Wer den Fortbildungskongress auf Norderney besucht, bekommt erstklassige Fortbildungen und frischen Wind gratis. Bei der 88. Auflage des Kongresses Mitte Mai auf der Nordseeinsel wartete nicht nur ein außerordentlich vielfältiges Veranstaltungsangebot auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sondern auch ein umfassendes Serviceangebot der ärztlichen Körperschaften vor Ort.
von Sabine Schindler-Marlow
„Die Zutaten für das Erfolgsrezept der Nordrheinischen Fortbildungskongresse bestehen aus qualitätsgesicherten Veranstaltungen, qualifizierten Referenten, interdisziplinärem Austausch und Erholung“, sagte Professor Reinhard Griebenow, Vorsitzender des Fortbildungsausschusses der Ärztekammer Nordrhein, auf der Eröffnungsveranstaltung des 88. Fortbildungskongresses. Der Stadt Norderney dankte Griebenow dabei für die über die Jahre gewachsene gute Zusammenarbeit und die reibungslose Unterbringung der vielfältigen Veranstaltungen, trotz der im letzten Jahr geschlossenen Räumlichkeiten des Kongresscenters „Haus der Insel“. Erneut sei es gelungen, 73 Referenten für insgesamt rund 40 Veranstaltungen, Kurse und Seminare zu gewinnen. „370 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei dem Frühlingskongress auf Norderney sind Ausdruck dafür, dass das Programm den vielfältigen Fortbildungsinteressen der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzten entgegenkommt“, freute sich Griebenow, der sich gleichzeitig auch bei seinem Kollegen Dr. Götz Frieder Hutterer, stellvertretender Fortbildungsbeauftragter der Ärztekammer, für die seit nunmehr zehn Jahren gemeinsam vorgenommene Vorbereitung der Norderneykongresse bedankte.
Einen Rückblick auf die Geschichte der ärztlichen Selbstverwaltung und einen Ausblick auf die zukünftigen Aufgaben der Ärztekammer Nordrhein in einer zunehmend digitalisierten Welt nahm Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, vor. In seiner Festrede „5 vor 24 – Ärztliche Selbstverwaltung – gestern –heute – morgen“ ging Henke der Frage nach, welche historischen Weichenstellungen zur Gründung der ärztlichen Selbstverwaltung geführt haben, welche Aufgaben ihr in ihrer knapp 150-jährigen Geschichte beigemessen wurden und vor welchen Herausforderungen die Selbstverwaltung aktuell und in Zukunft stehen wird. „Ärztliche Selbstverwaltung ist entstanden, weil Ärzte Mitte des 19. Jahrhunderts ein gemeinsames Berufsethos und eine gemeinsame Ausbildung etablieren wollten, um die Ärzteschaft hierüber zu einen. Ärzte wollten Qualität und Wissenschaftlichkeit fördern und das Recht erhalten, Kollektivverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen zu schließen, um der Willkür der Krankenkassen, die 1883 eingerichtet wurden, etwas entgegenzusetzen,“ erläuterte Henke. Diesem Ansinnen sei mit der Einrichtung einer ärztlichen Standesvertretung 1887 – der Geburtsstunde der Ärztekammern – durch Wilhelm, König von Preußen, entsprochen worden.
Selbstverwaltung – das bedeutete damals wie heute – eine hohe Verantwortung gegenüber dem einzelnen Patienten und gegenüber dem Gemeinwohl sowie eine Verständigung auf ethische Positionen als Basis ärztlicher Berufsausübung, so Henke. Die ärztliche Berufsordnung, der das ärztliche Gelöbnis in Nordrhein vorangestellt sei, schreibe diese Werte fest. Sie ist die Richtschnur, mit der die Ärzteschaft auch zukünftige Herausforderungen der Gesundheitsversorgung und der Medizin bewerten und einordnen müsse. Und obwohl die ärztliche Berufsordnung die wichtigsten ethischen Grundsätze enthalte, bleibe der Selbstverwaltung stets eine erhebliche Detailarbeit, wenn sie bestimmen wolle, was die Normen ärztlichen Handelns beispielsweise bei der Einführung neuer Technologien und Behandlungsmethoden konkret bedeuten. Die ethischen Fragen und Schwierigkeiten des ärztlichen Alltags, man denke beispielsweise an die aktuelle Diskussion um die PID, die Stammzelltransplantation oder um die Widerspruchslösung bei der Organspende, könnten über die Berufsordnung allein nicht gelöst werden. Hier bedürfe es stets auch eines gesellschaftlichen Konsenses, in dessen Entscheidungsprozess sich die ärztliche Selbstverwaltung durch Expertise und ethische Fundierung immer wieder einmischen müsse.
Eine weitere Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung sieht der Kammerpräsident auch zukünftig darin, die Freiberuflichkeit, die die Kollegen vor 200 Jahren beginnend erkämpft haben, zu verteidigen. „Wir brauchen die Freiberuflichkeit als Prinzip ärztlicher Verantwortung und wir brauchen eine Selbstverwaltung, die Spielräume zur Gestaltung besitzen und nicht nur gesetzliche Vorgaben umsetzen muss.“
Gestaltungsspielräume seien aktuell besonders gefragt, wenn es um den Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen gehe. „Ja, die Ärzteschaft hat bei der Einführung der Gesundheitskarte lange auf der Bremse gestanden. Und nein, die Ärzteschaft ist deshalb nicht allgemein technologie- oder digitalisierungsfeindlich. Aber wir finden eben, dass Digitalisierung im Gesundheitswesen kein Selbstzweck ist, sondern dem Patienten dienen und ethisch vertretbar sein muss. Nicht alles, was technisch machbar ist und dem Profit der Wirtschaft dient, ist für die Patientenversorgung sinnvoll“, bekräftigte Henke. „Und deshalb müssen wir auch genau schauen, wenn wir nun über das ‚Digitale Versorgung Gesetz‘ unseren Patienten zukünftig Gesundheits-Apps für das Handy, ähnlich wie Arzneimittel, verschreiben sollen. Ich denke, dass wir das nur dann tun können, wenn wir sicher sind, dass der Einsatz dieser Apps auch einen Zusatznutzen für unsere Patienten hat, Transparenz über Hersteller und Algorithmen herrscht, Haftungsfragen geklärt sind und der Datenschutz gewährleistet ist“, so Henke. „Wir werden uns in unseren Kammergremien zukünftig noch intensiver mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens beschäftigen müssen. Wir brauchen hier mehr Expertise in Aus-, Fort- und Weiterbildung. Wir werden uns in einer offenen und gleichermaßen kritischen Haltung diesen Veränderungen zuwenden. Und wir werden darauf achten, dass dabei das Wichtigste in unserem Beruf nicht verloren geht: die persönliche und auf Vertrauen basierende Arzt-Patienten-Beziehung.“