Vorlesen
Gesundheits- und Sozialpolitik

Terminservice- und Versorgungsgesetz: Mehr Service statt besserer Versorgung

25.04.2019 Seite 21
RAE Ausgabe 5/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2019

Seite 21

von Heiko Schmitz

Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) der schwarzroten Koalition, das vor allem mehr Termine für GKV-Versicherte und einen schnelleren Zugang von GKV-Versicherten zur ambulanten Versorgung zum Ziel hat, beschäftigt die Gemüter der Ärzteschaft schon seit vielen Monaten. Seit Mitte März ist das Gesetz fertig und beschlossen – und war Gegenstand der Sonder-VV der KV Nordrhein am 30. März. KVNO-Vorstandsvorsitzender Dr. Frank Bergmann präsentierte und kommentierte die aus vertragsärztlicher Sicht wesentlichen Bestandteile des Gesetzes und klärte über die Konsequenzen der Regelungen für die KV und die Praxen auf – die in Teilen noch nicht final absehbar sind.

Steuerung in der Hand behalten

„Ich habe das äußerst zweifelhafte Vergnügen, Ihnen das TSVG näher bringen zu dürfen“, sagte Bergmann. „Im Kern geht es dem Gesetzgeber ausschließlich um mehr und schnellere Termine. Statt der von der SPD gewünschten Bürgerversicherung haben wir im ersten Schritt die Termin-Servicestelle und jetzt das Termin-Servicegesetz bekommen, das in eine rasche Folge von Gesetzen eingebunden und Ausdruck der seit Jahren ungelösten Probleme der Großen Koalition ist.“ 

Das TSVG habe jedoch nicht nur Schattenseiten. So könne die gemeinsame Plattform der Termin-Servicestelle und der Notdienst-Hotline 116117 eine sinnvolle Regelung sein, weil sie eine Steuerung der Patienten durch die KVen ermögliche. „Natürlich ist es fragwürdig, dass der Terminservice rund um die Uhr gilt. Niemand muss nachts um drei Uhr eine regulären Termin machen. Aber immerhin ist es uns gemeinsam mit der KBV gelungen, dass die Steuerung bei uns Ärzten verbleibt und nicht bei den Krankenkassen.“ Durch die große Aufmerksamkeit für das Thema nehme die Zahl der Anrufe bei der Termin-Servicestelle bereits jetzt deutlich zu. „Wir werden zukünftig einen erheblich höheren Personalaufwand haben. Bisher haben wir es hinbekommen, innerhalb der Frist zu vermitteln – das könnte künftig deutlich schwieriger werden, denn mehr Service für die Bürger vermehrt keine Arztzeit.“

Das TSVG sei ein reines Servicegesetz für Patienten und habe erstmal nichts mit einer Verbesserung der Versorgung zu tun, zumal das Thema Eigenverantwortung bei Patienten ausgeklammert wurde. Die Vorgabe bei der Mindestsprechstundenzeit beträfe dabei allein die Regelung im Bundesmantelvertrag. „Die Forderung von 25 Stunden geht an der Realität in den Praxen komplett vorbei. Wir arbeiten im Schnitt über 50 Stunden, daher ist die Regelung blanker Populismus. Sie schafft wie die neuen Vergütungsregelungen oder die Dokumentation offener Sprechstunden vor allem neue Bürokratie.“ Fazit: „Der Gesetzgeber hätte sein Misstrauen gegenüber der Ärzteschaft nicht deutlicher formulieren können, auch wenn noch wesentliche Punkte des Entwurfs entschärft oder gestrichen werden konnten“, so Bergmann. Es gebe aber nach wie vor genug, was den Niedergelassenen auf die Füße falle. Die Herausforderung bedürfe daher einer gemeinsamen Kraftanstrengung der Mitglieder und der Verwaltung.

Bernd Zimmer, Vorsitzender der KVNO-VV, stellte eine Verbindung zwischen dem Gesetz und der ärztlichen Freiberuflichkeit her: „Ich habe große Sorge, dass dieser Staat durch seine Gesetzgebung und Vorgaben unsere Freiberuflichkeit zunehmend einschränkt und versucht, unser ärztliches Handeln zu beeinflussen.“ Das beträfe auch die gesetzliche Vorgabe zum Anschluss an die Telematik-Infrastruktur (TI). „Warum stößt diese Verpflichtung auf so viele Vorbehalte? Weil die nächsten Schritte und Beschlüsse für mehr Kontrolle und Zugriff auf unsere Daten absehbar sind.“

Einstimmige Resolution gefasst

Gegenstand der folgenden Debatte um die TI war die gesetzliche Verpflichtung zum Anschluss an die TI beziehungsweise die Sanktionen für den Fall, dass nach dem 1. Juli kein Versichertenstammdatenabgleich in den Praxen stattfindet. Die KVNO stellte klar, dass es keinen Abzug von Honorar geben werde, falls Praxen bis zum 31. März verbindlich bestellt haben und das beauftragte Unternehmen bestätige, dass die Installation nicht rechtzeitig erfolgen kann. Die VV-Mitglieder beschlossen einstimmig eine Resolution, die während der Klausurtagung der VV in einer Ad hoc-Arbeitsgruppe vorbereitet worden war, und sich gegen eine Spaltung der Ärzteschaft richtet in jene, die den Anschluss an die TI herstellen, und jene, die sich bewusst dagegen entscheiden. Die Resolution kritisiert zudem unter anderem fehlende Informationen zu Sicherheitsfragen und Haftungsrisiken für die Praxen.

Am Tag vor der Sonder-VV hatten sich die KVNO-Delegierten im Rahmen ihrer zweiten Klausurtagung mit weiteren Themen wie dem Labor, dem Strukturfonds und der künftigen Ausgestaltung des ambulanten Bereitschaftsdienstes beschäftigt. Im Mittelpunkt stand dabei das im Januar gestartete Notdienst-Projekt der KV mit der Rettungsleitstelle der Stadt Köln, das eine bessere Steuerung von vermeintlichen „Notfall“-Patienten erlaubt, die tagsüber in etwa 35 Partnerpraxen ambulant versorgt werden, wenn sie keinen echten Notfall darstellen. Das Projekt sei sehr gut angelaufen, die Kommunikation zwischen der Arztrufzentrale, in der die Anrufe unter der Notdienst-Hotline 116117 eingehen, und der Integrierten Leitstelle der Feuerwehr funktioniere reibungslos, berichtete Professor Dr. Alex Lechleuthner, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in Köln.

Dr. Heiko Schmitz leitet den Bereich Presse und Medien der KV Nordrhein.