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Zertifizierte Kasuistik "Patient mit rheumatoider Arthritis und neu aufgetretener Abgeschlagenheit"

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patient mit rheumatoider Arthritis und neu aufgetretener Abgeschlagenheit "

 

von Ricarda E. Clarenbach

Inhaltsübersicht

Zur Kasuistik

Stadieneinteilung des multiplen Myeloms nach Durie-Salmon

ISS (International staging system)

CRAB-Kriterien

Literatur

 


Zur Kasuistik

In den laborchemischen und technischen Untersuchungen der geschilderten Kasuistik fallen markant eine schwere Hyperkalzämie, eine schwere Niereninsuffizienz im noch kompensierten Stadium, eine Sturzsenkung, ein isolierter M-Gradient in der Serumelektrophorese und Osteolysen im low-dose-CT auf.

In der vorliegenden Kasusitik handelt es sich um die Diagnose einer hyperkalzämischen Krise als Erstmanifestation eines multiplen Myeloms.
Ein Hyperkalzämie mit einem Wert von 4,3 mmol/l ist letal gefährdend. Definitionsgemäß handelt es sich ab einer Hyperkalzämie von 3,5 mmol/l um eine schwere Hyperkalzämie beziehungsweise hyperkalzämische Krise.

Folgende Symptome können auftreten:

  • Niere: Polyurie mit konsekutiver Polydypsie, Dehydratation bis zur Anurie
  • Gastrointestinaltrakt: Nausea, Emesis, Anorexie, Gewichtsverlust, selten Magenulcera, Pankreatitis
  • Muskulatur: Schwäche, Ileus
  • Kardial: QT-Zeit-Verkürzung, Bradykardie, Arrhythmien
  • ZNS: Müdigkeit, Psychose, Somnolenz, Koma

Im geschilderten Fall litt der Patient unter Müdigkeit, Schwäche, Inappetenz, Gewichtsverlust und Schwindel. Der Patient leidet nicht unter Gelenkbeschwerden, daher ist eine reaktivierte rheumatoide Arthritis umwahrscheinlich. Zudem wäre sie nicht lebensbedrohlich. Die Niereninsuffizienz ist trotz des hohen Kreatinin-Wertes von 6,3 mg/dl noch nicht akut lebensbedrohlich. Die Indikation zur notfallmässigen Hämodialyse richtet sich nach folgenden Kriterien:

  • Azidose mit Bicarbonat < 10 mmol/l, pH < 2
  • Anurie
  • Urämie mit Perikarditis oder urämische Encephalopathie
  • Hypervolämie, hämodynamische Instabilität
  • Hyperkaliämie

Diese Kriterien waren im geschilderten Fall am Untersuchungstag noch nicht erfüllt. Am Folgetag wurde wegen des weiter ansteigenden Kalzium-Wertes eine Dialyse durchgeführt. Die neurologische Untersuchung bot kein fokales Defizit. Im CCT lag auch kein Anhalt für eine Blutung oder eine Ischämie vor. Klinisch hatte der Patient keinen Anhalt für einen Infektfokus. Auch die technischen Untersuchungen erbrachten keinen Anhalt für einen Infekt (Röntgen-Thorax, Urin-Status). Der erhöhte CRP-Wert ist am ehesten im Rahmen des mutiplen Myeloms oder im Rahmen der bekannten rheumatoiden Arthritis zu erklären.

Die Therapie einer hyperkalzämischen Krise umfasst:

  • Hydratation mit NaCl 0,9 Prozent, inital 3-6 l/d
  • Schleifendiuretikum, z.B. Furosemid 40-80 mg i.v., Mechanismus: Kalziurese
  • Bisphosphonat: Zoledronat 4 mg über 4 min (am effektivsten) oder Pamidronat 60-90 mg über 2-4 h i.v., Mechanismus: Osteoklasteninhibierung, maximale Wirkung erst nach 2 bis 4 Tagen
  • Kortikosteroide, z.B. Prednisolon 1 mg/kgKGi.v. bei hämatologischen Neoplasien (z.B. multiples Myelom, Lymphome), Mechniasmus: Minderung der Zytokinfreisetzung und intestinalen Kalzium-Resorption
  • Bei ungenügender Kalzium-Senkung Kalzitonin 4-6 x 100IU/d s.c.   Mechanismus: Kalziurese, Osteoklasteninhibierung. Schneller Effekt

Eine Radiatio ist indiziert bei Frakturgefährdung, nicht beherrschbaren Knochenschmerzen oder Kompression, jedoch nicht zur Therapie einer Hyperkalzämie.

Bei dem Patienten in der vorliegenden Kasuistik ist die typische gamma-Zacke oder M-Gradient in der Serumelektrophorese für die Diagnose des multiplen Myeloms wegweisend. Sie ist Folge einer monoklonalen Gammopathie. Diese wird im Rahmen der weiterführenden Diagnostik mittels quantitativer Bestimmung der Immunglobuline IgG, IgM und IgA sowie der freien Leichtketten lambda und kappa im Serum differenziert. Im geschilderten Fall wurde IgG kappa nachgewiesen. Untermauert wurde die Diagnose des multiplen Myeloms durch den Nachweis von Osteolysen. Diese wurden bereits im CCT im Sinne eines Schrotschuss-Schädels beschrieben. Zwecks frühzeitigen Erkennens möglicher frakturgefährdeter Osteolysen oder extraossärer Manifestationen mit Kompression nervaler Strukturen wurde unmittelbar ein low-dose-CT veranlasst, in dem aber lediglich kleinfleckige Osteolysen sowie vereinzelt größere, aber nicht Fraktur-gefährdete Osteolysen beschrieben wurden.

Die Parathormonbestimmung dient der Differenzierung eines primären, sekundären oder tertiären Hyperparathyreoidismus, ist jedoch in der Kasuistik in Anbetracht der die Hyperkalzämie erklärenden Osteolysen nicht notwendig. Blutkulturen und Rheumafaktor-Bestimmung sind bezüglich der Diagnose nicht weiterführend, ebenso nicht eine MRT der Wirbelsäule. In Anbetracht der schweren Niereninsuffizienz sowie dem hochgradigen Verdacht auf ein multiples Myelom ist eine Gabe von Kontrastmittel wegen Aggravierung der Niereninsuffizienz  kontraindiziert.

Wie bereits oben ausgeführt, ist mit Nachweis des M-Gradienten in der Serumelektrophorese, Hyperkalzämie und Osteolysen die Diagnose eines multiplen Myeloms zu stellen. In Bezug auf die Hyperkalzämie sind die Differentialdiagnosen Hyperparathyeroidismus und Prostatakarzinom mit Knochenmetastasen immer zu berücksichtigen. Klinisch bot sich bei fehlender Gelenk-Symptomatik kein Anhalt für eine Reaktivierung der rheumatoiden Arthritis. Das Blutbild wiederum bot keinen Anhalt für eine Leukämie.

Im Folgenden werden die beiden entscheidenen Stadieneinteilungen des multiplen Myeloms und die sogenannten CRAB-Kriterien, die die Endorgan-Schäden beim multiplen Myelom zusammenfassen erläutert. Das Vorliegen des Stadium 3 nach Durie-Salmon in der vorliegenden Kasuistik ergibt sich aus der Kenntnis der Hyperkalzämie und der multiplen Knochenläsionen.

 

Stadieneinteilung des multiplen Myeloms nach Durie-Salmon

Sie ermöglicht anhand klinischer Parameter eine grobe Abschätzung der vorhandenen Tumormasse.  Bezüglich Prognose-Einschätzung ist diese Klassifikation unzureichend, da die Stadien I und II keine singifikanten Unterschiede zeigen.

 Stadium I
(alle Kriterien erfüllt)
Stadium II Stadium III
(mindestens 1 Kriterium erfüllt)
Hämoglobin> 10 g / dl

weder Stadium I noch III

< 8,5 g / dl
Serumkalziumnormal erhöht
Knochennormale Struktur oder ein solitärer Herd (Röntgen)

weder Stadium I noch III

fortgeschrittene Läsionen
Myelomprotein

IgG < 50 g / l (Serum)
IgA < 30 g / l (Serum)
Bence Jones Protein < 4 g/24 h (Urin)

weder Stadium I noch III

IG > 70 g / l (Serum)
IgA > 50 g / l (Serum)
Bence Jones Protein > 12 g/24 h (Urin)

 Zusatzbezeichnung A Zusatzbezeichnung B
NierenfunktionKreatinin < 2 mg/dlKreatinin >2 mg/dl

 

ISS (International staging system)

Dieses System teilt anhand des Serumalbumins und des β 2-Mikroglobulins im Serum die Patienten in 3 prognostische Subgruppen ein.

 Serumkonzentrationmedianes Überleben (Monate)
Stadium I β 2-Mikroglobulin < 3,5 mg/l
und
Albumin > 3,5 g/dl
62
Stadium II weder Stadium I noch Stadium III44
Stadium II 2-Mikroglobulin > 5,5 mg/l29

 

CRAB-Kriterien

Die CRAB-Kriterien fassen typische Endorganschäden des multiplen Myeloms zusammen.

  • Hyperkalzämie (Calcium), > 2,75 mmol/l (> 10,5 mg/dl) oder > 0,25 mmol/l oberhalb des oberen Normwertes
  • Niereninsuffizienz (Renal insufficiency), > 2,0 mg/dl (> 173 mmol/l)
  • Anämie (Anämie), Hb < 10,0 g/l oder > 2,0 g/l unterhalb des unteren Normwertes
  • Knochenbeteiligung (Bone lesion), Osteolyse oder Osteoporose mit Kompressionsfrakturen

Eine Behandlung eines multiplen Myeloms ist bei Symptomen indiziert. Hierzu zählen die oben aufgeführten CRAB-Kriterien sowie Myelom-bedingte Schmerzen, ein Hyperviskositätssyndrom. B- Symptome oder anderweitige, durch eine Knochenmarkverdrängung erklärte und durch eine Chemotherapie zu verbessernde Symptome.

Die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz ist als eine symptomfreie Vorphase des multiplen Myeloms zu verstehen. Die jährliche Transformationsfrequenz in ein multiples Myelom liegt zwischen 0,5-3 Prozent. Die Prävalenz in der siebten Lebensdekade beträgt circa 3 Prozent. Sie ist definitionsgemäß asymptomatisch und wird nur beobachtet, nicht therapiert.

Bislang ist das Ziel der Behandlung des multiplen Myeloms eine Symptomlinderung der Patienten und die Verlängerung des Überlebens. Hierbei sind Alter und Komorbiditäten des Patienten entscheidend für die Therapieplanung.

Zur Behandlung des multiplen Myeloms werden systemische Chemotherapien eingesetzt, die möglichst tiefe und lange Remissionen erzielen sollen. Am effektivsten sind Hochdosis-Chemotherapien. In der Regel wird das Alkylanz Melphalan eingesetzt, mit anschließender Rückgabe der zuvor gewonnen autologen Blut-Stammzellen. Dementsprechend sollte jeder neu diagnostizierte Patient mit multiplem Myelom bezüglich der Therapieoption einer  Hochdosis-Chemotherapie mit Blutstammzellrückgabe evaluiert werden. Hierbei entscheidend sind das biologische Alter und die Komorbiditäten der Patienten. Eine Niereninsuffizienz oder Dialyse-Pflichtigkeit sind keine absolute Kontraindikationen, da Melphalan durch spontane Hydrolyse deaktiviert und nur zu 10-15 Prozent renal ausgeschieden wird.

Neuere Chemotherapeutika wie der Proteasomeninhibitor Bortezomib oder die Immunmodulatoren und Angiogenesehemmer Thalidomid und sein weniger neurotoxisches Derivat Lenalidomid ermöglichen in Kombination mit klassischen Chemotherapeutika wie Cyclophosphamid oder Anthrazyklinen höhere Remissionsraten und sind fester Betandteil sowohl der Induktionschemotherapien vor einer geplanten Hochdosis-Chemotherapie als auch der regulären niedrigdosierten Chemotherapie bei älteren, nicht Hochdosis-Chemotherapie-fähigen Patienten. Sie sind fester Bestandteil sowohl bei jüngeren als auch älteren Patienten.

Die ossären Manifestationen des multiplen Myeloms umfassen sowohl eine diffuse Knochenminderung, ähnlich einer Osteoporose, als auch umschriebene Osteolysen. Osteoblastische Veränderungen sind bei einigen soliden Karzinomen wie beim Prostata- und Mammakarzinom, jedoch nie beim multiplen Myelom anzutreffen.

Zu den Indikationen einer Radiatio beim multiplen Myelom zählen:  frakturgefährdete Osteolysen, Konsolidierung primär operierter Frakturen, extraossäre Manifestationen und nicht beherrschbare Knochenschmerzen.

Die Kyphoplastie kann bei Wirbelkörpersinterung zur Aufrichtung des Wirbelkörpers und Analgesie eingesetzt werden.

Tatsächlich leiden rund 50 Prozent der neu diagnostizierten Patienten mit multiplem Myelom nicht unter Knochenschmerzen.

Bisphosphonate bewirken durch Inhibierung der Osteoklastenaktivität eine signifikante Linderung der Knochenschmerzen, eine signifikante Reduktion der Hyperkalzämie-Episoden und des Auftretens neuer Knochenläsionen. Eine typische unerwünschte Wirkung ist das Auftreten von Kieferosteonekrosen. Ihre Inzidenz von bis zu 6 Prozent kann deutlich gesenkt werden, wenn vor Beginn der Therapie potentielle Entzündungsherde im Mund-/Zahnbereich saniert werden.

Die einzelnen Bisphosphonate sind in unterschiedlichem Ausmaß nephrotoxisch. Insbesondere bei bereits bestehender Niereninsuffizienz ist dies zu berücksichtigen und gegebenenfalls entweder die Dosis zu reduzieren, das Präparat zu wechseln oder die Gabe vollständig einzustellen. In Anbetracht der geschilderten potentiellen Nebenwirkungen wird aktuell eine Therapiedauer von 2 Jahren bei stabiler Remission des multiplen Myeloms und erst bei Rezidiv die Wiederaufnahme der Bisphosphonat-Gabe empfohlen.

Literatur

  • DGHO-Leitlinien; Status: September 2013 : Multiples Myelom; Martin Kortüm, Hermann Einsele, Christoph Driessen, Eberhard Gunsilius, Heinz Ludwig, Nicolaus Kröger, Martin Kropff, Peter Liebisch, Ralph Naumann, Dietrich Peest, Christian Taverna, Bernhard Wörmann, Hartmut Goldschmidt
  • Internist 2013-54:1434-1442; D. Peest, A. Ganser; H. Einsele: Therapie des multiplen Myeloms. Was ist gesichert?