Der Wuppertaler Hausarzt Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, ist seit dem 21. November 2018 Vorsitzender des Verbandes Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen (VFB NW), der auch von der nordrheinischen Ärztekammer getragen wird. Das Rheinische Ärzteblatt sprach mit Zimmer über aktuelle Bedrohungen durch Finanzinvestoren, eine nachlassende politische Wertschätzung und die im 21. Jahrhundert wahrscheinlich wertvollste Fähigkeit des Freiberuflers: die Bewertung von Informationen.
von Bülent Erdogan
„Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf“, heißt es in § 1 Abs. 2 Bundesärzteordnung. Nach § 1 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz ist der Freiberufler ein Selbstständiger, der „auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit erbringt“. Diese Freiberuflichkeit, in der Bundesärzteordnung auch für die angestellten Ärztinnen und Ärzte verbrieft, zu erhalten und ihr wieder zu mehr Ansehen in Politik und Gesellschaft zu verhelfen, das hat sich der Wuppertaler Hausarzt Bernd Zimmer zum Ziel gesetzt. Der Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein wurde im November gemeinsam mit einem neuen Vorstand zum neuen Vorsitzenden des Verbandes Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen (VFB NW) gewählt.
Die Gemeinsamkeit der freien Berufe, die sich von der ärztlichen Tätigkeit bis hin zum Fahrlehrer oder Restaurator erstrecke, so Zimmer, basiere immer auf dem Grundgedanken, „dass derjenige, der den Beruf in einem bestimmten Umfeld, am Ort der persönlichen Wahl, mit einer definierten Zielsetzung und mit einem ganz persönlichen Gepräge ausübt, immer eine Wirkung in die Bevölkerung hinein entfaltet, dort den Wettbewerb mit anderen sucht im Wissen, dass links und rechts von ihm Wettbewerber zu den gleichen Bedingungen unterwegs sind. Das Ergebnis für die Menschen ist Wahlfreiheit, sei es als Mandanten oder Klienten oder eben bei der freien Arztwahl.“
Doch das Umfeld für die Ärzteschaft und andere Freiberufler werde schwieriger, so Zimmer: „Die Ärzteschaft war in ihrer Freiberuflichkeit in Deutschland noch nie so bedroht wie heute.“ In den vergangenen Jahrzehnten habe der Gesetzgeber mit Instrumenten wie der Bedarfsplanung oder der Budgetierung stark in die freiheitliche Berufsausübung von Ärztinnen und Ärzten eingegriffen (siehe auch den Artikel im Anschluss). „Jetzt werden wir aber auch von einer anderen Entwicklung unmittelbar bedroht, die nicht vom Staat ausgeht. In Zeiten des Nullzinses ist das Gesundheitswesen in den Fokus von Kapitalanlegern geraten, deren Interesse allein dem Profit gilt. Diese Investoren nutzen das Vehikel des Medizinischen Versorgungszentrums und kaufen massiv Vertragsarztsitze auf.“ Mittels dieser Zentren würden Versorgungsungleichgewichte gefördert und Vertragsarztsitze zudem „unsterblich“, da die Praxis nicht wie bisher an die Allgemeinheit „zurückfällt“, wenn der Niedergelassene seine Tätigkeit aufgibt. Junge Ärztinnen und Ärzte, die eine Niederlassung anstreben, könnten mit den von den Finanzinvestoren gezahlten Preisen nicht mithalten, während abgabewillige Niedergelassene froh darüber seien, dass sie für ihre Praxen, die am Anfang der Karriere als Selbstständige einst ein gewichtiger Bestandteil der Altersvorsorge gewesen seien, überhaupt noch einen substanziellen Verkaufspreis erzielen könnten, sagt Zimmer.
In einzelnen Regionen und Bereichen wie dem Labor, der Radiologie (Zimmer: „Und bald vielleicht auch der Gendiagnostik“), drohe die Bildung von Monopolen. Und wenn Monopole erst einmal existierten, bestimmten diese am Ende auch die Preise. Ärztekammer und KV Nordrhein fordern daher Transparenz über den Kaufpreis eines Vertragsarztsitzes und die Begrenzung der Zahl der Sitze je MVZ.
‚Na, dann eben keine eigene Praxis‘ – das mag sich so manch junger Klinikarzt, gerade in den weiterhin begehrten Städten der Rheinschiene, da denken. Zumal der Alltag auf vielen Klinikfluren durchaus dazu geeignet erscheint, die Freiberuflichkeit mental ganz weit wegzudrücken. Doch die Option einer freiberuflichen selbstständigen Tätigkeit in der Niederlassung sei gerade für die jüngeren Ärztekohorten entscheidend, so Zimmer. „Denn je mehr die Kliniken die Mitarbeiter mit Großkonzernstandards in Bahnen pressen, in denen die Mitarbeiter nicht hinein wollen, desto wichtiger ist die Alternative. Wenn aber vor der Türe das MVZ eines Private-Equity-Fonds wartet, oder lassen Sie es selbst einen klassischen Gesundheitskonzern sein, dann sind die Bedingungen für Kollegen hier wie dort wahrscheinlich gleich. Und dann bleibt für viele nur das Ausland, um dort den freien Beruf ausüben zu können, die Privatpraxis oder die innere Kündigung. Für den sozialen Frieden und die gesundheitliche Daseinsvorsorge sind das keine guten Aussichten.“
Zwar lobt Zimmer das Engagement des Landes NRW für eine stärkere Regulierung von Finanzinvestments in der ambulanten ärztlichen Versorgung. Insgesamt aber sieht er Tendenzen, dass der Gesetzgeber den Zusammenhang zwischen der Freiberuflichkeit von Professionen wie Ärzten oder Anwälten oder Steuerberatern und der Freiheit der Bürger, auf der Suche nach Rat und Hilfe eine Wahl treffen zu können, immer weniger wahrzunehmen vermag. „Im Bereich der Gesundheitsversorgung ist das existenziell. Es schränkt die individuelle Versorgung massiv ein.“ Über alle Berufe hinweg gelte es daher „unsere Freiberuflichkeit vom Typ des Unternehmers mit Allgemeinwohlverpflichtung gegen rein profitorientierte Kapitalgeber im Bestand zu sichern und den Gemeinwohlansatz für die Bevölkerung zu erhalten“.
Ein Feld, auf dem sich Kapitalgeber ebenfalls tummeln, ist das der Künstlichen Intelligenz (KI). Dass Algorithmen Freiberuflern wie Ärzten eines Tages den Garaus machen, glaubt Zimmer indes nicht, im Gegenteil: „Auch und gerade wir Ärzte werden diejenigen sein, die mit der Digitalisierung eine erheblich höhere Arbeitszufriedenheit werden erzeugen können. Und wir werden mehr denn je gebraucht werden. Was die Künstliche Intelligenz an differenzialdiagnostischen Erwägungen und an Therapievorschlägen machen wird, das muss gewichtet werden, denn nicht alles, was gemäß Algorithmus medizinisch sinnvoll erscheint, ist für den jeweiligen Patienten auch das Richtige.“ Neben der Interpretation und Gewichtung von Information gehe es eben auch um die Begleitung des – zuweilen auch eigenwilligen – Patienten durch den Therapieprozess. Hierbei seien die Ärzte stärker denn je im Vorteil, sagt Zimmer.
Die Freien Berufe in NRW
Im Verband Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen haben sich die Spitzenorganisationen der Ärzte- und Zahnärzteschaft, die Apotheker, Anwälte, Architekten, vereidigten Buchprüfer, Grafik-Designer und Kulturschaffende, Ingenieure, Notare, Patentanwälte, Restauratoren, Steuerberater, Tonkünstler, Veterinäre und Wirtschaftsprüfer organisiert. Die Zahl der selbstständig tätigen Freiberufler in NRW liegt derzeit bei 272.000, zusammen bieten sie knapp 700.000 Menschen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Anstellung, davon etwa 43.000 Azubis. www.vfb-nw.de