Telemedizinische Anwendungen haben längst im deutschen Gesundheitswesen Einzug gehalten, allerdings nur dort, wo sie Akteure mit Pioniergeist vorantreiben.
von Jürgen Brenn
„Glasfaser bis zur letzten Milchkanne“, forderte Ulrike Röhr, Präsidentin des Landfrauenverbandes Schleswig-Hostein. Sie berichtete auf dem Kongress „Versorgungsgerechtigkeit statt Wohnortzufall“ in Düsseldorf über Probleme und Erwartungen an die digital unterstützte Medizin von morgen in strukturschwachen Regionen. Damit telemedizinische Anwendungen wie Tele-Monitoring, -Sprechstunde oder -Konsile funktionieren, müssten Breitbandanbindungen in der Fläche gewährleistet sein. Dies sei vor allem eine Aufgabe der Politik.
Technik ohne Ärzte ist nutzlos
In Nordrhein-Westfalen hat sich in puncto telemedizinische Modellprojekte viel getan, auch mit Unterstützung der Landesregierung. Zahlreiche Akteure mit „Pioniergeist“ hätten sich engagiert, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin e.V., Professor Dr. Gernot Marx. Es sei Zeit, das Gesundheitssystem in Deutschland geordnet in die Zukunft zu überführen. Dies sollten alle Beteiligten gemeinsam in die Hand nehmen, sonst kämen kommerzielle Akteure, warnte Marx mit Blick auf Gesundheitsanwendungen von großen Internetkonzernen, die das Gesundheitssystem als lukrativen Markt für sich entdeckt haben.
Jede noch so sinnvolle und zweckmäßige telemedizinische Anwendung sei nutzlos, wenn keine Ärzte, Pfleger oder andere Gesundheitsberufsgruppen da seien, die diese nutzen könnten. Deshalb plädierte Dr. Edmund Heller, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen dafür, vor lauter Begeisterung für innovative Ansätze nicht die Patienten und vor allem die ärztlichen Nachwuchsförderung zu vergessen. „Man kann Ärzte nicht durch Technik ersetzen“, so Heller. Er sehe das Potential bei telemedizinischen Anwendungen vor allem in der Verbesserung der Versorgungsqualität und in der Entlastung und Zeitersparnis der Ärztinnen und Ärzte. Zeit, die für Arzt-Patienten-Gespräche genutzt werden könne.
Strukturen für Regelversorgung fehlen
Ein weiteres Plus der Digitalisierung sei, dass damit das Gefälle der Versorgungsqualität zwischen Stadt und Land abgebaut werden könne. Um die Expertise eines Spezialisten einzuholen, ist es dank Tele-Konsilen nicht mehr nötig, diesen persönlich aufzusuchen. Heller räumte ein, dass einer der größten Hemmschuhe bei der flächendeckenden Etablierung vieler Projekte derzeit der Übergang vom Modell zur Regelversorgung ist. Heller appellierte an die Innovationsfreudigkeit aller Akteure: „Angesichts der Schnelligkeit der Entwicklungen sind preußische Planungsmethoden nicht angebracht.“ Auch Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Nordwest und Mitglied des Aufsichtsrates des Zentrums für Telematik und Telemedizin (ZTG), zeigte auf dem Kongress Risikobereitschaft. Es fehlten derzeit geeignete Konstrukte, um Anwendungen in die Regelversorgung zu überführen. Oft fehle auch der Nachweis der Evidenz, aber dieser könne später erfolgen, so Ackermann. Vieles gehe ihm zu langsam, denn zahlreiche Modelle scheiterten an Detailfragen oder warteten auf Fördergelder beispielsweise aus dem Investitionsfonds. Dies sei bei den vielen drängenden Themen, die mit telemedizinischen Anwendungen flankiert werden könnten, oft nicht nötig, so der Vertreter der Gesetzlichen Krankenkassen und forderte: „Wir müssen uns endlich gemeinsam bewegen und die Flächendeckung von Telemedizin und Telematik in Verträge übersetzen.“ Die Finanzierung sei nicht das Problem, so Ackermann.
Innovationsfreude oder der nüchterne Blick auf die Herausforderungen, die auf das Gesundheitssystem zukommen, stoßen bei genauerem Hinsehen rasch an die Grenzen der Bürokratie. So berichtete beispielsweise der Landrat des Oberbergischen Kreises, Ralf Schmallenbach, über das Projekt „Oberberg_Fairsorgt“, mit dem die Versorgung von Pflegebedürftigen gesichert und allgemein die gesundheitliche Versorgung gestärkt werden soll. Konkret gehe es um die Vernetzung der regionalen Partner und die Koordinierung der Notfallversorgung von pflegebedürftigen Menschen im Kreis mit telemedizinischer und telematischer Unterstützung. Dafür habe der Kreis vor über einem Jahr Fördergelder aus dem Innovationsfonds des Bundes beantragt und warte derzeit auf den endgültigen Bescheid, um starten zu können. Schmallenbach berichtete von den zahlreichen bürokratischen Hürden, die unter anderem den Projektstart hinauszögerten.
„Die beste Lösung ist die, die wir morgen anfangen umzusetzen“, sagte Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein e.V. und Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein. „Wir Hausärzte haben keine Berührungsängste, wenn es darum geht, regional mit Pflege oder Physiotherapeuten digital unterstützte Netze aufzubauen.“ Aus hausärztlicher Sicht wäre ein sinnvoller Einsatz digitaler Anwendungen zum Beispiel die Integration und Verfügbarkeit aller Behandlungsdaten am „Point of Care“. Eine konsistente Datenhaltung würde das Datenmanagement deutlich verbessern und den Austausch zum Beispiel mit Pflegediensten erleichtern. Auch könne er sich vorstellen, dass die Personalkoordination vor Ort durch digitale Unterstützungslösungen verbessert werden könne.