Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patient mit Hämaturie und Knochenschmerzen"
von Sebastian Rogenhofer und Stefan C. Müller
Inhaltsübersicht
Früherkennung des Prostatakarzinoms
Definition des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms
Konservative Behandlungsmodalitäten
Wann und mit welcherTherapie sollte begonnen werden
Einleitung
Bei der Erkrankung des Patienten in der beschriebenen Kasuistik handelte es sich unter Berücksichtigung des in Abb. 2 dargestellten Befundes um ein progredientes kastrationsresis-tentes Prostatakarzinom mit symptomatischer ureteroarterielle Fistel (siehe Pfeile in Abbildung 2).
Abbildung 2: retrograde Ureteropyelographie im Rahmen der transuretralen Harnleiterschienung links.
Abbildung 1:
Im CT-Abdomen des Patienten ist eine lymphogene Metastasierung pararektal und entlang der Iliakal-Gefäße zu erkennen.
Quelle: Klinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Bonn
Die Diagnostik und Behandlungsmodalitäten des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms haben sich in den letzten 10 Jahren massiv verändert. Trotz PSA-Diagnostik werden immer noch Patienten mit primärer Metastasierung diagnostiziert oder nach Lokaltherapie progredient. Die daraufhin eingeleitete Androgenablationstherapie ist eine effektive Erstlinientherapie aber nur von begrenzter Dauer.
Früherkennung des Prostatakarzinoms
Die Thematik des PSA-Screenings ist zwar nicht Gegenstand dieser Kasuistik, aber aufgrund des allgemeinen Interesses sei an dieser Stelle hierauf kurz eingegangen:
Das PSA Screening führt zu einem signifikant höheren Anteil an nachgewiesenen Prostatakarzinomen, von denen ein Teil keiner Behandlung bedarf. Ab einem Alter von 45 Jahren und einer Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren, sollten die Männer über die Möglichkeit der PSA-Früherkennung informiert werden. Hierbei sollte eine intensive Aufklärung über Vor- und Nachteile dieser Maßnahme erfolgen. Eine Prostatabiopsie sollte empfohlen werden, wenn:
- - der PSA-Wert bei der erstmaligen Früherkennung unter Berücksichtigung von
Einflussfaktoren (Größe, Entzündungen) kontrolliert bei >4 ng/ml liegt - - die digital-rektale Untersuchung karzinomverdächtig ist
- - im Verlauf ein auffälliger PSA-Anstieg vorliegt
Eventuell sollte bei 40-50jährigen schon ab einen PSA-Wert von >3 ng/ml eine Biopsie erfolgen
Das Intervall zur weiteren Nachsorge hängt von dem aktuellen PSA-Wert und dem Alter des Patienten ab. Ab einem Alter von 45 Jahren und einer Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren, sollten bei:
- - PSA < 1ng/ml in 4 Jahren erneut kontrolliert werden
- - PSA 1-2 ng/ml in 2 Jahren erneut kontrolliert werden
- - PSA >2 ng/ml jährlich kontrolliert werden
Bei Männern welche das 70 Lebensjahr überschritten haben und einen PSA-Wert < 1 ng/ml aufweisen, braucht keine weitere PSA-Früherkennung mehr erfolgen.
Abbildung 3: Typischer Verlauf der Prostatakarzinomerkrankung über die Hormonsensitivität über die Kastrationsresistenz bis zum Tod.
Definition des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms
Bei Progression trotz supprimiertem Testosteron spricht man von Kastrationsresistenz.
Die Kastrationsresistenz ist definiert als Anstieg des PSA (drei aufeinanderfolgendeansteigende
PSA-Werte und Zunahme >25%) oder Auftreten von neuen Metastasen trotz PSA-Wert <50 ng/dl. In der vorliegenden Kasuistik lag der Serumtesteronspiegel des Patienten unter <50 ng/dl. Es lag als eine kastrationsäquivalente Testosteronsuppression vor.
Konservative Behandlungsmodalitäten
Docetaxel Chemotherapie
Docetaxel wird halbsynthetisch aus der europäischen Eibe hergestellt. Im Rahmen der TAX 327 Studien konnte 2004 mit Docetaxel erstmals ein Überlebensvorteil für Patienten mit CRPCA gegenüber dem „palliativen Standard“ (Mitoxantron + Prednison) nachgewiesen werden. Zudem wurde auch eine bessere Lebensqualität und Schmerzkontrolle erreicht. Häufig führte die 3-wöchentliche Verabreichung zu hämatologischen Toxizitäten (v.a. Neutropenien), Epistaxis, Alopezie, Nagelveränderungen und Erbrechen.
Cabazitaxel Chemotherapie
Cabazitaxel ist ein weiterentwickeltes Taxan-Derivat, welches in Docetaxel-resistenten Zelllinien Wirksamkeit zeigt, da es kein Substrat von P-Glykoprotein ist. Cabazitaxel wird alle drei Wochen in einer Dosis von 25 mg/qm Körperoberfläche appliziert. Die 2010 veröffentlichte TROPIC Studie (Vergleich gegen Mitoxantron) bei Patienten nach Therapie mit Docetaxel zeigte eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens um 2,4 Monate und einen Abfall des PSA von > 50 Prozent bei 38 Prozent der Patienten. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Diarroe und das neutropenische Fieber. Gegenüber Docetaxel scheint es weniger Hauttoxizität, Alopezie und Neuropathie aufzuweisen, was angesichts der modernen Supportivmedizin die Therapie für den Patienten verträglicher macht.
Antihormonelle Therapien mit Abirateron
Abirateron ist ein selektiver Inhibitor des Enzyms CYP17A1. Dieses Enzym katalysiert die Testosteronproduktion, ist also ein steroidaler Androgenbiosynthese-Hemmer. Wird CYP17A1 blockiert, ist nicht nur die Testosteronproduktion im männlichen Hoden und in den Nebennieren blockiert sondern auch das Testosteron, das in den Karzinomzellen selbst gebildet wird.
Im Rahmen der COU-AA-301 Studie wurden Patienten die zuvor eine Docetaxel-haltige Chemotherapie erhalten hatten gegen Placebo untersucht. Hierbei zeigte sich ein signifikant verlängertes Überleben um 4,6 Monate sowie ein PSA-Abfall um > 50 Prozent bei 30 Prozent der Patienten. In der nachfolgenden COU-AA-302 Studie an Patienten ohne vorausgegangener Dozetaxelchemotherapie zeigte sich eine signifikante Verbesserung des radiologischen progressionsfreien Überlebens. Da die Studie jedoch frühzeitig abgebrochen wurde und die Patienten aus dem Placeboarm ebenfalls mit Abiraterone behandelt wurden, konnte kein signifikanter Überlebensvorteil für Abiraterone vor Chemotherapie gezeigt werden. In der Erstlinientherapie ist daher Abiraterone vor Docetaxel zugelassen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören ein Anstieg der Leberenzyme, eine Hypertonie, eine Hypokaliämie und eine Flüssigkeitsretention mit Ödemen. Die hormonablative Therapie führt nicht zu Kieferosteonekrosen.
Antihormonelle Therapien mit Enzalutamid
Enzalutamid ist ein Inhibitor der Androgen-Rezeptor-Signalkaskade, die dabei auf drei Ebenen unterbrochen wird:
- Inhibition der Aktivierung des Androgen-Rezeptors;
- Inhibition der nukleären Translokation aktivierter Androgen-Rezeptoren;
- Inhibition der Assoziation aktivierter Androgen-Rezeptoren mit Chromatin.
Hierdurch kommt es zu einer verminderten Proliferation der Prostatakarzinomzellen und zur Apoptose-Induktion. In der placebokontrollierten AFFIRM-Studie wurde das Gesamtüberleben von Patienten, die mit einer dozetaxelhaltigen Chemotherapie vortherapiert wurden, um 4,8 Monate auf median 18,4 Monaten verlängert. Auch zeigte sich ein deutlich positiveres PSA-Ansprechen und eine Verbesserung der Lebensqualität gegenüber dem Placebo. Die Daten der PREVAIL Studie mit 1680 chemotherapie-naiven Patienten sind im Frühjahr 2014 veröffentlicht worden. Die Behandlung mit Enzalutamid zeigte auch vor Chemotherapie im Vergleich zu Placebo einen statistisch signifikanten Vorteil beim Gesamtüberleben (30,2 Monate (Placebo) auf 32,4 Monate) sowie eine signifikante Verbesserung des radiologischen progressionsfreien Überlebens (2,8 Monaten (Placebo) auf 11,2 Monate).
Die Verträglichkeit von Enzalutamid ist ähnlich gut wie von Abiraterone. Selten berichten die Patienten von Müdigkeit, Durchfall, Kopfschmerzen und muskuloskeletale Beschwerden. Sehr selten kommt es zum Auftreten von Krampfanfällen, deshalb sollte Enzalutamid bei Patienten mit bekannter Epilepsie und ZNS-Metastasen nur unter besonderer Vorsicht angewendet werden. Nebenwirkung von Enzalutamid ist nicht Haarausfall. Und auch hier gilt: die hormonablative Therapie führt nicht zu Kieferosteonekrosen.
Radium-223 (Alpharadin) zur Therapie von Knochenmetastasen
Mit Radium-223 gelang es erstmalig einem Radionukleid eine Verlängerung des Gesamtüberlebens zu erreichen. Bei Alpharadin handelt es sich um einen Alphastrahler mit kalzimimetischen Eigenschaften. Hierdurch wird die Substanz im Knochen in Zonen mit erhöhtem Umbau aufgenommen und strahlt dort mit einer Eindringtiefe von 1-2 mm.
Alpharadin ist nicht bei Patienten mit viszeralen Metastasen zugelassen.
In der Alsympca Studie konnte eine signifikante Überlebensverlängerung von 3,6 Monaten und ein verzögertes Auftreten von „sceletal related events“ (SRE) aufgezeigt werden.
Im Gegensatz zu den bisher verwendeten Radionukleiden zeigt Radium-223 nur bei wenigen Patienten ausgeprägte Nebenwirkungen, insbesonders kaum schwerwiegende Myelosuppressionen. Die Verabreichung von Alpharadin erfolgt im Abstand von 4 Wochen ambulant und kann 6 mal wiederholt werden.
Osteoprotektive Therapie mit Bisphosphotaten und Denosumab
Bei nahezu allen Patienten mit metastasiertem CRPC kommt es zu Abbildung von ossären Metastasen. Nachdem die Überlebenszeiten für Patienten mit CRPC unter den modernen Therapeutika deutlich verlängert sind, führen pathologische Frakturen oder gar Spinalkanalkompressionen zu einer massiven, langandauernden Einschränkung der Lebensqualität. Liegen Knochenmetastasen vor, sollte mit dem Patienten über eine osteoprotektive Therapie zur Prävention von pathologischen Frakturen gesprochen werden. So konnte bereits 2004 für das Bisphosphonat Zolodronat eine signifikante Reduktion der SRE von 33,2 Prozent vs 44,2 Prozent (Placebo) gezeigt werden.
Bei der Gabe von Bisphosphonaten ist darauf zu achten, dass eine intakte Nierenfunktion besteht und zusätzlich vor und während der Therapie ein sanierter Zahnstatus vorherrscht. Der sanierte Zahnstatus ist zur Prävention einer Kieferosteonekrose unerlässlich. Im Jahr 2011 wurde durch die Zulassung des monoklonalen Antikörpers Denosumab gegen den RANK-Liganden die bisherige Standardtherapie mit Bisphosphonaten erweitert. Durch die Osteoklastenhemmung konnte für den RANK-Kigandinhibitor eine relative Risikoreduktion für SREs gegenüber dem Bisphosphonat Zoledronat um 18 Prozent von Fizazi et al publiziert werden.
Unter der Therapie mit Denosumab kommt es regelmäßig zu einer schweren Hypokalzämie, weshalb eine Kombination mit Kalzium und Vitamin D3 unablässig ist. Weiterhin besteht gegenüber dem Bisphosphonat Zoledronat eine numerische aber nicht signifikante Erhöhung von Kieferosteonekrosen. Die Therapie mit Denosumab erfolgt alle 4 Wochen mittels subkutaner Injektion.
Wann und mit welcher Theapie sollte begonnen werden
Aufgrund mangelnder randomisierter Sequenzstudien stehen heute nur retrospektive Arbeiten oder kleine Fallserien zur Therapieentscheidung zur Verfügung. Es sind bisher keine sicheren klinischen oder molekularen Marker bekannt.
Grundsätzlich scheint der Einsatz einer systemischen Behandlung bei symptomatischen metastasiertem CRPC indiziert zu sein. Auch stellt eine PSA-Verdopplungszeit von weniger als 2 Monaten und das Vorliegen von viszeralen Metastasen eine Therapieindikation dar.
Bei asymptomatischen Patienten mit geringer Tumorlast und langsam steigenden PSA ist das weitere Vorgehen ausführlich mit dem Patienten zu erörtern. In diesem Fall kann mit einer systemischen Therapie häufig zugewartet werden. Gesichert scheint jedoch, dass bei Therapiebeginn bei PSA-Werten über 114 ng/dl ein schlechteres Ansprechen auf eine Chemotherapie und auf eine Hormonmanipulation mit Abirateron vorzuliegen scheint. Es gibt Daten, welche nicht unwidersprochen sind, dass bei Patienten mit undifferenziertem Prostatakarziom (Gleason-Score 8-10) sowie bei Patienten mit kurzem Ansprechen auf die primäre Androgendeprivationstherapie (<16 Monate) eine Docetaxel Chemotherapie in der Erstlinie dem Abirateron vorzuziehen ist. Auch scheint bei Patienten, welche unter Docetaxel oder innerhalb von 3 Monaten nach Docetaxel-Chemotherapie progredient sind, die Gabe von Cabazitaxel sinnvoller als die Zweitlinientherapie mit Abirateron oder Enzalutamid erscheint.
Nachdem immer mehr Daten zeigen, dass es unter den Substanzen, welche für das CRPC zugelassen sind, zu Kreuzresistenzen kommt, scheint es noch wichtiger zu sein, mit jedem Patienten eine individuelle auf diesen abgestimmte Sequenz zu entwickeln.
Patienten, die ein hormonnaives Prostatakarzinom und eine Harnstauungsniere haben, sollten sofort mit einer Androgendeprivationtherapie behandelt werden, gegebenenfalls in Kombination mit einer Harnleiterschienung.
Bei dem Patienten in der vorliegenden Kasuistik wurde eine Behandlung mit Alpharadin und die radiologische Embolisation der ureteroarteriellen Fistel eingeleitet. Die Therapie mit Abirateron wurde zunächst fortgeführt.