Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patient mit rezidivierender Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen "
von Ricarda E. Clarenbach
Inhaltsübersicht
Flüssigkeits- / Natriumregulation
Diuretika-induzierte Hyponatriämien - was ist zu beachten?
Erläuterungen zur Kasuistik
In unserem Fallbeispiel war die akute Symptomatik des Patienten Folge seiner schweren Hyponatriämie ausgelöst durch ein SIADH (Syndrom der inadäquaten Sekretion des Anti-Diuretischen-Hormons) in Folge eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms.
Die Symptome bei Hypo- und Hypernatriämie in Abhängigkeit von der Serum-Natrium-Konzentration gestalten sich wie folgt:
Hyponatriämie (mmol/l) | Metabolische Encephalopathie | Hypernatriämie (mmol/l) |
<125-130 | Reizbarkeit, Nausea, Erbrechen, Verwirrtheit | >145-150 |
<120-125 | Kopfschmerzen, Somnolenz | >150-155 |
<115-120 | gesteigerte Reflexe, Epilepsie, Koma, Tod | >155-160 |
Nach Flüssigkeitsrestriktion und Absetzen der Medikation mit Ibuprofen und Pantoprazol während der stationären Behandlung stieg innerhalb von 6 Tagen der erniedrigte Serum-Natrium-Wert langsam bis auf 132 mmol/l an. Hierunter war die Klinik komplett regredient. Allerdings fiel der Natrium-Spiegel anschliessend innerhalb von 2 Tagen wieder auf Werte um 117 mmol/l ab. Die streifige Verdichtung im Röntgen-Thorax wurde mittels CT im Verlauf der Behandlung weiter abgeklärt. Im CT-Thorax zeigte sich eine rechts pulmonale Raumforderung. Die anschließende Biopsie ergab die Diagnose eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms. Im Staging wurde eine extensive-disease-Situation festgestellt, weswegen eine palliative Chemotherapie mit Cisplatin und Etoposid eingeleitet wurde. Unter der zusätzlichen medikamentösen Therapie mit dem Vasopressin-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan und Flüssigkeitsrestriktion auf 1 l/Tag konnte eine anhaltende Normalisierung des Natrium-Spiegels und Symptomfreiheit erreicht werden.
Abbildung 1: Röntgen-Thorax anterior-posterior
Abbildung 2: CT-Thorax
Abbildungen: Benedictus Krankenhaus, Tutzing
Flüssigkeits- / Natriumregulation
Die Menge des Blutvolumens wird an Druckrezeptoren in der Arteria carotis und dem rechten Vorhof gemessen, die Osmolarität vorwiegend durch Osmorezptoren im Hypothalamus. Melden die Druckrezeptoren in der A. carotis einen fallenden Druck oder die Osmorezeptoren eine steigende Konzentration der gelösten Substanzen, regen sie über Nervenbahnen den Hypothalamus an, vermehrt ADH (Abk. für antidiuretisches Hormon; syn.: Vasopressin) zu produzieren und die Hirnanhangdrüse, vermehrt ADH ins Blut abzugeben. ADH wird im Hypothalamus gebildet und im Hinterlappen der Hypophyse gespeichert. Über den V2-Rezeptor hemmt das ADH die Ausscheidung von Wasser. Der Rezeptor wird vor allem in den distalen Tubuli und Sammelrohren der Niere gefunden. Unter ADH werden Aquaporine, wasserführenden Kanälchen, in die Zellmembranen der Nierentubuli eingebaut, so dass Wasser aus dem Primärharn zurück in das Interstitium des Nierengewebes strömt und dadurch dem endgültigen Harn Wasser entzogen wird: Der Urin wird unter ADH-Einfluss konzentriert. ADH vermindert die Wasserausscheidung durch die Nieren und führt zu einer Verengung kleiner Blutgefäße. Seine Ausschüttung erfolgt, wenn das Blutvolumen abfällt oder die Konzentration der gelösten Stoffe im Blut (die Osmolarität) ansteigt. Stehen die Ziele Osmolarität und Blutvolumen im Konflikt (sog. hypotone Dehydration), dann geht die Regulierung des Blutvolumens vor.
Die Blutgerinnung wird durch ADH gesteigert. Dies geschieht durch Vermittlung von V2-Rezeptoren an Endothelzellen der Blutgefäße. Auf diese Weise wird vermehrt von-Willebrandt-Faktor freigesetzt und die Bildung von Faktor VIII gesteigert.
Stress, Schmerz, Verletzungen und Erbrechen stimulieren die Freisetzung von ADH wohingegen Alkohol und Koffein die Ausschüttung hemmen. Hierdurch erklärt sich der wassertreibende Effekt der beiden zuletzt genannten Substanzen.
Fehlt ADH wegen einer Schädigung der Hypophyse oder des Hypothalamus, dann entsteht das Krankheitsbild des Diabetes insipidus centralis. Kann das ADH an der Niere nicht seine volle Wirkung entfalten, entsteht ein sehr ähnliches Syndrom, das Diabetes insipidus renalis gennant wird. Beide Krankheiten sind durch starken Durst, eine Trinkmenge von bis zu 25 l am Tag und häufiges sowie reichliches Wasserlassen (Pollakisurie und Polyurie) gekennzeichnet.
Beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekrektion (SIADH) wird übermäßig viel antidiuretisches Hormon gebildet. Durch die stark verminderte Wasserausscheidung bei nur mäßig verminderter Natriumausscheidung mit dem Urin infolge übermäßiger ADH-Konzentrationen im Blut kommt es bei den Betroffenen zu einer hyponatriämischen Hyperhydration. Das heißt der Wasserbestand des Organismus ist erhöht und die Natriumkonzentration des Blutes vermindert. Dadurch strömt nach dem Gesetz der Osmose Wasser in die Zellen ein und Natrium aus den Zellen heraus. Vor allem die Gehirnzellen leiden unter diesen Veränderungen. Klinisch erkennbar ist dann das SIADH an Kopfschmerzen, Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma und Erbrechen.
Das SIADH entsteht häufig durch die Produktion von ADH durch Tumorzellen, vor allem der Lunge (sog. paraneoplastisches Syndrom). Aber auch gutartige Erkrankungen der Lunge wie Pneumonie oder Tuberkulose, verschiedene Medikamente wie zum Beispiel Phenothiazin oder Vincristin, Erkrankungen des ZNS wie Trauma oder Meningitis und endokrine Erkrankungen wie Morbus Addison und Hypothyreose können zu einer überhöhten Produktion von ADH führen. Im Falle einer Hyponatriämie besteht immer ein relativer Wasserexzess. Die Ursachen eines SIADH sind in der Tabelle.1 zusammengefasst.
Tabelle 1: Ursachen eines SIADH
Neoplasien | Oropharynx/Lunge | am häufigsten kleinzelliges Bronchialkarzinom |
| Mesotheliom | |
| Plattenepithelkarzinom | |
GI-Trakt | Magen, duodenum, Pankreas | |
Urogenital | Ureter, Blase, Prostata, Endometrium | |
Thymus | Thymom | |
Lymphome | ||
Sarkome | ||
Pneumopathien | Infektiös | Pneumonie, Abszess, Tuberkulose, Aspergillose |
Asthma |
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Zystische Fibrose |
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ZNS | Infektiös | Encephalitis, Meningitis, Abszess, AIDS, Rickettsia |
Vaskulär, traumatisch | Apoplex, Blutung, Thrombose, SHT | |
Andere Urs. | Tumor, MS, Guillaume-Barre-S., Delirium tremens | |
Medikamentös-toxisch | Morphin, Antidepressiva (SSRI, trizykl. Antidepressiva), Antipsychotika, Carbamazepin, Vincristin, Ifosfamid, Cyclophosphamid, Narkotika, NSAR, Clofibrat, Nikotin, Ecstasy, Vasopressin u.ä. | |
Andere Ursache | Postoperativ, kongenital (Mutation des Vasopressin2-Rezeptors), Ausdauersport, Nausea, Schmerz, Stress |
Diuretika-induzierte Hyponatriämien - was ist zu beachten?
- Bis zu 14 Prozent der mit Thiaziden behandelten Patienten entwickeln eine Hyponatriämie
- 73 Prozent der Hyponatriämien sind Folge einer Thiazid-Medikation, 20 Prozent treten unter einer Kombination von Thiaziden und Kalium-sparenden Diuretika auf, nur 8 Prozent unter Schleifendiuretika (meist erst nach langer Dauer)
- Ältere Patienten mit Untergewicht und Alkohol-Kranke sind häufiger betroffen
- Nach Re-Exposition mit einem Thiazid ist häufig erneut eine Hyponatriämie zu sehen
- Es ist zu unterscheiden zwischen:
- Hypovolämer Patient: profitiert von Infusion mit NaCl 0,9 Prozent
- SIAD: gegebenenfalls 3-prozentiger NaCl-Lösung
- Cave: Gefahr der Überkorrektur
- Schlaffe Para- oder Quadriparese
- Dysarthrie, Dysphagie
- Lethargie, Krampfanfälle, Koma
- Fenske, Allolio: Endokrinologie Informationen 2010, Sonderheft
- Phillippe Furger 2010: Guidelines SURFmed
Abbildung 3: Algorithmus Diagnostik und Therapie Hyponatriämie
Therapie einer Hyponatriämie
Für die Praxis gilt:
Wenn die Dauer der vorbestehenden Hyponatriämie nicht bekannt ist, sollte diese immer als chronisch betrachtet und als solche behandelt werden.
Natriumsubstitution
Die Therapie einer Hyponatriämie richtet sich nach dem zeitlichen Verlauf der Hyponatriämie. Handelt es sich um eine akute (< 48 h) und schwere (< 120 mmol/l) Hyponatriämie, sind diese Patienten extrem gefährdet, ein Hirnödem zu entwickeln, jedoch kaum, eine pontine Myelinolyse zu erleiden. Daher ist bei diesen Patienten das Ziel, rasch den Natrium-Wert > 120 mmol/l anzuheben.
Patienten mit einer chronischen (> 48 h) bestehenden und oft asymptomatischen Hyponatriämie unterliegen hingegen keiner unmittelbaren relevanten Gefahr. Hier ist allerdings bei zu raschem Ausgleich der Hyponatriämie das osmotische Demyelinationssyndrom (pontine Myelinolyse) zu fürchten. Die Diagnose einer pontinen Myelinolyse basiert auf der Klinik und dem MRT. Sie ist klinisch charakterisiert durch:
Typischerweise 2-6 Tage nach der Na-Substitution (oft nur partiell reversibel):
Die Formel zu Berechnung des Natrium-Defizits, das mittels Infusionen kompensiert werden muss, lautet wie folgt:
Na-Defizit (mmol/l)= k x KG(kg) x (gewünschte Natriämie-gemessene Natriämie)
k ist eine Konstante: für Frau (k = 0,5) oder für Mann (k = 0,6)
Beispiel: Frau 60 kg , gemessene Natriämie 110 mmol/l, gewünschte Natriämie 130 mmol/l.
Na-Defizit = 0,5 x 60 x (130-110) = 600 mmol Na (14 g Na; 35 g NaCl)
Beispiele von Natrium-haltigen Infusionen:
Natrium-haltige und gemischte Infusionen | Na (mmol/l) | Na (g/l) | NaCl (g/l) | Osmolalität (mosm/kg) |
NaCl 0,9% | 154 | 3,5 | 9 | 308 |
NaCl 3% | 513 | 11,9 | 30 | 1026 |
Ringer-Laktat | 130 | 2,95 | 7,6 | 274 |
Na-Bikarbonat 8,4% | 1000 | 23 | 60 | 2000 |
Vasopressin-V2-Rezeptorantagonisten (Vaptane)
In Deutschland ist Tolvaptan (Samsca) zur Behandlung der normovolämischen Hyponatriämie mit inadäquater Antidiurese zugelassen. Es wird eingesetzt beim chronischen SIADH, wenn andere Therapien nicht erfolgreich waren oder die Flüssigkeitsrestriktion für den Patienten nicht möglich ist.
Cave: überschießende Diurese – daher Beginn mit der niedrigsten Dosis (15 mg/d). Es kann auch dann eingestezt werden, wenn eine Substitution mit einer 3-prozentigen NaCl-Lösung wegen zum Beispiel Herz- oder Leberinsuffizienz nicht möglich ist.