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Meinung

Ein falsches Etikett

18.10.2019 Seite 3
RAE Ausgabe 11/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2019

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes

Ab dem Wintersemester 2020 sollen Universitäten erstmals ein Direktstudium zur Ausbildung in der Psychotherapie anbieten können. So will es das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung, das der Deutsche Bundestag Ende September beschlossen hat. Nach dreijährigem Bachelorstudium und zweijährigem Masterstudium mit einer abschließenden staatlichen psychotherapeutischen Prüfung werden die Absolventen die Approbation beantragen und sich „Psychotherapeutin“ oder „Psychotherapeut“ nennen dürfen. Der Zugang zum GKV-System setzt darüber hinaus eine Weiterbildung voraus, die nach Landesrecht organisiert werden soll.

Die Kritik der Ärzteschaft während des Gesetzgebungsverfahrens, klar formuliert auch seitens der Ärztekammer Nordrhein, hat einige Verbesserungen bewirkt. So wurde ein zunächst vorgesehener Modellstudiengang, der Nicht-Ärzte zur Verschreibung von Psychopharmaka ermächtigt hätte, aus dem Referentenentwurf gestrichen. Auch bleibt es entgegen früherer Pläne bei der somatischen Abklärung durch Ärztinnen und Ärzte vor Beginn einer Psychotherapie.

Jedoch blieben grundlegende Einwände der Ärzteschaft unberücksichtigt. So suggeriert die Verkürzung der bisherigen Berufsbezeichnungen „Psychologischer Psychotherapeut“ und „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut“ auf „Psychotherapeut“ eine umfassende Kompetenz, fast schon eine Monopolstellung, der auf psychologischer Basis ausgebildeten Psychotherapeuten.

Dieses falsche Etikett wird zu einer Desinformation unserer Patientinnen und Patienten führen, sind doch in Wahrheit Ärztinnen und Ärzte mit einer entsprechenden Weiterbildungsbezeichnung die zahlenmäßig stärkste und zugleich am breitesten qualifizierte Berufsgruppe in der psychotherapeutischen Versorgung.

Diese dürfen die Bezeichnung „ärztliche Psychotherapeutin“ oder „ärztlicher Psychotherapeut“ zwar weiterhin verwenden. Dennoch gerät angesichts der undifferenzierten Berufsbezeichnung für die Absolventen des neuen Studiengangs die spezifische Kompetenz der psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte aus dem Blick. Diese liegt gerade darin, dass sie die erkrankten Menschen ganzheitlich als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachten.

Die Patientinnen und Patienten ihrerseits haben ein Recht auf präzise Informationen über das Spektrum psychotherapeutischer Behandlungsmöglichkeiten und den wissenschaftlichen Hintergrund derer, denen sie sich anvertrauen wollen.

Doch bleibt die Qualifikation derjenigen, die nach dem neuen Studium als Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ werden führen können, angesichts des fehlenden Konzeptes für deren Weiterbildung diffus. Alle psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte hingegen können eine durch die Weiterbildung erworbene Qualifikation in einem spezifischen, wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren vorweisen.