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Künftige Kollegen statt nur billige Klammernhalter

18.03.2019 Seite 18
RAE Ausgabe 3/2019

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2019

Seite 18

  • PJ-Umfrage 2018 des MB © MB
  • Auf die unzureichende Aufwandsentschädigung machten beim Aktionstag die Medizinstudierenden auch in München lautstark aufmerksam. © bvmd

In zahlreichen Unikliniken und Lehrkrankenhäusern liegt bei der Betreuung von Medizinstudierenden im Praktischen Jahr noch vieles im Argen. Ein bundesweiter Aktionstag machte auf die Missstände aufmerksam.

von Jürgen Brenn

Mit Informationsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Demonstrationen machten über 4.500 Medizinstudentinnen und -studenten am PJ-Aktionstag Mitte Januar auf die schlechte Situation im Praktischen Jahr (PJ) in Deutschland aufmerksam. Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) bemängelt: „Während in diesem Studienabschnitt eigentlich die notwendigen praktischen Fertigkeiten vertieft werden sollten, dienen Medizinstudierende in vielen Kliniken als kostenlose oder günstige Arbeitskräfte für nicht lehrbezogene Aufgaben und die vorgesehenen Lernziele werden kaum vermittelt.“ Vor allem an der unterschiedlich ausfallenden und zumeist geringen Aufwandsentschädigung entzündet sich immer wieder die Kritik. Konkret fordert der bvmd eine Aufwandsentschädigung in Höhe des BAföG-Höchstsatzes inklusive Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeitrag, was derzeit 735 pro Monat entspricht. Ohne Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge liegt der Höchstsatz bei 649 Euro monatlich. Der persönliche Zugang zum Patientenverwaltungssystem der Kliniken, eigene Arbeitskleidung und eigene Aufbewahrungsmöglichkeiten für Kleidung und persönliche Gegenstände gehören an vielen Unikliniken und Lehrkrankenhäusern nicht zur Grundausstattung für PJler und stehen deshalb ebenso auf der Liste der Forderungen des bvmd.

Erfahrungen sehr unterschiedlich

„Wenn Lehre stimmt, Respekt und der Umgang gut sind, kann ich es in Kauf nehmen, keine oder wenig Entschädigung zu erhalten, aber wenn man eben ein namenloser Hiwi ist, fühlt man sich doch irgendwie auch ‚verarscht‘. Es wird wirklich Zeit, dass sich da was tut.“ Deutliche Worte fand die Kölner Medizinstudentin Anja Klutsch zu ihren Erfahrungen, die sie während ihrer Stationen im PJ gesammelt hat. Sie absolvierte die Abschnitte in Großbritannien, Dormagen und Berlin. Sie berichtet über die unterschiedliche Qualität der Betreuung und Behandlung der PJler am Rhein und an der Spree: „Im Kölner Lehrkrankenhaus in Dormagen gab es 400 Euro Aufwandsentschädigung, bei meinem PJ-Tertial in Berlin gab es überhaupt nichts.“ Auch Philipp Linde, der ebenfalls in Köln Medizin studierte, bekam an der Uniklinik Köln 400 Euro.

Der Marburger Bund (MB) befragte im vergangenen Jahr knapp 1.300 Medizinstudierende zu ihrer Situation im PJ. Dabei gaben 17 Prozent an, keine Aufwandsentschädigung erhalten zu haben. 33 Prozent kamen auf bis zu 300 Euro monatlich und 44 Prozent der Befragten gaben an, im Durchschnitt zwischen 300 und 649 Euro als Entschädigung erhalten zu haben.

Auch bei der Qualität der Aufgaben und PJ-Betreuung machte Klutsch sehr unterschiedliche Erfahrungen: „Dormagen war klasse, was Betreuung und Organisation anging.“ Die Lehre sei gut organisiert gewesen und „man wurde gut eingeführt“. Ähnliches berichtet Philipp Linde über sein Tertial in der Palliativmedizin in Köln und der Inneren Medizin des St. Elisabeth-Krankenhauses in Leipzig. An beiden Orten seien die Anforderungen an ihn seinem Ausbildungsstand angemessen gewesen und eine gute „Vorbereitung auf das kommende Arbeitsleben“, so Linde, der mittlerweile Arzt in Weiterbildung ist. An der Berliner PJ-Station lässt Klutsch kein gutes Haar: „Da ist man einfach kostenlose Hilfskraft, von der alle gern Gebrauch machen. Teilweise ist man nämlich echt eine Hilfe, da man Blut abnimmt, Briefe schreibt sowie Aufnahmen macht und somit die Stationsärzte deutlich entlastet. Und das umsonst! Wenn man sich die Unterkunft und sonst alles finanzieren muss, hat man kaum Zeit nebenher noch zu arbeiten“, kritisiert Klutsch.

Neben der Aufwandsentschädigung gestaltet sich auch die zeitliche Beanspruchung der PJler in den Häusern sehr unterschiedlich. Eng hängt damit zusammen, ob Zeit bleibt, den Unterhalt über einen Job zu finanzieren. Nach der MB-Umfrage 2018 verbrachten 63 Prozent der Befragten zwischen 40 und 50 Stunden pro Woche in der Klinik, acht Prozent sogar zwischen 50 und 60 Stunden und ein Prozent über 60 Stunden. Laut Approbationsordnung, in der das PJ geregelt ist, sollen die Studierenden „in der Regel ganztägig an allen Wochenarbeitstagen im Krankenhaus anwesend sein“, was regelmäßige Anwesenheitszeiten von mehr als 40 Stunden pro Woche und zusätzliche Dienste ausschließt, wie der MB mit Blick auf die Umfrageergebnisse feststellt. Jeder fünfte der Befragten (21 %) habe angegeben, dass er auch Dienste außerhalb der täglichen Anwesenheitszeit leisten musste wie in der Nacht oder an Wochenenden. „Eine solche Verpflichtung verstößt gegen die Approbationsordnung und widerspricht eklatant dem Ausbildungscharakter des PJ“, kommentiert der MB die Umfrageergebnisse.

Auch wenn die PJler viel Zeit in den Kliniken verbringen, findet eine systematische, fachliche Betreuung nicht oder unzureichend statt. So kritisiert auch die Bundesärztekammer anlässlich des Aktionstages: Angesichts der angespannten Personalsituation auf den Stationen bleibe zu wenig Zeit für den eigentlichen Zweck des PJ, die Wissensvermittlung. Der Präsident der Bundesärztekammer Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery bekräftigte die Forderung des Deutschen Ärztetages 2018, die Qualität des PJ durch eine hochwertige praktische Lehre mittels zusätzlichen, für die Lehre freigestellten ärztlichen Personals zu verbessern. Er sagte: „PJ-Studierende sind keine kostenlosen Stationshilfen, sondern angehende Ärztinnen und Ärzte. Sie sollen im Rahmen ihres Praktischen Jahres auf ihre verantwortungsvolle Tätigkeit in der Patientenversorgung vorbereitet werden. Einsparungen bei der Qualität der ärztlichen Ausbildung gehen immer auch auf Kosten der Patientensicherheit.“ Der bvmd fordert bezüglich des praktischen Ausbildungscharakters des PJ, dass mindestens vier Stunden für Lehrveranstaltungen und acht Stunden für das Selbststudium pro Woche reserviert seien müssten. Die Interessenvertretung der Medizinstudierenden verlieh ihren Forderungen nach einer strukturellen und qualitativen Verbesserung des PJ über eine Online-Petition Nachdruck, die bis Mitte Februar über 106.000 Unterstützer gefunden hatte.

Die Zeit spielt für PJler

Insgesamt stehen den Medizinstudierenden in Deutschland rund 680 akademische Lehrkrankenhäuser zur Verfügung, wie der Medizinische Fakultätentag (MFT) mitteilte. Nach Angaben der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) befinden sich davon 149 in NRW und davon wiederum 97 in Nordrhein. Die Anzahl der Lehrkrankenhäuser hat sich laut KGNW-Präsident Jochen Brink sowohl in NRW als auch bundesweit in den vergangenen Jahren vergrößert. Auch in Bezug auf Qualität und Struktur der Ausbildung sieht die Krankenhausgesellschaft Fortschritte. „Diese Entwicklung wird sich aus unserer Sicht auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachkräftemangels und des intensivierten Engagements der Krankenhausträger fortsetzen“, so Brink. Der MFT teilt die Bedenken der Studierenden, was ihre Aufgaben im PJ betreffen. Die Sprecherin des MFT Dr. Corinne Dölling betont, dass die PJler „nicht als günstiger Ersatz für fehlendes Pflege- oder Ärztepersonal herhalten“ dürften. „Deshalb ist es umso wichtiger, klare Aufgaben und geregelte Betreuungsverhältnisse festzulegen.“ Hier sieht der MFT die Fakultäten in der Pflicht, da sie mit den Lehrkrankenhäusern entsprechende Verträge abschließen. Der MFT sei hier unterstützend tätig, etwa mit der Entwicklung von Musterlogbüchern für das PJ. Auch beschäftige sich eine Arbeitsgruppe mit der kompetenzbasierten PJ-Ausbildung, um den Fakultäten entsprechende Empfehlungen geben zu können. In puncto Aufwandsentschädigung betont Dölling, dass das PJ Teil des Studiums sei und keine Berufsausbildung oder gar eine berufliche Tätigkeit im Sinne eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Sie stellte auch klar, dass „kein grundsätzlicher Vergütungsanspruch im PJ“ bestehe. Dennoch bedürfe es Lösungen von Seiten der Politik, ohne die Fakultäten finanziell zu belasten, um den finanziellen Bedürfnissen der PJler Rechnung zu tragen. Ähnlich äußert sich der KGNW-Präsident und sieht das Bundesgesundheitsministerium in der Pflicht, durch gesetzliche Regelungen wie die Änderung der Approbationsordnung, Refinanzierungsmöglichkeiten der zusätzlichen Anforderungen auf den Weg zu bringen. Dazu zählt Brink auch die für die Lehre freizustellenden Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken.

So wie die ehemaligen PJler Klutsch und Linde berichten, sieht die Situation in Nordrhein für PJler nicht allzu schlecht aus. Der Sprecher der Uniklinik Aachen Dr. Mathias Brandstädter betont, regional gebe es Unterschiede bei der Betreuung der PJler. Er stelle derzeit allerdings fest, dass PJler von den Kliniken umworben werden und die Häuser den angehenden Ärztinnen und Ärzten vor allem mit Blick auf ein zukünftiges Anstellungsverhältnis etwas bieten müssten und dies auch tun würden. Die Häuser hätten ein Interesse, angehende Ärztinnen und Ärzte an das Haus zu binden, so Brandstädter. Nach Auskunft der Uniklinik Bonn (UKB) kooperieren derzeit 15 Lehrkrankenhäuser mit der Bonner Medizinfakultät. Die Aufwandsentschädigung liege am UKB bei 400 Euro monatlich. Dazu kommt noch ein täglicher Essenszuschuss von 5 Euro, wie Susanne Wagner von der dortigen Pressestelle mitteilt. Da die Lehrkrankenhäuser autonom über die Höhe der Aufwandsentschädigung bestimmen, gebe die Uniklinik in den Kooperationsverträgen die Empfehlung, sich an der Höhe des UKB zu orientieren. Wagner betont für das UKB, „dass sowohl die Vergütung des PJ als auch der Umfang der Zeiten für das Selbststudium bundesweit einheitlich geregelt“ werden sollten. Damit würde die Qualität der Betreuung und nicht die Rahmenbedingungen im Vordergrund der Standortwahl für die PJler stehen. Auch könnte ein „Abwerbewettbewerb unter den Lehrkrankenhäusern“ auf diese Weise vermieden werden. Wagner informierte, dass das UKB das Innovationscluster für das PJ leitet, das wichtige Impulse für die Verbesserung der Qualität des PJ gebe, beispielsweise die PJ-Einführungswoche.

In Nordrhein ist Bewegung

Mit Blick auf einheitliche Regelungen äußerte sich Susanne Dopheide von der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ähnlich. Eine bundeseinheitliche Aufwandsentschädigung wäre grundsätzlich gerechter gegenüber den Studierenden und würde auch einer Konkurrenz der Krankenhäuser vorbeugen. Mit der Medizinischen Fakultät in Düsseldorf sind derzeit 17 Kliniken verbunden. An der Uniklinik selbst werde derzeit eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 573 Euro inklusive Essenszuschuss und den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt. Am Essener Universitätsklinikum erhalten die PJler eine Aufwandsentschädigung von 500 Euro und einen Essenszuschuss von 60 Euro. Damit sind nach Aussage des Studiendekans Professor Dr. Joachim Fandrey die PJ-Studierenden „im Großen und Ganzen“ zufrieden. Den insgesamt 18 Lehrkrankenhäusern der Medizinischen Fakultät der Uni Duisburg-Essen sei freigestellt, bis zur BAföG-Höchstgrenze, wie in der Approbationsordnung verankert, eine Aufwandsentschädigung zu zahlen. Auch in Essen bemühe man sich, die Situation rund um das PJ zu verbessern und habe zum Beispiel als strukturierte Einführung und Weiterbildung während des PJ eine Einführungswoche etabliert. Auch werden Krankenhäuser, die eine Kooperation mit der Uni Duisburg-Essen anstreben, seit 2018 vor Ort unter die Lupe genommen. Bei dieser Begehung würden vor allem die Betreuungsstruktur, die Möglichkeiten zum Eigenstudium und die Zuständigkeiten geklärt, wie Fandrey erläutert.

Auch wenn die Rahmenbedingungen für das PJ stimmen müssen, so ist ein kollegialer Umgang ebenso wichtig. Philipp Linde antwortete auf die Frage, was er sich an Veränderungen wünscht: „PJler respektvoll als künftige neue Kolleginnen und Kollegen behandeln.“