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Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik: Ungewöhnlich heller Reflex im rechten Auge eines zehn Monate alten Mädchens


Folge 75 der Reihe Zertifizierte Kasuistik

von Katharina Wall, Philipp Möller und Bettina Wabbels

 

Fallauflösung

In der vorliegenden Kasuistik handelt es sich um eine einseitige kongenitale Katarakt idiopathischer Genese.

Anhand der klinischen Befunde und des hohen Risikos der Entwicklung einer Amblyopie mit dauerhafter Visusminderung wurde eine zeitnahe operative Versorgung indiziert.
Die Operation erfolgte zehn Tage nach Erstvorstellung in Allgemeinanästhesie. Wir führten eine Lentektomie über korneale Parazentesen durch. Nach der vorderen Kapsulorhexis erfolgte anschließend die Linsenabsaugung.

Die Parazentesen wurden mittels 10-0 Vicryl Einzelknüpfnähten verschlossen.
Postoperativ zeigte sich eine leichte Rötung der Konjunktiva mit dezenter Chemosis bei ansonstem reizfreiem Befund. Es erfolgte eine topische Nachbehandlung mit lokalen Steroid- und Antibiotikatropfen. Die Rötung und Schwellung der Bindehaut war im Verlauf deutlich regredient, sodass sie nach 20 Tagen vollständig abgesetzt werden konnte. 

14 Tage nach dem Eingriff, erfolgte die Anpassung einer ersten formstabilen Kontaktlinse für das rechte Auge und eine entsprechende Schulung der Eltern bezüglich der Handhabung. Außerdem wurde eine Okklusionstherapie des linken Auges über die halbe Wachzeit initiiert.
Im weiteren Verlauf sind regelmäßige Kontrollen in unserer kinderophthalmologischen Sprechstunde, mindestens alle drei Monate, mit Durchführung regelmäßiger Skiaskopien, Überprüfung der Okklusionstherapie sowie Anpassung refraktionsentsprechender Kontaktlinsen geplant.

Diagnostik und Therapie der kongenitalen Katarakt

Epidemiologie und Screening

Die klinisch-relevante kongenitale Katarakt stellt mit einer von 3.000 Geburten eine seltene Entität dar, deren frühe Feststellung jedoch für die visuelle Entwicklung des Kindes unabdingbar ist [1]. Für die klinische Relevanz ist maßgeblich, dass die Trübung eine Visusreduktion beziehungsweise eine Minderung des optischen Eindrucks auf der Netzhaut verursacht. Dabei spielen Größe, Morphologie, Position der Trübung sowie ein uni- oder bilaterales Auftreten eine entscheidende Rolle. Linsentrübungen ohne klinische Relevanz sind mit einem Auftreten von eins zu 200 Geburten deutlich häufiger zu finden [2].

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat zur Früherkennung einer angeborenen Katarakt bereits ab der U2-Untersuchung in der Kinder-Richtlinie Augenuntersuchungen festgelegt. In der U2- (3.-10. Lebenstag) und der U3- (4.-5. Lebenswoche) Untersuchung erfolgt der Transilluminationstest zur Feststellung von Trübungen der optischen Medien. Außerdem sollte dem stets eine Inspektion der Augen zum Ausschluss morphologischer Auffälligkeiten (zum Beispiel Ptosis, Nystagmus, Buphthalmus) vorausgehen [3]. Ab der U4- (3.-4. Lebensmonat) Untersuchung wird zusätzlich der Brückner-Test vorgeschrieben, der zur Beurteilung des Fundusrotreflexes dient. Hierbei können neben einer Leukokorie auch Refraktionsfehler und ein Strabismus detektiert werden [3].

Den pädriatischen Kolleginnen und Kollegen wird somit eine hohe Verantwortung zu Teil, denn häufig stellen sie die Erstdiagnose. Jede Leukokorie beim Kind ist als „Notfall“ anzusehen und sollte innerhalb weniger Tage beim Augenarzt abgeklärt werden.

Ursachen

Die Ursachen der Entstehung einer uni- oder bilateralen kongenitalen Katarakt sind vielfältig. Hierbei ist die entzündliche und infektiöse Genese von der genetischen sowie idiopathischen zu unterscheiden.

Ungefähr die Hälfte der kongenitalen Katarakte wird durch genetische Aberrationen verursacht. Hierbei stellt die autosomal-dominante Vererbung die häufigste Form dar [4].

Es sind jedoch auch Trisomien (13, 18, 21) oder chromosomale Deletionssyndrome (5p, 18p) mit dem Auftreten einer kongenitalen Katarakt assoziiert [5].

Neben den genetischen Ursachen spielen auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Galaktosämie, Mukopolysaccharidosen und Morbus Wilson eine Rolle bei der Genese [5]. Dabei wird die Galaktosämie über das Neugeborenen-Screening abgebildet.

Unter den infektiösen Ursachen sind vor allem die TORCH-Infektionen zu nennen. Darunter zählen Toxoplasmose, Röteln, Cytomegalie, Herpes-simplex und andere wie zum Beispiel HIV und Lues [5].

Die Ursachen einer kongenitalen Katarakt sind vielfältig und können in vielen Fällen nicht ergründet werden.

Ophthalmologische Diagnostik

Zur Diagnosestellung ist zunächst eine klinische Einschätzung mittels Brückner-Test, Spaltlampenbiomikroskopie und Funduskopie maßgeblich. Hierbei muss eine pharmakologische Mydriasis durchgeführt werden, um die Linsenmorphologie vollständig beurteilen zu können.
Während der klinischen Untersuchung sollten auch andere Differentialdiagnosen der Leukokorie abgegrenzt werden. Hierbei sind unter anderem das Retinoblastom, der primäre hyperplastische Glaskörper, ein Morbus Coats und die Retinopathia praematorum zu kennen.

Operationszeitpunkt und -technik

Die Indikation zur operativen Versorgung wird zumeist bereits bei Erstvorstellung gestellt. Bei unilateraler Katarakt sollte die Operation generell im Alter von vier bis sechs Wochen erfolgen und bei beidseitiger Katarakt zwischen der sechsten und achten Lebenswoche. Bei einseitigem Befund erfolgt eine frühere Versorgung auf Grund der höheren Amblyogenität. Der richtige Operationszeitpunkt muss jedoch im Einzelfall, an den Leitlinien orientierend, erwogen werden.

Bei einem früh gewählten Zeitpunkt besteht ein höheres Risiko für die Entwicklung eines Aphakieglaukoms, das in der Therapie äußerst diffizil ist und ebenfalls zu einer dauerhaften Visuseinschränkung führen kann. Das Risiko beträgt generell etwa 15 bis 30 Prozent. In der IATS-Studie (Infant Aphakia Treatment Study) konnte nachgewiesen werden, dass das Risiko der Entstehung eines Glaukoms ein Jahr postoperativ um 50 Prozent gesenkt werden konnte, wenn die Operation in der achten anstatt der vierten Lebenswoche durchgeführt wurde. Die Pathophysiologie des Aphakieglaukoms ist nicht vollständig verstanden, jedoch ist bekannt, dass eine frühe intraokulare Operation zur Unterbrechung der Reifeentwicklung des Trabekelmaschenwerks führt [6].

Bei der Wahl des optimalen Operationszeitpunktes ist außerdem die Visusentwicklung zu beachten. Es konnte nachgewiesen werden, dass für einen langfristig guten Visus bei unilateraler Katarakt eine Operation bis zur sechsten Lebenswoche erfolgen sollte, da sonst die bereits vorhandene Deprivationsamblyopie nicht mehr oder nur noch in Teilen ausgeglichen werden kann [6].

Bevor die eigentliche Lentektomie beginnt, wird eine Narkoseuntersuchung des Kindes durchgeführt. Dabei werden Hornhautradien, Vorderkammertiefe und die Achsenlänge beider Augen bestimmt. Außerdem erfolgt die Funduskopie in Mydriasis. Mittels der gemessenen Werte kann die Refraktion, der im Verlauf anzupassenden formstabilen Kontaktlinse berechnet werden.

Der Operationszugang zur Lentektomie kann entweder über eine Sklerotomie im Bereich der Pars plana mittels 23G-Vitrektom oder über korneale Parazentesen gewählt werden. Zunächst wird die vordere Linsenkapsel kreisrund eröffnet. Anschließend werden der Linsenkern und die Linsenrinde abgesaugt. Anders als bei der Linsenoperation des Erwachsenen ist die Linse noch weich und kann einfach abgesaugt werden. Bei der Kapsulorhexis sollte darauf geachtet werden, den äußeren Kapselring zur späteren IOL-Implantation zu erhalten [2]. Bei beidseitiger Katarakt kann die operative Vesorgung in einer Sitzung mittels zwei getrennter Instrumenten-Sets erfolgen [7].

Sekundäre IOL-Implantation

Die Implantatation einer Intraokularlinse erfolgt in Deutschland ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr, in der Regel jedoch deutlich später. Die Refraktion wird zunächst mittels einer formstabilen Kontaktlinse ausgeglichen, um den sich ändernden Refraktionsfehler adäquat anpassen zu können. Auf Grund des „myopic shifts“ bei Kindern ist das Abschätzen des Ausmaßes der Hyperopisierung der Intraokularlinse äußerst schwierig.

In der IATS wurden Kinder, denen im Alter von sechs Monaten eine Intraokularlinse implantiert wurde, mit Kindern, die mittels Kontaktlinse versorgt wurden, verglichen. Nach fünf Jahren zeigte sich eine ähnliche bestkorrigierte Sehschärfe, jedoch benötigten die Kinder der IOL-Gruppe in 68 Prozent weitere Operationen, während die Kinder der Kontaktlinsengruppe diese nur in 15 Prozent benötigten [8].

Nachsorge

Die Entstehung eines scharfen Bildes auf der Netzhaut entsteht erst ab dem Zeitpunkt der Kontaktlinsenanpassung. Hierfür sind regelmäßige Konsultationen bei speziell geschulten Optikern notwendig, um die bestmögliche Korrektur anpassen zu lassen und die Eltern in der Handhabung zu schulen. Verwendet werden formstabile Kontaktlinsen aus Silikon-Fluor-Acrylat mit einer hohen Sauerstoffdurchlässigkeit.

Außerdem gehören regelmäßige Skiaskopien zur Refraktionsbestimmung, die Okklusionstherapie vor allem bei einseitigem Befund sowie die ophthalmologische Untersuchung mit Messung des intraokularen Drucks zur Nachsorge.

Die postoperative Nachsorge ist essenziell für ein langfristig gutes funktionelles Ergebnis und beruht auf einer engen Zusammenarbeit der Ophthalmologen, Optiker sowie Eltern und Patienten [2].

Literatur

  1. Lagrèze WA (2009) The management of cataract in childhood. Klin Monatsbl Augenheilkd226:15–21.https://doi.org/10.1055/s-2008-1027946
  2. Lagrèze WA (2020) Behandlung der kongenitalen und frühkindlichen Katarakt. Ophthalmologe 2020 · 117:1049–1060. doi.org/10.1007/s00347-020-01232-0
  3. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern (Kinder-Richtlinie). veröffentlicht im Bundesanzeiger AT 22.06.2022 B3
  4. Francesco Pichi (2006) Genetics of Congenital Cataract.2016;57:1-14. doi: 10.1159/000442495. Epub 2016 Apr 1.
  5. Wai H Chan (2020) Congenitale and infantile cataract: aetiology and management. 2012 Apr;171(4):625-30.https://doi: 10.1007/s00431-012-1700-1.Epub 2012 Mar 1.
  6. Lambert SR (2016) The timing of surgery for congenital cataracts: Minimizing the risk of glaucoma following cataract surgery while optimizing the visual outcome. J AAPOS 20:191–192.
  7. Eibenberger K, Stifter E, Pusch F, Schmidt-Erfurth U (2020) Simultaneous bilateral pediatric and juvenile cataract surgery under general anesthesia: outcomes and safety. Am J Ophthalmol.  doi.org/10.1016/j.ajo.2020.01.001
  8. Infant Aphakia Treatment Study Group, Lambert SR, Lynn MJ et al (2014) Comparison of contact lens and intraocular lens correction of monocular aphakia during infancy: a randomized clinical trial of HOTV optotype acuity at age 4.5 years and clinical findings at age 5 years. JAMA Ophthalmol 132:676–682.