Eine Koronare Herzerkrankung war in den vergangenen sechs Abschlussjahren die dritthäufigste Diagnose, die zur Antragsstellung bei der Gutachterkommission für Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein führte. Dabei warfen ein Sechstel der Patienten den Ärzten vor, ein akutes Koronarsyndrom beziehungsweise einen Herzinfarkt verkannt zu haben. Bei etwa der Hälfte dieser Patienten bestätigten sich die Fehlervorwürfe, die insbesondere die Befunderhebung betrafen. Bei den gerügten interventionellen Behandlungen und bei den koronaren Bypassoperationen bestätigten sich die Vorwürfe nur selten.
von Beate Weber, Werner Jörgenshaus und Erland Erdmann
Für eine Fortbildungsveranstaltung zusammen mit dem Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN) wurden die Diagnose- und Behandlungsfehlervorwürfe bei Koronarer Herzerkrankung mit dem Ziel einer Behandlungsfehlerprophylaxe ausgewertet, über die wir nachfolgend berichten wollen.
Mit einem Anteil von 2,4 Prozent stellt die Koronare Herzerkrankung nach der Gonarthrose (Anteil 2,8 Prozent) und Koxarthrose (Anteil 2,6 Prozent) die dritthäufigste Hauptdiagnose ex post und mit 50 Fällen die fünfthäufigste fehlbehandelte Erkrankung in den nordrheinischen Verfahren der vergangenen sechs Jahre dar. Am häufigsten bestätigten sich Diagnostikvorwürfe bei akutem Koronarsyndrom beziehungsweise einem Herzinfarkt mit 21 von 41 Fällen (BF-Quote 51,2 Prozent). Herzkatheteruntersuchungen ohne (28) und mit interventioneller Therapie der Koronarien (70) sowie Bypassoperationen (78) gelangten zwar häufiger zur Überprüfung, Behandlungsfehler wurden aber nur selten festgestellt und betrafen zumeist nicht das technische Vorgehen. Auch in drei von acht Fällen mit Ausschluss einer zu diesem Zeitpunkt therapiebedürftigen Koronaren Herzerkrankung lagen Befunderhebungsfehler (Anamnese, Kontroll-EKG, Troponinwert-Kontrolle, fehlende Echokardiographie bei neu aufgetretenen Linksschenkelblock oder Herzkatheteruntersuchung) vor. Drei aus diesem Grund durchgeführte Herzkatheteruntersuchungen erfolgten behandlungsfehlerfrei (Tabelle 1).
Befunderhebungsfehler
In den zugrundeliegenden 241 Fällen hatten Diagnosefehlervorwürfe zum akuten Koronarsyndrom beziehungsweise Herzinfarkt zwar nur einen Anteil von gut einem Sechstel (17,0 Prozent), es fanden sich hier mit 21 Fehlern aber 42 Prozent der insgesamt bei Koronarer Herzerkrankung als Hauptdiagnose ex post festgestellten 50 Behandlungsfehler. Bei zwei Dritteln der 21 fehlerbehafteten Verfahren zur Diagnostik wurden Befunderhebungsfehler festgestellt; betroffen waren drei Hausärzte, vier im KV-Notdienst tätig gewordene Allgemeinmediziner sowie ein Neurologe, ein Kardiologe und fünf aufgesuchte Klinikambulanzen. Trotz typischer, auf ein akutes Koronarsyndrom differenzial-diagnostisch hindeutender Symptomatik fehlte es in diesen Fällen an einer Basisdiagnostik, zum Beispiel an einer ausreichenden Anamnese zu den Beschwerden und den Risikofaktoren sowie an einer Untersuchung des Patienten, an einem EKG und/oder an einer Bestimmung des Troponins beziehungsweise an einer Klinikeinweisung zur weiteren Diagnostik/stationären Beobachtung.
Beispielsweise wurde bei einem 75-jährigen Patienten mit einer erstmaligen, auf eine instabile Angina pektoris hindeutenden Symptomatik vom Hausarzt zwar ein EKG durchgeführt, dabei aber nicht bedacht, dass ein unauffälliger EKG-Befund einen NSTEMI nicht ausschließt. Der Patient wurde nach Besserung unter Nitrogabe und einem Rezept für ein Nitro-Spray mit der Maßgabe entlassen, sich am nächsten Tag zur EKG-Kontrolle wieder vorzustellen. Nach Auffassung des Gutachters wäre bei diesem Patienten jedoch eine Bestimmung des Troponins sofort und im Verlauf von sechs Stunden geboten, die zwar bisher in einer hausärztlichen Praxis nicht vorgehalten werden muss, in einem solchen Fall aber zur Facharztüberweisung oder Einweisung des Patienten hätte führen müssen. Wenige Stunden später wurde auf Betreiben der Angehörigen andernorts ein dreifach über dem Referenzwert liegender Troponinwert bei hochgradiger Koronarsklerose mit 95-prozentigen Stenosen festgestellt, unter medikamentöser Therapie stabilisiert und fünf Tage später eine koronare Bypassoperation zugeführt, sodass der Patient keinen Gesundheitsschaden erlitten hat.
Diagnosefehler
In fünf Fällen mit Diagnosefehlern waren pathologische EKG-Veränderungen bei typischen Beschwerden nicht erkannt worden. Darunter ein Fall, in dem das bei nächtlichen Beschwerden angefertigte EKG ärztlicherseits nicht in Augenschein genommen wurde, sodass eine fehlerhafte Ableitung (Vertauschen der Armelektroden) nicht bemerkt und ein Vorderwandinfarkt zu spät erkannt und behandelt wurde. Bei zwei Patienten wurde ein ST-Hebungsinfarkt im EKG fehlerhaft nicht erkannt, und es erfolgten – erst nach Stunden später eintreffenden pathologischen CK-Werten mit Nachweis des Infarktgeschehens – zu späte Verlegungen zur Herzkatheteruntersuchung. In einem Fall mit lediglich automatisierter Gerätebefundung wurde das EKG als unauffällig beschrieben – trotz angedeuteter ST-Hebung in V2 – V4 und bei auffällig positiver T-Welle – bei gleichzeitiger Überinterpretation eines in der Streubreite liegenden leichten Rückgangs des Troponins innerhalb von einer Stunde von 10,5 ng/l (normal < 5 ng/l) auf 9,9 ng/l. Dadurch wurde der vorliegende Herzinfarkt verspätet erst mit Eintreffen der pathologischen CK-Werte nach 3,5 Stunden erkannt. Nicht indiziert war in einem Fall eine Ergometrie, da zuvor bereits – nicht erkannte – pathologische EKG-Veränderungen vorlagen, zudem wurde die Ergometrie trotz signifikanter Ischämiezeichen fehlerhaft nicht sofort abgebrochen. Bei einer 47-jährigen Patientin mit den Risikofaktoren Rauchen und arterielle Hypertonie bestanden seit einer Woche starke Brustschmerzen. Die unter anderem durchgeführte Ergometrie erfolgte ohne ausreichende Ausbelastung (nur bis 100 Watt und mit einer maximalen Herzfrequenz von nur 116/Minute), sodass diese Untersuchung hinsichtlich der Fragestellung wertlos war. Die Patientin erlitt fünf Tage später einen Vorderwandinfarkt bei akuter Plaqueruptur bei bestehenden subtotalen und hochgradigen Stenosen einer 2-Gefäßerkrankung, die nach Auffassung des Gutachters zuvor hätten erkannt und revaskularisiert werden können.
Tabelle 1: Diagnose- und Behandlungsfehlervorwürfe bei Koronarer Herzerkrankung (KHK)
Zeitraum 1.1.2013 - 31.12.2018 | n | Anteil | davon | BF- |
---|---|---|---|---|
Gesamtzahl der Begutachtungen | 9.868 | 100,0 | 2.945 | 29,8 |
Patienten mit Vorwürfen bei KHK als Hauptdiagnose ex post | 241 | 100,0 | 50 | 20,7 |
1) Diagnosefehler | 43 | 17,8 | 23 | 53,5 |
– DF Akutes Koronarsyndrom/Herzinfarkt | 41 | 17,0 | 21 | 51,2 |
2) Behandlungsfehler | 198 | 82,2 | 27 | 13,6 |
– im Rahmen einer Bypass-OP | 78 | 32,4 | 7 | 9,0 |
– Interventionelle Therapie | 70 | 29,0 | 9 | 12,9 |
– Diagnostischer Herz-Katheter | 28 | 11,6 | 4 | 14,3 |
– Sonstige Vorwürfe | 22 | 9,1 | 7 | 31,8 |
Kausalschaden
In 18 der 43 Fälle mit Diagnosevorwürfen wurde ein kausaler Gesundheitsschaden festgestellt, darunter vier von zehn Todesfällen, acht dauerhafte Funktionsstörungen des Herzens, eine milde und zwei schwere kardiale Dekompensationen sowie jeweils einmal das traumatische Erleben eines Herzstillstandes, von Todesangst und von unnötigen Beschwerden bis zur weiteren Behandlung. Dabei können gerade Befunderhebungsfehler, aber auch grobe Diagnose- und Behandlungsfehler aufgrund einer Änderung der Beweislast zu Ungunsten des Arztes haftungsrechtlich dazu führen, dass der Arzt für die Folgen der eingetretenen Herzschädigung bis hin zum Tod des Patienten einzutreten hat.
Die Behandlung des Symptoms „Brustschmerz“ in der Praxis
Nach einer Auswertung von Bruno et al. [1] stellen „unklare Thoraxschmerzen eine der häufigsten Vorstellungsgründe beim Hausarzt und bei der notfallmedizinischen Abklärung dar, aber nur in etwa 20 bis 25 Prozent der Fälle liegt dabei eine koronare Ursache zugrunde. Allerdings besteht aufgrund des möglichen hohen Mortalitätsrisikos die Notwendigkeit eines raschen zielgerichteten Handelns, was auch für andere Differenzialdiagnosen beispielsweise einer Aortendissektion oder einer fulminanten Lungenembolie gilt. Oftmals sehen die konsultierten Haus- und im Notfall konsultierte Ärzte in Praxis und Klinik die Patienten mit unklaren Thoraxschmerzen mit einen sehr frühen Stadium, in dem sich möglicherweise weder EKG-Veränderungen noch pathologische Laborwerte zeigen. Die einmalige Bestimmung von EKG und Biomarkern können (dabei) ein akutes Koronarsyndrom nicht ausschließen.“
Es geht also zunächst darum, sicherzustellen, dass eine unmittelbar vital bedrohliche Situation erkannt wird, das heißt, die Dringlichkeit beziehungsweise Gefährdung muss eingeschätzt (Triage-Regelung) und gegebenenfalls eine zügige stationäre Einweisung veranlasst werden.
Kann eine unmittelbar bedrohliche Situation ausgeschlossen werden, folgt die differenzierte Anamnese, auch bezüglich Risikofaktoren und Begleiterkrankungen sowie die körperliche Untersuchung des Patienten. Neben den somatischen Befunden sind im Rahmen der Anamnese psychosoziale Faktoren zu berücksichtigen. Bei jedem Patienten mit „Brustschmerz“ sind Herz, Lunge und Brustwand zu untersuchen. Zur Beurteilung des Herzens sind Puls (Tastbar? Frequenz? Rhythmus?), Blutdruck und Auskultation die ergiebigsten Kriterien; bei Schmerzen im Bereich der Lunge beziehungsweise Brustwand sind die Inspektion (Zeichen des Emphysems? Trauma?), die Perkussion und die Auskultation (Tachypnoe?) sinnvoll. Grundsätzlich ist die Reproduzierbarkeit des Schmerzes durch tiefe Inspiration oder Palpation zu ermitteln.
Weitere Untersuchungen sind nur dann indiziert, wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt entsprechende positive Hinweise ergeben. Zur Risikostratifizierung kann die Anwendung eines Herz-Scores hilfreich sein.
In Krankenhausambulanzen müssen natürlich bei jedem Patienten mit Brustschmerz zur Basisdiagnostik ein EKG und eine Labordiagnostik durchgeführt werden. Die notwendige Festlegung des im Notdienst tätigen Arztes auf eine Diagnose ist oft mit einem unvermeidlichen Maß an Unsicherheit behaftet, und im Falle des geklagten Brustschmerzes ist trotz aller Sorgfalt ein Herzinfarkt nicht in allen Fällen sicher zu erkennen. Allerdings ist hier eine über die Möglichkeiten des sogenannten Roten Scheins hinausgehende (lesbare) Dokumentation der erfragten Anamnese und erhobenen Befunde anzuraten.
In der hausärztlichen Praxis hat die Labordiagnostik bei der Evaluation nur einen geringen Stellenwert. Ein positives Troponin weist zwar den Myokardinfarkt zuverlässig nach, ausschließen kann man ihn aber allenfalls bei einer Symptomdauer > 12h. Auch mit einem 12-Kanal-Elektrokardiogramm (EKG) lässt sich eine kardiale Ätiologie nur bestätigen (hohe Spezifität), aber nie ausschließen (geringe Sensitivität). Das EKG hat aber gegenüber dem Troponin den Vorteil, dass es zusätzliche differenzialdiagnostische Informationen liefert. Die Ableitung eines EKGs nimmt zwar eine zentrale Stellung bei der Diagnostik und Risikostratifizierung des Akuten Koronarsyndroms (ACS) ohne ST-Hebung ein, aber mit einem alleinigen Ruhe-EKG lässt sich eine kardiale Ätiologie nur bestätigen (hohe Spezifität) aber nie ausschließen (geringe Sensitivität). Ein unauffälliges EKG schließt ein ACS nicht aus. In der vorklinischen Diagnostik gilt es zudem, die Vielzahl der Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen und sich in der Notfallbehandlung auf eine Verdachtsdiagnose festzulegen, um das weitere Vorgehen zu planen.
Fazit für die Praxis bei akutem Brustschmerz
Zusammengefasst bedeutet dies für den niedergelassenen Arzt im Umgang mit Patienten, die „Brustschmerz“ als Symptom der Erstkonsultation klagen, zunächst eine Eigen- und Familienanamnese, eine klinische Untersuchung mit Blutdruck- und Pulsmessung und eine Einschätzung der erhobenen Befunde durchzuführen und zu dokumentieren, was auch im KV-Notdienst möglich ist. Bleiben bei den untersuchten Patienten, gegebenenfalls auch nach Ableitung eines EKGs und Bestimmung des Troponins in der Praxis, Zweifel an einer möglichen kardialen Ursache der Beschwerden, muss die weitere abklärende Diagnostik unverzüglich eingeleitet werden. Oftmals bleibt nur die stationäre Einweisung zur weiteren Beobachtung und kardiologischen Diagnostik. Es ist anzuraten, die Ablehnung einer nötigen stationären Einweisung durch den Patienten zu dokumentieren und gegenzeichnen zu lassen.
Fehler bei Herzinfarkt
In einem Fall wurde 2016 ein akuter Herzinfarkt zwar erkannt, es wurde aber nicht umgehend eine Verlegung zur interventionellen Therapie veranlasst. Der Patient wurde unter Monitorüberwachung nach vier Stunden reanimationspflichtig und verstarb. Ein 50-jähriger Patient sollte 2014 im aufgesuchten Krankenhaus – ohne ärztlich gesehen worden zu sein – weiterverlegt werden. Er erlitt in der Ambulanz auf den Transport wartend ein akutes Herz-Kreislaufversagen, das über 20 Minuten nicht suffizient behandelt werden konnte, da die Intubation nicht gelang. Er verstarb an den Folgen des später bei der Obduktion festgestellten ausgedehnten Herzinfarktes infolge einer Plaqueruptur bei fortgeschrittener Koronarsklerose. Aufgrund des festgestellten Organisationsfehlers wurde eine Haftung der Ärzte für den Tod des Patienten bejaht.
Fehler bei KHK
Bei einem Patienten wurde eine fortgeschrittene Koronare Herzerkrankung nicht erkannt. Die anhaltenden Beschwerden wurden als rezidivierende epigastrische Beschwerden bei Stress und bei Belastung beziehungsweise als eine Refluxösophagitis gedeutet. Obwohl bereits neun Jahre zuvor ein Herzinfarkt aufgetreten war, wurde vom belasteten Hausarzt weder ein EKG durchgeführt, noch erfolgte eine Überweisung zum Kardiologen, sodass erst nach sieben Monaten die schwere Dreigefäßerkrankung mittels Bypassoperation behandelt werden konnte.
Herzkatheter
Bei 28 beklagten diagnostischen Herzkatheteruntersuchungen, darunter 25-mal mit Feststellen einer relevanten Koronaren Herzerkrankung, bestätigten sich vier Fehlervorwürfe. Einmal blieb vor der Untersuchung unbemerkt, dass der Aufklärungsbogen weder vollständig ausgefüllt noch unterschrieben worden war. Es waren außerdem nur allgemeine Risiken aufgeführt, und eine bestehende Allergieneigung war nicht erfragt worden, sodass fehlerhaft keine ausreichende Prophylaxe verabreicht wurde. Dies hatte zur Folge, dass der dann nach KM-Gabe mit einer Urtikaria symptomatisch werdende Patient speziell behandelt werden musste. Obwohl die Leitlinien darauf hinweisen, war in einem anderen Fall die luftfreie Flüssigkeitsfüllung des Kathetersystems nicht sichergestellt worden, sodass der Patient aufgrund einer koronaren Luftembolie nach der ersten Kontrastmittelgabe reanimiert werden musste. Einmal wurde als fehlerhaft bewertet, dass die ambulante Untersuchung aus ungeklärten Gründen mit einem 6F-Kathetersystem vorgenommen und ein nachfolgend aufgetretenes Hämatom zu spät erkannt wurde. Bei einem mit 10 mg Diazepam sedierten 81-Jährigen wurden die Überwachungspflichten offensichtlich verletzt, sodass er vom Kathetertisch stürzen konnte, obwohl vier Personen im Katheterraum anwesend waren.
Interventionelle Therapie
Bei 70 vorgeworfenen interventionellen Behandlungen der Koronarien wurden neun Behandlungsfehler festgestellt; es bestätigten sich vier der 15 erhobenen Aufklärungsrügen, darunter eine bei ansonsten sachgerechter Behandlung. Beispielsweise wurde 2015 eine nach den ESC-Leitlinien kontraindizierte interventionelle Therapie bei einem 69-jährigen türkischen Patienten mit einer fortgeschrittenen Dreigefäßerkrankung und chronischem Verschluss der rechten Kranzarterie versucht, anstatt eine Bypassoperation zu veranlassen. Es bestanden außerdem erhebliche Dokumentationslücken, Befundungenauigkeiten und unklare Aussagen im Arztbrief. Der Patient war Analphabet und hatte den türkischen Aufklärungsbogen nur unvollständig ausgefüllt. Angehörige hatten nicht mit unterschrieben. Dementsprechend war davon auszugehen, dass der Eingriff zudem rechtswidrig erfolgte, da der Patient die bei ihm vorliegende komplexe Situation vermutlich nicht verstanden hatte. Er erlitt einen periinterventionellen Herzinfarkt mit Zustandsverschlechterung, für den die Kardiologen zu haften hatten. Ob der Tod des Patienten Monate später damit im Zusammenhang stand, konnte von der Gutachterkommission hingegen nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Drahtabriss
Ein Drahtabriss stellt eine sehr seltene eingriffsimmanente Komplikation der interventionellen Therapie mit Stentimplantation dar. Dennoch wurden bei fünf Patienten in diesem Zusammenhang Behandlungsfehler festgestellt. Es ist vor allem nach der Untersuchung darauf zu achten, dass der Katheter unversehrt ist. Aufgrund erheblicher Dokumentationslücken war bei einem Patienten für den Gutachter nicht nachvollziehbar, wieso ein außerdem noch sehr langer Stent in ein unauffälliges gesundes Gefäß eingebracht worden war. Ohne entsprechende Dokumentation blieb unklar, wie es zum Drahtabriss mit Verbleib des Fremdköpers im distalen Gefäßanteil kam, der zwar dargestellt, aber weder beschrieben noch entfernt wurde. In einem anderen Fall wurde der Eingriff erneut vorgenommen, obwohl sich schon bei einer vorherigen Katheteruntersuchung gezeigt hatte, dass das Vorschieben des Führungsdrahtes bei extremer Gefäßschlängelung unmöglich war. Nach vielen Manipulationen mit Torsion des Katheters kam es schließlich zu einem Katheterabriss im Bereich der Torsionsstelle. Dies erforderte eine notfallmäßige operative Entfernung.
Bei einem als „problemlos“ beschriebenen, aber fehlgeschlagenen Versuch, einen Ballonkatheter über das proximale, nach Dilatation noch verengte Stentsegment im RIVA vorzuschieben, kam es zu einem Abriss des Führungsdrahtes mit Verbleib einer frei flottierenden Schlaufe im Hauptstamm. Dies hätte eine sofortige Bypassoperation erfordert, solange die 62-jährige Patientin noch kreislaufstabil war. Stattdessen wurde fehlerhaft die Entscheidung getroffen, das Problem durch eine überlappende Stentimplantation bis in den distalen ungeschützten Koronarhauptstamm hinein zu lösen. Es kam dabei zur Dissekation im Hauptstamm mit passagerem Komplettverschluss, schwerem kardiogenen Schock mit zerebralen Ischämien und schwerster körperlicher Behinderung sowie einem Beinverlust infolge eines Kompartmentsyndroms.
In einem anderen Fall führte eine fehlerhaft unbemerkt gebliebene unvollständige Entfernung eines Anteils des Führungsdrahtes dazu, dass mehrere Gefäßeingriffe nötig wurden, bis sich bei fehlender Heiltendenz der Wunde das verbliebene Katheterstück zeigte und entfernt werden konnte.
Bei einem Patienten erfolgte die sofort nötige Re-Intervention grob fehlerhaft erst nach über zwei Stunden, als sich bereits ein erheblicher Hinterwandinfarkt entwickelte. Bei zwei Patienten wurde trotz transfusionspflichtiger Nachblutung grob fehlerhaft zunächst kein Gefäßchirurg hinzugezogen, sodass eine Gefäßperforation mit großem retroperitonealem Hämatom zu spät operativ angegangen wurde und die Patienten jeweils an den Komplikationen verstarben. Bei einem anderen Patienten wurde ein postinterventioneller Gefäßverschluss der A. femoralis trotz entsprechender Beschwerden nicht erkannt, was zu einer verzögerten Thrombektomie mit bleibender Neuropathie am Bein führte.
Koronare Bypassoperation
Von 78 Patienten wurde die Behandlung im Rahmen einer Bypassoperation gerügt; die Vorwürfe bestätigten sich siebenmal. Zwei Behandlungsfehler betrafen die Anästhesisten, so bei einem Patienten, bei dem trotz Vorliegens mehrerer Prädiktoren für eine erschwerte Atemwegssicherung keine primäre fiberoptische Intubation erfolgte. Der Patient erlitt eine schwere hypoxische Hirnschädigung mit Todesfolge, weil die konventionelle Intubation dann über einen längeren Zeitraum hinweg nicht gelang. Im anderen Fall kam es zu einer Zahnschädigung trotz unproblematisch geschilderter In- und Extubation bei einem Patienten mit geringem Schwierigkeitsgrad. Bei ihm war zuvor der Zahnstatus fehlerhaft nicht überprüft worden. Es wurde gutachterlich davon ausgegangen, dass eine potenzielle Risikosituation bei prothetisch schlecht versorgtem Gebiss nicht erkannt wurde.
Den Herzchirurgen wurde einmal angelastet, dass sie eine Blutstillungskompresse fehlerhaft in situ belassen haben, was ein voll beherrschbares Risiko darstellt. Ein Behandlungsfehler wurde festgestellt, da es versäumt wurde, die untere Zerklage unter die sternale Faszie umzubiegen. Dies war im Röntgenbild eindeutig erkennbar und führte zu Beschwerden und einer Revisionsoperation. Die übrigen drei Behandlungsfehler betrafen die postoperative Betreuung, darunter ein zu spät erkanntes Kompartmentsyndrom in Ermangelung einer zeitgerechten Kontrolle des nach Venenentnahme angelegten Kompressionsverbandes beim noch intubierten und sedierten Patienten, mit Verbleib einer Peronaeusparese mit Spitzfußstellung. Postoperativ verkannt wurde auch eine schwere Elektrolytstörung bei ansteigenden Nierenretentionswerten, was zu einer Asystolie mit Reanimation und hypoxiebedingtem Apoplex mit Hemiparese bei dem 74-jährigen Patienten führte. Bei einem Patienten erfolgte fehlerhaft keine Beurteilung des Dekubitus-Risikos. Ein Schaden konnte allerdings nicht festgestellt werden.
Fazit für Interventionen und Eingriffe
Die kardiale interventionelle Therapie und Bypassoperationen führen zwar häufiger zur Antragsstellung; die Vorwürfe bestätigen sich jedoch selten. Grundsätzlich geachtet werden muss auf eine exakte Indikationsstellung entsprechend der Leitlinien, auf eine für den Patienten verständliche Risikoaufklärung, auf eine auch für Dritte nachvollziehbare Ablauf-Dokumentation besonders beim Eintritt von Komplikationen sowie auf eine sorgfältige Nachbehandlung. Insbesondere zu achten ist hier auf Nachblutungen, einen Re-Verschluss und Kontrollen des Beines bei angelegtem Kompressionsverband vor allem am sedierten Patienten sowie auf eine zerebrale Ischämie im Rahmen der Operation mit verzögertem Wiederaufwachen aus der Narkose. Wundheilungsstörungen am Sternum werden relativ häufig gerügt. Im Rahmen der Informationspflicht ist es bei der Entlassung notwendig, dem Patienten und den Nachbehandlern eventuell eingetretene Komplikationen und die Maßgaben zur weiteren Behandlung durch einen verständlichen Arztbrief mitzuteilen.
Literatur
[1]
Bruno RR et al. Interdisziplinäre Versorgung akuter Thoraxschmerzen. DÄ 2015, Jg.112 (45): 768-779
Dr. med. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung der Begutachtungsverfahren zuständige Referentin in der Geschäftsstelle, Dr. med. Werner Jörgenshaus und Professor Dr. med. Erland Erdmann sind Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmitglieder der Gutachterkommission für Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein.