Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik: Prostatakarzinom – zwei Kasuistiken aus der Nuklearmedizin
Folge 68 der Reihe Zertifizierte Kasuistik
von Hojjat Ahmadzadehfar und Hans-Jürgen Biersack
Einleitung
Patient 1 und 2 haben sich in der Klinik für Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Bonn beziehungsweise im MVZ Professor Uhlenbrock und Partner in Dortmund zu einer PSMA-PET/CT-Bildgebung vorgestellt. Patient 1 bekam im Januar 2019 eine radikale Prostatektomie.
Der histopathologische Befund lautete Prostatakarzinom pT3a pN0(0/12) R1 L0 V0, Gleason-Score: 9. Postoperativ hatte der Patient ein PSA-Nadir von 0,14 ng/ml erreicht, nach einigen Monaten stieg das PSA schrittweise auf 0,68 ng/ml an. Er bekam zur weiteren Abklärung ein PSMA PET/CT an der Klinik für Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Bonn (Abbildung 1).
Die PET/CT-Bildgebung des Patienten 1 zeigte suspekte PSMA-Expressionen (rote Pfeile) in der ersten Rippe rechts ohne eindeutige Strukturveränderungen im CT (1A) und im Os ilium rechts (1C) , wo im CT lediglich eine kleine sklerotische Läsion zu sehen war (1C). Darüber hinaus war eine geringe PSMA-Expression in der siebten Rippe rechts ohne CT morphologisches Korrelat erkennbar, die auch am ehesten einer Knochenmetastase entsprach (siehe 1A-1C). Kein Nachweis eines Lokalrezidives oder einer Lymphknotenmetastasierung.
Patient 2 bekam Anfang 2018 aufgrund eines Prostatakarzinoms eine radikale Prostatektomie.
Der histopathologische Befund lautete pT3pN1 G3, Gleason-Score: 9. Sein PSA-Wert war postoperativ im April 2018 unterhalb der Nachweisgrenze. Es stieg auf 0,14 ng/ml im September 2018 und weiter auf 0,32 ng/ml im November 2018 an. Zur weiteren Abklärung hat er ein PSMA-PET/CT mit 18F-PSMA-1007 bekommen (Abbildung 2).
Die PET/CT Bildgebung des Patienten 2 zeigte einzelne metastasensuspekte Lymphknoten im kleinen Becken linksseitig (blaue Kästchen). Die Bilder 2D - 2F zeigen die CT beziehungsweise fusionierte PET/CT-Bilder aus 3 transversalen Schnitten. Die roten Pfeile zeigen die Lymphknotenmetastasen. Ansonsten waren keine weiteren Metastasen nachweisbar.
Obwohl das PSA bei beiden Patienten unter 1,0 ng/ml lag, zeigten die PSMA-PET/CT-Bildgebungen unterschiedliche Ergebnisse. Bei Patienten 1 wurde eine Knochenmetastasierung festgestellt, während beim Patienten 2 nur eine lokale Lymphknotenmetastasierung nachweisbar war.
Was ist PSMA?
In den letzten Jahren hat das Prostataspezifische Membranantigen (PSMA) als hervorragendes Ziel für die Bildgebung und Therapie von Prostatakarzinomen (PC) erhöhte Aufmerksamkeit erhalten. PSMA ist ein Protein, das in Prostatakrebszellen signifikant überexprimiert ist. Ein weiterer Vorteil von PSMA ist seine transmembrane Lage mit einer großen extrazellulären Domäne und seine Enzymaktivität, die die Entwicklung spezifischer Inhibitoren und deren Internalisierung nach Ligandenbindung ermöglicht (2). Nach langjähriger präklinischer Forschung zur Herstellung von PSMA-Liganden wurde 2011 mit der Einführung von 68Ga-PSMA-11 für die Bildgebung mit der Positronen-Emissionstomographie (PET) der breite klinische Durchbruch erzielt (2).
Physiologische Verteilung von PSMA-Liganden
Trotz seines Namens ist PSMA nicht spezifisch für die Prostata. Die Mehrzahl der PSMA-Liganden zeigen eine physiologische Aufnahme in den Tränendrüsen, der Nasenschleimhaut, den Speicheldrüsen, der Glottis, der Milz, der Leber, den Nieren, in den proximalen Teilen des Dünndarms und in einigen Teilen des Dickdarms. Eine physiologische Aufnahme wird auch in gesundem Prostatagewebe beobachtet. Abgesehen davon gibt es eine erhöhte PSMA-Expression bei neoplastischen Erkrankungen (z.B. Mammakarzinom, Nierenzellkarzinom, hepatozellulären Karzinom, Schilddrüsenkarzinom sowie peritumorale und endotumorale Endothelzellen von Neovaskulaturgewebe) (2).
Derzeit sind mehrere PSMA-Liganden für die PET-Bildgebung verfügbar, wie zum Beispiel 68Ga-PSMA-11, 68Ga-PSMA-I & T, und 18F-PSMA-1007. Diese diagnostische Untersuchung ist in Deutschland in mehreren Kliniken und Praxen möglich. Obwohl es gewisse Unterschiede zwischen diesen PSMA-Liganden in Bezug auf die physiologische Aktivitätsspeicherung in unterschiedlichen Organen gibt, zum Beispiel höherer physiologischer Uptake vom 18F-PSMA-1007 in der Leber (Abbildung 2) im Vergleich zu einer PET-Bildgebung mit 68Ga-PSMA-11 (Abbildung 1) oder fehlender Traceruptake in der Harnblase beim Verwenden vom 18F-PSMA-1007 (Abbildung 2), gibt es keinen relevanten Sensitivitätsunterschied zwischen diesen Substanzen.
Bildgebung bei Prostatakrebsrezidiv
Die Erkennung eines Rezidives des PCs ist für herkömmliche Bildgebungsmodalitäten wie CT oder MRT häufig eine Herausforderung. Derzeit wird der PSMA-Ligand PET/CT als die empfindlichste und spezifischste Modalität zum Nachweis vom Prostatakarzinomrezidiv angesehen. Als Beispiel wollen wir Sie nochmal auf die Abbildung 1C aufmerksam machen: während die kleine Läsion im CT oft als unspezifisch und gutartig betrachtet wird, bestätigt die PSMA-Expression in dieser kleinen Läsion die Metastasierung.
Infolgedessen ist ein rezidivierender Prostatakrebs die häufigste Indikation für die PSMA-Liganden-Bildgebung. Von allen Patienten, die mit PET/CT untersucht wurden, wiesen 80 bis 90 Prozent mindestens eine für PC charakteristische Läsion auf. Diese Raten entsprechen den patientenbezogenen Empfindlichkeiten. Die Empfindlichkeit von PSMA-PET/CT korreliert jedoch signifikant mit den PSA-Werten zum Zeitpunkt des Scannens (2). Bei einem PSA von weniger als 0,5 ng/ml wird die Wahrscheinlichkeit eines pathologischen Scans auf etwa 50 Prozent geschätzt. Bei einem PSA zwischen 0,5 und 1,0 ng/ml steigt die Wahrscheinlichkeit eines pathologischen Scans auf 70 bis 80 Prozent. Ab den PSA-Werten von > 2,0 ng/ml bleibt die Wahrscheinlichkeit bei 90 bis 95 Prozent. Dieses Ergebnis stimmt mit der Tatsache überein, dass nicht alle PC ausreichend PSMA exprimieren. Bei einem PSA > 5,0 ng/ml führen höhere PSA-Werte nicht zu einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit eines pathologischen Scans.
Das Ergebnis der PSMA-Bildgebung kann einen relevanten Einfluss auf die Therapieplanung haben. Ist der Krebs lokal zurückgekehrt oder haben sich Metastasen gebildet? Kann der Patient durch eine Bestrahlung oder Operation behandelt werden oder sollten systemische Therapien eingeleitet werden.
Die S3-Leitlinie des Prostatakarzinoms empfiehlt die Durchführung einer PSMA-Bildgebung (4):
„Im Rahmen einer Rezidivdiagnostik (nach primär kurativer Therapie, kann primär eine PET Hybrid-Bildgebung mit radioaktiv markierten PSMA-Liganden zur Beurteilung der Tumorausdehnung erfolgen, falls sich aus dem Befund eine therapeutische Konsequenz ergibt.“
Bildgebung von primärem Prostatakrebs und primäres Staging von Prostatakrebs
Ungefähr ¾ aller primären PC befinden sich in der peripheren Zone der Prostata. Normalerweise können solche Tumoren durch Sonographie oder MRT gut identifiziert werden, was eine relativ einfache Biopsie ermöglicht. Andererseits befinden sich ungefähr ¼ der Tumoren in der zentralen Zone der Prostata. Diese Tumoren sind mit herkömmlichen Bildgebungsmodalitäten schwer zu visualisieren. Das Fehlen eines klaren Ziels führt zu schwierigeren und weniger empfindlichen Biopsien, was sich negativ auf die weitere Risikostratifizierung und damit auf das Therapiemanagement der Patienten auswirkt. Diese Tatsache gewinnt zunehmend an Bedeutung, da die aktive Überwachung von PC zunehmend zu einer Option anstelle invasiver Therapien geworden ist. In diesem Zusammenhang gewinnt die PSMA-Bildgebung zunehmend an Bedeutung (2). PC-Läsionen zeigen häufig eine intensive Aufnahme und einen starken Kontrast im PSMA-PET/CT, während gesundes Prostatagewebe eine relativ geringe und homogene Aufnahme aufweist. Daher wird diese Methode als vielversprechend angesehen, um falschnegative Biopsien zu reduzieren.
Das primäre Staging bei Prostatakrebs mit hohem Risiko und PSMA-PET/CT hat sich im Vergleich zu herkömmlichen Bildgebungsmodalitäten wie CT oder MRT ebenfalls als überlegen erwiesen. In einer vor kurzem publizierten prospektiv randomisierten Studie wurde diese Überlegenheit der PSMA-Bildgebung gegenüber einer konventionellen Bildgebung bei Primär-Staging in Patienten mit Hochrisiko-PC deutlich dargestellt (3). PSMA-PET/CT hatte eine 27 Prozent höhere Genauigkeit als die konventionelle Bildgebung (92 % gegenüber 65 %; p <0,0001). Die Autoren fanden eine geringere Empfindlichkeit (38 % gegenüber 85 %) und Spezifität (91 % gegenüber 98 %) für die konventionelle Bildgebung im Vergleich zur PSMA-PET/CT. Die konventionelle First-Line-Bildgebung führte zu weniger häufigen Veränderungen im Management und hatte mehr uneindeutige Ergebnisse (23 % gegenüber 7 %) als die PSMA-PET/CT. Die Strahlenexposition war bei konventioneller Bildgebung 10,9 mSv höher als bei PSMA-PET/CT (19,2 mSv gegenüber 8,4 mSv) (3).
PSMA-Bildgebung und externe Strahlentherapie
Nach einer radikalen Prostatektomie sollte das Tumorvolumen signifikant abnehmen. Im Verlauf der Erkrankung werden Lokalrezidive oder Lymphknotenmetastasen festgestellt, und das PSA steigt parallel zum biochemischen Rezidiv an. Bei lokalisierten Rezidiven ist eine kurativ beabsichtigte Therapie, zum Beispiel operative Verfahren oder eine externe Strahlentherapie, die Therapieoption für Patienten mit Prostatakrebs. Die PSMA-Bildgebung kann helfen, Tumorläsionen zu erkennen, insbesondere bei der Planung externer Bestrahlung (2).
PSMA-basierte Radioligand-Therapie (RLT) bei metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC)
Wenn man statt ß+-Strahler für die Diagnostik einen ß-Strahler, wie zum Beispiel Lu-177, an PSMA-Liganden andockt, dann kann man die PSMA-positiven Prostatakarzinommetastasen nicht nur darstellen, sondern auch gezielt bestrahlen. Dieses Konzept wird Theranostik genannt, das heißt die Durchführung einer Therapie basiert auf den Informationen, die man von der PET-Diagnostik gewinnt. Im Gegensatz zu anderen Therapien, wie bei einer Chemotherapie, bekommen die Patienten eine Radionuklidtherapie, wenn sie eine ausreichende Dichte vom PSMA-Eiweiß auf der Tumoroberfläche exprimieren. Durch dieses Konzept steigt die Erfolgsrate.
Daher sollten sich alle Patienten, die für eine PSMA-basierte Radioligandetherapie infrage kommen, zuerst einer PSMA-Bildgebung unterziehen.
Laut der S3-Leitlinie des Prostatakarzinoms: "Für Patienten mit kastrationsresistenter, progredienter Erkrankung in gutem Allgemeinzustand kann nach Ausschöpfen der empfohlenen Therapieoptionen ein Therapieversuch mit Lutetium-177-PSMA auf Basis der Empfehlung einer interdisziplinären Tumorkonferenz angeboten werden“. (4)
Das heißt, dass diese Therapie derzeit nur als Ultima Ratio aufgrund der fehlenden Daten einer Phase III Studie als Heilversuch durchgeführt wird (1). Inzwischen haben mehrere retrospektive und einige prospektive Phase-2-Studien die Wirksamkeit und das niedrige Toxizitätsprofil der 177Lu-PSMA-Therapie bei Patienten mit mCRPC bestätigt (2). Aus den retrospektiven Analysen geht hervor, dass die 177Lu-PSMA-Therapie das Gesamtüberleben zumindest bei Patienten mit positivem Ansprechen auf diese Therapie verlängert. Die 177Lu-PSMA-Therapie kann eventuell mit einer Strahlentherapie, zum Beispiel einer Knochenmetastase oder einer Hirnmetastase kombiniert werden (2). Eine Kombination mit einer Chemotherapie ist nach jetziger Datenlage nicht indiziert.
Literatur
1. Ahmadzadehfar H, Albers P, Bockisch A, Boegemann M, Bohme C, Burchert W, et al. [Lutetium-177-PSMA radioligand therapy : Consensus within the framework of GKV-funded care between the university hospitals in Aachen, Bonn, Dusseldorf, Essen, and Cologne and the MDK Nordrhein]. Urologe A. 2018 Jun;57(6):709-13.
2. Ahmadzadehfar H, Rahbar K, Essler M, Biersack HJ. PSMA-Based Theranostics: A Step-by-Step Practical Approach to Diagnosis and Therapy for mCRPC Patients. Semin Nucl Med. 2020 Jan;50(1):98-109.
3. Hofman MS, Lawrentschuk N, Francis RJ, Tang C, Vela I, Thomas P, et al. Prostate-specific membrane antigen PET-CT in patients with high-risk prostate cancer before curative-intent surgery or radiotherapy (proPSMA): a prospective, randomised, multicentre study. Lancet. 2020 Apr 11;395(10231):1208-16.
4. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft DK, AWMF):. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Langversion 5.1. AWMF Registernummer: 043/022OL,
http://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/prostatakarzinom/. 2019.