Anträge in der Geburtshilfe mit Einbeziehung der Anästhesie sind eher selten. Schwerpunkte der Beanstandungen finden sich bei Regionalanästhesien und postpartalen Blutungen, insbesondere im Zusammenhang mit einer Sektioentbindung. Obwohl ärztliche Behandlungsfehler selten vorliegen, unterstreichen die Anträge mit oft tragischem Ausgang die Notwendigkeit interdisziplinärer Handlungsanweisungen in den Kliniken und eines regelmäßigen Notfalltrainings, um die Gefahrensituationen sicher zu beherrschen.
von Friedrich Wolff, Ludwig Brandt und Beate Weber
Das Fachgebiet der Geburtshilfe gehört mit einem Antragsaufkommen von 15 bis 20 jährlich zu den Disziplinen, mit denen die Gutachterkommission für ärztlicher Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein selten zu tun hat, insbesondere im Vergleich zur Unfallchirurgie/Orthopädie, Allgemeinchirurgie oder zur Inneren Medizin. Allerdings sind die Schadensummen des ärztlichen Behandlungsfehlers eines geburtshilflichen Großschadens mit schwerer Behinderung des Kindes mit Schmerzensgeld und Versorgungsansprüchen beträchtlich und liegen meist im hohen Millionenbereich. Die Geburtshilfe liegt dabei im Schnittpunkt interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Anästhesie, Innerer Medizin und nicht zuletzt der Neonatologie.
Im Rahmen einer Vortragsanfrage haben wir die Begutachtungen aufgearbeitet, in denen sowohl die Anästhesie wie die Geburtshilfe in das Verfahren einbezogen waren. Die Gesamtzahlen der Begutachtungen der Gutachterkommission Nordrhein im Fünf-Jahres-Zeitraum vom 1.1.2014 bis 31.12.2018 sind in der Tabelle 1 dargestellt. Von den Gesamtanträgen betrafen 195 (2,4 Prozent) die Geburtshilfe (ohne Schwangerschaftsbetreuung); in 23 Fällen (0,3 Prozent) waren auch Vorwürfe gegen die Anästhesie erhoben worden.
Während die Behandlungsfehler-Quote in der Geburtshilfe mit 31,3 Prozent in etwa dem Durchschnitt der Verfahren entsprach, lag sie in der Anästhesie mit lediglich 17,4 Prozent deutlich darunter. Interessant erschien es uns aber dennoch, eine genauere Betrachtung der Einzelfälle und eine Analyse der Schwerpunkte bei den Anschuldigungen und Behandlungsfehlern vorzunehmen.
Reanimation des Neugeborenen
In zwei Fällen wurde die Erstversorgung des Neugeborenen durch den Anästhesisten von den Antragstellern gerügt. In einem Fall lag eine fehlerhaft nicht erkannte oroösophageale Fehlintubation vor, die erst in der Folge durch den eintreffenden Neonatologen beseitigt wurde. Das bereits mit einer schweren Asphyxie geborene Kind wurde hierdurch zusätzlich geschädigt.
Im zweiten Fall war ein Kind nach unzureichender Überwachung nach Unterwassergeburt geboren worden, wobei die nachfolgende Reanimation ordnungsgemäß erfolgte. Der Behandlungsfehler wurde dem Geburtshelfer zugeordnet.
Die Versorgung des Neugeborenen ist in der interdisziplinären S1-AWMF-Leitlinie 087/001 zur strukturellen Voraussetzung der perinatologischen Versorgung [1] geregelt. Grundsätzlich ist demnach in Geburtskliniken ohne Pädiatrie der Geburtshelfer für die Erstversorgung von Neugeborenen ärztlich-organisatorisch verantwortlich. Während in einem Perinatalzentrum meist der unmittelbar hinzugezogene oder anwesende Neonatologe die weitere Versorgung übernimmt, muss im Krankenhaus der Regelversorgung eine Absprache erfolgen, wenn zum Beispiel bei einer Kaiserschnittentbindung beide Geburtshelfer am OP-Tisch stehen und die Neonatologie erst aus einer anderen Klinik gerufen werden muss. Hier müssen klare Regelungen mit der Anästhesie zur Erstversorgung festgelegt werden. Auch auf die derzeit in Überarbeitung befindlichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe von 2011 zur Durchführung von Analgesie- und Anästhesieverfahren in der Geburtshilfe wird hierbei verwiesen [2].
Regionalanästhesie
Insgesamt 9 Verfahren betrafen die Regionalanästhesie, das heißt die Peridural- oder Spinalanästhesie. Unter diesen wurde nur in einem Antrag ein Behandlungsfehlervorwurf bestätigt. Dabei handelte es sich um eine Querschnittlähmung der Mutter nach einer PDA in Höhe von Th12 ohne jede Dokumentation des Gesamtablaufes. Der Grund für das Eingehen bei Th12 blieb daher unklar.
In drei Anträgen beklagten die Patientinnen eine mangelhafte Analgesie bei Vertiefung der PDA für eine sekundär notwendige Sectio caesarea. Die Anästhesieprotokolle ließen allerdings keine Auffälligkeiten hinsichtlich des Verlaufs der vegetativen Parameter erkennen, die auf eine abnorme Schmerzreaktion hingewiesen hätten. In zwei Fällen kam es zu einer akzidentellen Duraperforation mit Notwendigkeit des Wechsels des Anästhesieverfahrens auf eine Intubationsnarkose. In allen Verfahren lagen ebenso wie im Falle einer postoperativ nach Spinalanästhesie festgestellten Basalganglion- und Subarachnoidalblutung mit notwendiger neurochirurgischer Intervention keine Behandlungsfehler vor.
Zeitraum 1.1.2014 – 31.12.2018 | n | Anteil in % v. n | davon Fehler | BF-Quote % |
Gesamtzahl der Gutachten | 8.181 | 100,0 | 2.465 | 30,1 |
Verfahren mit Vorwürfen zu Geburt | 195 | 2,4 | 61 | 31,3 |
davon auch Anästhesie | 23 | 0,3 | 4 | 17,4 |
Komplikationen bei einer Sektio caesarea
Bei Einleitung einer Notsektio gelang dem Anästhesisten die endotracheale Intubation nicht. Der Versuch, die Schwangere über eine Larynxmaske zu beatmen scheiterte ebenfalls, es kam zu einer hypoxiebedingten Asystolie, die Schwangere musste reanimiert werden. Eine ausreichende Oxygenierung und Beatmung gelang erst nach etwa 30 Minuten. Das Kind konnte erfolgreich geboren werden, die Mutter erlitt einen schweren hypoxischen Hirnschaden. Hier wurden die nicht durchgeführte Koniotomie bei Vorliegen einer „Cannot intubate – Cannot ventilate – Situation“ und das mangelhafte Management der Anästhesie als grober Behandlungsfehler gewertet.
Eine der gefürchteten Komplikationen in der Geburtshilfe sind postpartale Hämorrhagien (PPH), die oft auch bei einer Sectio caesarea nach Entwicklung des Kindes auftreten können. Bei plötzlicher massiver Blutung sind gelegentlich Massentransfusionen, die schnelle Schaffung ausreichender Zugänge und ein klares Management der Gesamtsituation notwendig.
In einem Fall der Versorgung einer schweren PPH kam es zu einem Kompartment-Syndrom des linken Unterarms mit Verlust des Kleinfingers. Eine Versorgung dieser Situation und Verlegung der Patientin war erst nach Kreislaufstabilisierung möglich.
In einem weiteren Fall musste eine geplante Sectio caesarea bei Plazenta prävia mit Übergang auf die Uterusvorderwand wegen einer aufgetretenen Blutung vorgezogen werden. Die vorab besprochene Intubationsnarkose wurde auf Bitte der Mutter kurzfristig zu Gunsten einer Spinalanästhesie geändert. Die bei der elektiven Sektio aufgetretene plötzliche massive Blutung bei der transplazentaren Entwicklung des Kindes mit Herzstillstand, disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC) und Reanimation der Mutter konnte zwar letztendlich beherrscht werden, führte aber zu einer schwersten hypoxischen Hirnschädigung der Mutter mit apallischem Syndrom.
In allen diesen Anträgen konnte aber kein Behandlungsfehler festgestellt werden.
Mütterlicher Todesfall
Tragisch war auch der Tod einer Mutter mit einer postpartalen Hämorrhagie und nachfolgender Fruchtwasserembolie, die zum Tode führte. Nur selten wird eine Obduktion zur Sicherung der Diagnose durchgeführt. Auch im aktuellen Antrag lag keine Sicherung der Diagnose durch Befunderhebung mittels Obduktion vor. Differenzialdiagnostisch kommen eine Lungenembolie, selten ein Myokardinfarkt oder eine peripartale Kardiomyopathie in Betracht [3]. Es handelte sich um den einzigen Antrag in dem Abschlusszeitraum 2014 bis 2018, der zu einem mütterlichen Todesfall abgeschlossen wurde.
Nach Erhebungen in den Industrieländern sterben circa fünf bis zehn Mütter auf 100.000 Geburten (WHO). Anders als in England oder Skandinavien gibt es in Deutschland keine systematische Erfassung und Auswertung dieser Todesfälle. Eine vor Jahren eingerichtete Task Force-Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die sich mit den in den Kliniken aufgetretenen Todesfällen im Rahmen der Qualitätssicherung beschäftigte, hat ihre Arbeit bedauerlicherweise eingestellt. Nach internationalen Erhebungen wird davon ausgegangen, dass etwa ein Drittel der Todesfälle bei entsprechendem Management und regelmäßigem Notfalltraining vermieden werden kann [4].
So bereiten Sie sich richtig auf perinatale Notfälle vor
- Interdisziplinäre Handlungsanweisungen in den Kliniken helfen in einer perinatalen Gefahrensituation die Zuständigkeiten sicherzustellen.
- Regelmäßiges Notfalltraining der an der Geburt beteiligten Personen bewirken, dass Gefahrensituationen besser beherrscht werden können.
- Eine fundierte Dokumentation der Abläufe ermöglicht im Nachhinein eine Prozessanalyse zur Verbesserung der Versorgungsqualität, aber auch eine Bewertung durch Dritte im Falle eines Arzthaftungsprozesses.
Professor Dr. med. Friedrich Wolff und Professor Dr. med. Ludwig Brandt sind Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmitglieder, Dr. med. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission Nordrhein bei der Ärztekammer.