1: Klärung der Anliegen

Die Schwester und ihr Ehemann beobachteten schon vor der intensivmedizinischen Behandlung vor zwei Jahren eine stetige Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands ihres Bruders im Rahmen der psychiatrischen Erkrankungen. So berichteten sie über eine Zunahme von psychiatrischen Beschwerden und Anzeichen von Verwahrlosung in seinem Haus.
Zu Beginn des Aufenthalts in der Intensivpflege-Wohngemeinschaft sei noch gemeinschaftliches Erleben möglich gewesen wie gemeinsames Fernsehen. Es seien sogar kurze Ausfahrten im Rollstuhl möglich gewesen. Herr K. habe öfter mit Blickkontakt oder Lächeln reagiert. Inzwischen spürten die Angehörigen Angst, Unruhe, körperliche und geistige Anspannung bei ihrem Verwandten. Es sei keinerlei Blickkontakt mehr möglich gewesen. Herr K. würde nur noch starr zur Decke und an den anwesenden Personen vorbeiblicken. Er sei immer weniger kontaktierbar gewesen, nur in Ausnahmefällen komme es noch zu Reaktionen. Die Schwester beschrieb den körperlichen und geistigen Abbau ihres Bruders auch unter der Intensivpflege. 
Vor zwei Jahren hatte die Schwester als Vorsorgebevollmächtigte der intensivmedizinischen Behandlung zugestimmt, da es zu diesem Zeitpunkt Chancen auf eine Heilung gegeben habe. Damals sei ihr von den behandelnden Ärzten auch zugesichert worden, dass die einmal begonnene Intensivbehandlung im Rahmen einer Therapiezieländerung jederzeit beendet werden könne. Dieser Zeitpunkt schien ihr nun gekommen zu sein. Sie sprach sich deshalb für eine Einstellung der Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr über die PEG aus. 
Die Mitarbeitenden des Intensivpflegedienstes schilderten ein zeitweises Abwehrverhalten bei pflegerischen Handlungen, ohne dass ersichtlich sei, inwieweit dies Willensäußerungen oder neurologische Reflexe waren. Sie berichteten, dass Herr K. manchmal mit Nicken oder Kopfschütteln auf einfache Fragen zum Beispiel nach Schmerzen oder zur Pflege oder Lagerung antworten könne. Die Mitarbeitenden begründeten ihre Ablehnung einer Einstellung von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr mit der Grundhaltung im Team, nach der ein solcher Therapieabbruch moralisch nicht zu rechtfertigen wäre. 
Der behandelnde Neurologe berichtete von einem Verdacht auf Morbus Huntington. Dabei handele es sich allerdings um eine Verdachtsdiagnose nur auf Grundlage des klinischen Befunds und unter dem Gesamtbild mit Spastiken, psychiatrischen Symptomen und Verwahrlosung. Die starken Spastiken und Anspannungen seien therapeutisch schwer einzustellen gewesen. Eine weiterführende Diagnostik zum Beispiel mit einem Gentest habe er nicht durchgeführt, dies sei auch aufgrund der mangelnden therapeutischen Konsequenz nicht indiziert. Beim letzten Hausbesuch habe er den Eindruck gewonnen, dass der Patient in der Präfinalphase sei und in Kürze versterben werde. Er unterstützte deshalb die Forderung der bevollmächtigten Schwester nach der Einstellung von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.
Die Hausärztin gab an, dass sich der Zustand von Herrn K. zwar insgesamt reduziert habe, jedoch auf niedrigem Niveau stabil sei. Der Patient sei kooperativ gewesen und habe Untersuchungen nicht verweigert. Insgesamt sei Herr K. ein internistisch unauffälliger Patient. Aufgrund des körperlich stabilen Zustandes hielt sie eine lange Überlebenszeit für möglich und war deshalb mit dem Einstellen von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr nicht einverstanden. 

Prognose

Häufig führen unterschiedliche Prognosen über die verbleibende Lebenszeit des Patienten zu Konflikten zwischen Behandlern, Angehörigen und Betroffenen und sind damit ein wesentlicher Faktor in der ethischen Diskussion um einen möglichen Therapiezielwechsel.
Oft werden der Verzicht oder der Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen einfacher akzeptiert, wenn die verbleibende Lebenszeit als eher kurz eingeschätzt wird. Andererseits ist das Beibehalten des Status quo manchmal besser auszuhalten, wenn der betroffene Patient ohnehin (auch mit den laufenden Behandlungsmaßnahmen) in kurzer Zeit an der Erkrankung versterben wird.  
Im Unterschied zum behandelnden Neurologen von Herrn K. schätzten die Mitarbeitenden der Intensivpflegeeinrichtung den Gesundheitszustand des Patienten nicht als präfinal ein.
Auch die Hausärztin sah Herrn K. als stabil auf niedrigem Niveau und damit keinesfalls als Patient in der Präfinalphase. 
Diese Unterschiede spiegeln die Schwierigkeiten divergierender Prognosen wider. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen eine eher zu optimistische Einschätzung der verbleibenden Lebenszeit treffen. Niklas Christakis spricht bei der Prognoseeinschätzung von einem „ritualisierten Optimismus“ der Ärzte [2], die die verbleibende Lebenszeit im Schnitt um den Faktor 5 überschätzten. 
Im Zweifelsfall wird deshalb die „Überraschungsfrage“ empfohlen. Die Behandler sollen sich fragen, ob es sie überraschen würde, wenn der betroffene Patient im kommenden Jahr (oder einem für die Fragestellung angepassten Zeitrahmen) versterben würde [3]. Auf die Frage „Würde es Sie überraschen, wenn Herr K. in den nächsten sechs Monaten versterben würde?“ antworteten alle beteiligten Behandler mit Nein. Die Mitarbeitenden des Intensivpflegedienstes relativierten diese klare Aussage im Abschluss wieder, indem sie hinzufügten, dass es sie auch nicht überraschen würde, wenn Herr K. noch viele Jahre weiterleben würde. 

Schritt 2: Ethische Diskussion

In dem moderierten Gespräch wurden die unterschiedlichen Positionen beleuchtet, für ein Verständnis der jeweils anderen Positionen und der dahinterstehenden Haltungen geworben und nach gemeinsamen Zielen gesucht. Dabei dienen die vier Prinzipien der biomedizinischen Ethik [4] als Leitfaden für die Diskussion. 

1.    Selbstbestimmung
Für die Einwilligungsfähigkeit in eine medizinische Maßnahme sind mehrere Voraussetzungen notwendig: der Patient muss a) die angebotenen Informationen verstehen können, b) die Tragweite seines Entschlusses überblicken können und c) seinen Willen ausdrücken können. Herr K. kann keine dieser Voraussetzungen erfüllen und ist damit nicht einwilligungsfähig. Der vorausverfügte Wille liegt in Form der Patientenverfügung vor, diese ist jedoch nicht unterschrieben. Die fehlende Unterschrift beeinträchtigt die Gültigkeit der Verfügung nicht, da im Betreuungsrecht (§ 1901 BGB) nur die Schriftform gefordert wird, darüber hinaus aber keine weiteren Vorgaben zur Form einer Patientenverfügung gemacht werden. Nach dem Handschriftenvergleich ist davon auszugehen, dass Herr K. diese Verfügung selbst ausgefüllt hat. Er hatte in der Patientenverfügung klar ausgeführt, dass er keine lebensverlängernden Behandlungen wünscht, wenn keine Aussicht auf Heilung besteht.
Auch wenn Zweifel daran bestehen, dass die Patientenverfügung als eindeutiger vorausverfügter Wille anerkannt werden kann, so sollte sie dennoch als Hinweis auf den mutmaßlichen Patientenwillen gewertet werden. Im Gespräch bestätigt die Schwester die Einstellung von Herrn K. Er habe die Patientenverfügung selbst verfasst, nachdem der Vater an Krebs erkrankt und nach einem langen Leidensweg gestorben war. Dies sei hin und wieder Gesprächsthema zwischen ihr und ihrem Bruder gewesen. Herr K. habe damals geäußert, dass er selbst nicht in den Zustand kommen wollte, lange zu liegen und nicht mehr kommunikationsfähig zu sein. 
Für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit hatte Herr K. in der Vorsorgevollmacht seiner Schwester die Aufgabe übertragen, Behandlungen zuzustimmen oder sie abzulehnen. Allerdings war diese Vorsorgevollmacht sehr kurz und allgemein gehalten, insbesondere fehlte der Hinweis nach § 1904 BGB, dass die Vorsorgevollmacht auch dann gelten soll, wenn Herr K. aufgrund einer medizinischen Maßnahmen oder auch des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. So konnte die Vorsorgevollmacht für solche Situationen – und damit auch für den zur Entscheidung stehenden Verzicht auf Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr über PEG – nicht genutzt werden. Die Schwester blieb aber als nahe Bezugsperson und Vermittlerin des mutmaßlichen Willens des Patienten in die Therapiezielfindung eingebunden.  

2.    Nutzen
In der Diskussion stellte die Hausärztin klar, dass sie auf jeden Fall die laufende Behandlung von Herrn K. fortsetzen möchte. Sie hielt auch bei Krisen im Behandlungsverlauf wie einer Pneumonie eine entsprechende Eskalation der Behandlung (Antibiotika, Flüssigkeitszufuhr) für notwendig. Die Hausärztin begründete ihre Haltung damit, dass man dem Patienten eine Chance geben müsse, die Krise zu überwinden, weil er sich in einem stabilen körperlichen Zustand befinde. 
Im Gegensatz dazu sah der Neurologe keinen Sinn in einer Fortsetzung der laufenden Behandlung, da er die Prognose als infaust einschätzte. Er begründete dies auch mit seiner klinischen Verdachtsdiagnose des Morbus Huntington. 
Nach Auffassung der Angehörigen war die Fortführung der bisherigen Behandlung nicht sinnvoll, da weder Heilung noch Verbesserung der Lebensqualität zu erwarten seien.
Trotz der medizinisch und pflegerisch unterschiedlichen Einschätzungen zur Prognose der Überlebenszeit bestand bei allen Beteiligten Einigkeit darüber, dass sich der Gesundheitszustand von Herrn K. in den vergangenen zwei Jahren rapide verschlechtert habe und dass keine Aussicht auf Heilung oder Verbesserung im weiteren Verlauf bestehen.

3.    Nicht Schaden
Die Schwester begründete ihre Forderung nach einer Umsetzung der Patientenverfügung auch damit, dass sie ihrem Bruder langes Leiden ersparen wolle. Deshalb wünschte sie neben dem Verzicht auf Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr auch eine palliativmedizinische Behandlung von Symptomen in der verbleibenden Lebenszeit. 
In der Diskussion mit der Hausärztin kam es zu einer entscheidenden Wendung, als überlegt wurde, dass eine Therapieeskalation bei zukünftigen Krisen im Behandlungsverlauf Herrn K. zwar die Chance geben würde, die Krise zu überwinden, eine solche Krise ihm aber gleichzeitig auch die Möglichkeit biete zu sterben. Ohne diese Chance würde er mit der Intensivpflege weiter am Leben gehalten, auch wenn er dies wahrscheinlich gar nicht mehr wünsche. 

4.    Gerechtigkeit
In der Diskussion ist immer auch eine Abwägung der verschiedenen Interessen der beteiligten Akteure notwendig. So brachte der Intensivpflegedienst auf Nachfrage klar zum Ausdruck, dass für die Mitarbeitenden ein Abbruch der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr eindeutig gegen deren moralische Prinzipien verstoße. Sollte eine solche Entscheidung gefällt werden, wären sie aber bei einer Verlegung von Herrn K. in eine andere Einrichtung behilflich. 

Schritt 3: Vereinbarung

In der Diskussion wurde deutlich, dass ein Abbruch der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr über die PEG keinen Konsens findet. Insbesondere für die Hausärztin und den Intensivpflegedienst wäre ein solcher Abbruch nicht akzeptabel. Eine Fortführung der bisherigen Behandlung wäre aus Sicht der Angehörigen nicht mitzutragen. 
Ein Kompromiss wäre: Die bisherige Behandlung wird fortgesetzt. Gleichzeitig sichern die Behandler zu, bei zukünftig auftretenden Komplikationen auf eine Eskalation zu verzichten. Die Anwesenden stimmten einem solchen Vorgehen zu. 
Die Ethikberatung empfahl demnach, dass die Gabe von Nahrung und Flüssigkeit über PEG zunächst weiter fortgeführt werden solle. Träten zusätzliche Komplikationen auf, sollten keine zusätzlichen Behandlungsmaßnahmen durchgeführt werden. So solle zum Beispiel bei einer Lungenentzündung oder einer anderen Infektion auf Antibiotika, fiebersenkende Medikamente oder zusätzliche Flüssigkeitsgabe verzichtet werden. In diesen Fällen solle auch keine Einweisung in ein Krankenhaus erfolgen. Damit erhalte Herr K. bei einer solchen Komplikation die Chance zu versterben. 
Gleichzeit wurde vereinbart, dass bei einer Krise eine angemessene Symptomkontrolle durchgeführt wird. Bei einer Pneumonie wäre zum Beispiel eine Linderung von Luftnot erforderlich, die vor allem durch eine Behandlung mit Opioiden erreicht werden kann. 
Für die Behandlung von Luftnot, Schmerzen oder anderen belastenden Beschwerden könne das Team der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) hinzugezogen werden.
Außerdem wurde vereinbart, dass die Angehörigen bei Änderungen des Gesundheitszustandes, zum Beispiel bei Auftreten von Fieber, informiert und zur Entscheidung hinzugezogen werden. Der Krisenbogen der Intensivpflegeeinrichtung solle aktualisiert und vervollständigt werden mit dem Zusatz, dass keine Krankenhauseinweisung erfolgen solle und der Patient bei der nächsten Krise versterben dürfe.
In der Rückmelderunde zum Abschluss der Ethikberatung betonten alle Teilnehmer, dass sie mit dem konsentierten Vorgehen sehr zufrieden seien. Allerdings ist damit zu rechnen, dass in solchen Konstellationen in den folgenden Wochen im Krankheitsverlauf erneut Kommunikations- und Diskussionsbedarf bei den beteiligten Akteuren entsteht. Das Ethikkomitee bot daher zum Abschluss an, in einem solchen Fall eine Wiederholung der Ethikberatung in ein bis zwei Monaten Abstand einzuberufen. 


Professor Dr. Lukas Radbruch ist Direktor der Klinik für Palliativmedizin und Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum Bonn und Chefarzt des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg. Er ist außerdem Mitglied des Gründungsausschusses für das Komitee für medizinethische Beratung der Ärztekammer Nordrhein. Andrea von Schmude ist Koordinatorin des ambulanten Ethikkomitees des Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg. Frank Peusquens ist Geschäftsführer des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum Bonn.


Literatur

[1]    Schmitz D, Groß D: Ethische Beratung im Fall einer Therapielimitierung während der COVID-19-Pandemie: Ein Fallbericht. Rheinisches Ärzteblatt 2020(9):23-25.
[2]    Christakis NA: Death foretold. Prophecy and prognosis in medical care. Chicago: University of Chicago Press; 1999.
[3]    Stiel S, Radbruch L: Prognose bei schwer kranken Menschen. Zeitschrift für Palliativmedizin 2014, 15:109-121.
[4]    Beauchamps T, Childress J: Principles of biomedical ethics, 7th edn. New York: Oxford University Press; 2012.