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Zertifizierte Kasuistik "Bauchschmerzen und Diarrhoen"

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Bauchschmerzen und Diarrhoen "

 

von Ricarda E. Clarenbach

Inhaltsübersicht

Erläuterungen zur Kasuistik

Pathophysiologie

Symptome des Karzinoid-Syndroms

Lokalisation der Karzinoide

Diagnostik

Histologische Sicherung

Therapiemöglichkeiten

Epikrise unserer Patientin

Literatur


Erläuterungen zur Kasuistik

Der Symptomkomplex Diarrhoen, Bauchschmerzen und Flush weist typisch auf das Vorliegen eines Karzinoid-Syndroms hin. Es handelt sich hierbei um ein Hormonexzess-Syndrom, dessen Ursache die Ausschüttung einer Vielzahl von Peptiden und vasoaktiven Substanzen, insbesondere von Serotonin und Tachykininen, in die Blutbahn ist.

Als Tumormarker eignen sich sowohl die Bestimmung des Serotonin-Metaboliten 5-Hydroxy-Indolessigsäure (5-HIES) im 24-Stunden-Sammelurin als auch des Chromogranin A (CgA) aus dem Serum, die die jedoch verschiedenen Einflussfaktoren unterliegen und falsch-positiv ausfallen können.

Karzinoide zählen zu den häufigsten neuroendokrinen Neoplasien. In der Mehrzahl der Fälle sind sie im Ileum, am häufigsten im terminalen Abschnitt, lokalisiert. Das Karzinoid-Syndrom setzt voraus, dass Tumormanifestationen außerhalb des Pfortadersystems  vorhanden sind, deren Tumorpeptide nicht hepatisch metabolisiert werden. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich dabei, wie im vorliegenden Fall, um Lebermetastasen.

Neben der CT-Bildgebung (Abbildung 1), die sensitiv und gut verfügbar ist, ermöglicht die Somatostatin-Rezeptor-Bildgebung eine Einschätzung des Differenzierungsgrades der Tumore und die Selektion geeigneter Patienten für eine Peptidrezeptorradionuklidtherapie.

Pathophysiologie

Mehr als 40 Peptide und vasoaktive Substanzen wurden bei verschiedenen Karzinoiden identifiziert. Bestimmte Symptome können einzelnen Substanzen zugeordnet werden.

Für die kutanen Symptome Flush (85% der Fälle), Teleangiektasien (25%) und Zyanose (18%) werden  Kinine, Histamine und Kallikrein als ursächlich angesehen. Die mit 7 Prozent selten anzutreffende Pellagra erklärt sich durch einen Tryptophan-Mangel aufgrund eines gesteigerten Metabolismus zu Serotonin.

Serotonin wiederum wird als Mediator von Diarrhoen und abdominalen Krämpfen genannt, die bei 75-85 Prozent der Patienten das führende Symptom darstellen. Aufgrund seiner Fibroblasten-stimulierenden Wirkung ist bei bis zu 40 Prozent der Patienten eine Herzklappenfibrose mit Betonung der rechten Herzklappen zu finden.  Die Mediatoren für Bronchokonstriktion, die bei bis zu 20 Prozent der Patienten auftritt, sind bislang unbekannt.

Symptome des Karzinoid-Syndroms

Typisch für das Karzinoid-Syndrom sind Flush-Episoden, die spontan oder nach dem Essen, nach Alkohol-Konsum oder abdominalen Manipulationen für 30 Sekunden bis 30 Minuten Dauer auftreten können. Begleitend können Blutdruckabfall und Tachykardie, in Falle einer Anästhesie über Stunden anhaltend, zu einer Karzinoid-Krise führen.

Diarrhoen sind das häufig die Patienten beeinträchtigenste Symptom. Typischerweise sind sie wässrig, nicht blutig, explosiv und mit abdominalen Krämpfen vergesellschaftet. Die Frequenz kann bis zu 30/d reichen.

Die Symptome einer Endokardfibrose unterscheiden sich im wesentlichen nicht von anderen Erkrankungen des rechten Herzens mit anfangs führender Erschöpfung und Belastungsdyspnoe und im Verlauf zunehmender Dyspnoe, Oedemen und Aszites.

Seltene Varianten sind das Magen-Karzinoid-Syndrom, das sich durch einen scharf markierten roten, juckenden Flush, wahrscheinlich infolge erhöhter Histamin-Ausschüttung, auszeichnet, und das bronchiale Karzinoid-Syndrom, bei dem die Flush-Episoden Stunden bis Tage anhalten und gelegentlich von Verwirrtheits- und Angstzuständen, Asthma und Tremor begleitet werden können.

Lokalisation der Karzinoide

Bei den Karzinoiden handelt es sich um gut differenzierte gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumore, die vom Gastrointestinaltrakt und nicht dem Pankreas ausgehen. Zumeist sind sie im terminalen Ileum lokalisiert. In bis zu 30 Prozent der Fälle treten sie multiple auf. Seltene Varianten sind die bereits erwähnten bronchialen und gastralen neuroendokrinen Neoplasien.

Diagnostik

Biochemische Tests

Aufgrund seiner Sensitivität von 75 Prozent und einer sehr hohen Spezifität ist die Messung der Exkretion von 5-HIES im 24-Stunden-Sammelurin der erste diagnostische Schritt in der Abklärung bei Verdacht auf ein Karzinoid-Syndrom. Um falsch-positive Resultate zu  verhindern,  sollten 24 Stunden vor der Urin-Sammlung Tryptophan- oder Serotonin-reichen Nahrungsmittel (z.B. Bananen, Kiwi, Ananas, Tomaten, Pflaumen, Avokado, schwarze Oliven, Blumenkohl, Melone) und bestimmte Medikamente (z. B. Phenacetin, Reserpin, Methocarbamol)  vermieden werden. Da hauptsächlich nur die Karzinoide des Jejunums bis Colon ascendens Serotonin produzieren, fällt die Messung für die gastroduodenal oder distal des Colon ascendens gelegen Tumoren negativ aus.

Die Bestimmung von Chromogranin A, einem Protein, das in Granula vieler verschiedener neuroendokriner Zellen vorkommt und sezerniert wird, wird wegen seiner relativ geringen Spezifität nicht als Screening-Test, sondern nur bei initial erhöhten Werten als Tumormarker im Krankheitsverlauf empfohlen.  Auch hier gilt zu beachten, dass verschiedene Faktoren (z. B. Einnahme von Protonenpumpenblockern, chronisch atrophe Gastritis, Glukokortikoid-Exzess, chronische Niereninsuffizienz) zu falsch hohen Werten führen können.

Bildgebung

Bei Verdacht auf ein Karzinoid-Syndrom wird eine Multiphasen- Kontrast-verstärkte CT des Abdomens (Abbildung 1) und des Beckens empfohlen. Wegen der frühen und gelegentlich nur kurzen Kontrastmittelanreicherung der hypervaskularisierten Lebermetastasen sollte die CT einschliesslich früharterieller Phase angefordert werden. Karzinoide des Dünndarms verursachen, wie im geschilderten Fall, häufig große mesenteriale Raumforderungen, entweder infolge eines lokalen Tumorwachstums des Primärtumors oder infolge von Lymphknotenmetastasen. Diese lassen sich in der CT-Bildgebung besonders gut darstellen.

CT des Abdomens

Abbildung 1: Computertomographie des Abdomens der vorliegenden Kasuistik Die Computertomographie des Abdomens zeigt multiple hypodense Läsionen in der Leber sowie im Mittelbauch eine in der Mesenterialwurzel liegende weichteildichte Raumforderung mit einem ca. 18 x 18 mm grossen Zentrum und strahligen Ausläufern zu den umgebenden Dünndarmschlingen. Abbildung: Kantonsspital Graubünden, Chur

 

Die MRT hat ihren Stellenwert in der guten Darstellung von Tumormanifestationen in der Leber und im Becken.

Viele neuroendokrine Tumore exprimieren Somatostatin-Rezeptoren. Die Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie ermöglicht durch den Einsatz eines Radiopharmakons, zum Beispiel des Gamma-Strahlers 111-Indium, der an ein Somatostatin-Analogon wie beispielsweise Octreotid gebunden ist, eine Ganz-Körper-Bildgebung. Neben der bildlichen Darstellung Somatostatin-Rezeptor-positiver Tumorabsiedlungen informiert die Octreotid-Szintigraphie (Abbildung 2) zugleich über die Rezeptordichte und hilft bei der Auswahl von Patienten, die von einer Peptidrezeptorradionuklidtherapie (PRRT) mit einem radioaktiv markierten Somatostatinanalogon profitieren könnten.

Das Ausmaß der Speicherung des Radiopharmakons in der Octreotid-Szintigraphie sagt sehr gut das Ansprechen auf eine PRRT voraus (1). Mesenteriale Raumforderungen wie auch die Lebermetastasen speichern gut Octreotide.

Tumorszintigraphie

Abbildung 2: Tumorszintigraphie mit 185 MBq 111In-Octreotide der vorliegenden Kasuistik. In der Octreotid-Szintigraphie stellen sich in den Ganzkörper-Aufnahmen von ventral und dorsal die in der CT beschriebenen Tumormanifestationen mesenterial und in der Leber als Octreotid-speichernde und somit Somatostatin-Rezeptor2-positive Befunde dar. Abbildung: Kantonsspital Graubünden, Chur

Histologische Sicherung

Vor jeder Therapie steht die histologische Sicherung des Befundes. Bei Patienten mit Lebermetastasen sollte, falls keine Histologie des Primarius vorliegt, eine Biospie der Lebermetastasen erfolgen. Das Grading  richtet sich nach der Proliferationsrate (<2% G1, 2-20% G2, >20% G3) und ist entscheidend für die Festlegung therapeutischer Strategien.

Therapiemöglichkeiten

Sobald ein Karzinoid-Syndrom vorliegt, handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um eine metastasierte Therapiesituation. Sollte es sich um eine isolierte hepatische Metastasierung handeln und sollten der Primarius sowie die Lebermetastasen resezierbar oder lokal abladierbar sein, wird eine entsprechende chirurgische und lokal ablative Therapie (z.B. inkl. Radiofrequenzablation oder transarterielle Chemoembolisation) empfohlen.

Im Falle einer diffusen Lebermetastasierung oder Inoperabilität stellt die Behandlung mit Somatostatin-Analoga wie Octreotid und Lanreotid die Therapie der ersten Wahl dar. Sie hat neben der antisekretorischen und symptomatischen Wirkung auch einen antiproliverativen Effekt im Sinne einer Tumorstabilisierung mit Verlängerung der Zeit bis zur Tumorprogression von bis zu 8 Monaten (2).  Beide Substanzen liegen in retardierter Form vor und können einmal im Monat intramuskulär beziehungsweise tief subcutan appliziert werden. Die Dosis richtet sich nach der Symptom-Kontrolle. Bei frühzeitigem Einsatz kann das Auftreten einer Endokardfibrose verzögert oder möglicherweise verhindert werden. Selten treten gastrointestinale Nebenwirkungen, Hyperglykämie und Gallenblasen-Sludge auf.

Interferon alpha stellt bei Unverträglichkeit der Somatostatin-Analoga eine Alternative dar. Bei bis zu 70 Prozent der Fälle kann die Karzinoid-Symptomatik kontrolliert werden. In Studien waren partielle Remissionen bei 10-15 Prozent, eine Stabilisierung der Tumorerkrankung bei rund 40 Prozent der Patienten zu beobachten (3).

Bei Progress oder unzureichender Symptomkontrolle unter den vorgenannten Therapien kann bei Tumoren, die in der Octreotid-Szintigraphie einen hohen Somatostatin-Rezeptor-Besatz zeigen, eine PRRT in Erwägung gezogen werden. Voraussetzung sind eine gute Nierenfunktion und eine ausreichende Hämatopoese wegen der potentiellen Nephro- und Hämatotoxizität. Prinzip ist die Komplexbildung eines Somatostatin-Analogons mit einem Beta-Emitter, der agonistisch an den Somatostatin-Rezeptor der Tumorzelle gebunden und anschließend internalisiert wird. Die Tumorzelle selbst und die angrenzenden Zellen werden der Beta-Strahlung ausgesetzt.   Momentan werden hauptsächlich die beiden radioaktiv markierten Somatostatin-Analoga 177 Lutetium- DOTATATE und 90 Yttrium-DOTATOC eingesetzt. In 20-45 Prozent der Fälle ist ein Therapieansprechen im Sinne einer Grössenreduktion, bei einer Mehrzahl eine Tumorstabilisierungen und gute Symptomkontrolle zu erwarten (4).

Epikrise unserer Patientin

Klinisch bot sich das Bild eines Karzinoid-Syndroms mit der bestätigenden biochemischen Konstellation einer erhöhten 5-HIES im Urin und erhöhten CgA-Werten im Serum. In der CT (Abbildung 1) zeigten sich morphologisch ein Dünndarmtumor mit mesenterialer Komponente und eine diffuse Lebermetastasierung, die sich in der Octreotid-Szintigraphie bestätigten. Eine zweite Leberbiopsie zwecks histologischer Sicherung war von der Patientin abgelehnt worden.

Nach einem erfolglosen Therapieversuch mit Octreotid war aufgrund der guten Octreotid-Speicherung in der In-111 Octreotid-Szintigraphie zweimalig eine metabolische Therapie mit 90Y-DOTATOC veranlasst worden, wonach sich die Symptomatik besserte und die Lebermetastasen partiell regredient waren. Sechs Monate nach der letzten Therapie zeigte sich in der CT wieder ein Progress der Lebermetastasen. Klinisch führend war eine Linksherzinsuffizienz bei bekannter KHK. Die Patientin lehnte wegen Depressionen eine erneute Therapie ab. Acht Monate nach der letzten Therapie verstarb die Patientin an einer Lungenentzündung.

Literatur

  1. Schillaci O et al. Single photon emission computed tomography procedure improves accuracy of somatostatin receptor scintigraphy in gastro-entero pancreatic tumours. Ital J Gastroenterol Hepatol 1999; 31 Suppl 2:S186.
  2. Rinke A et al. PROMID Study Group. Placebo-controlled, double-blind, prospective, randomized study on the effect of octreotide LAR in the control of tumor growth in patients with metastatic neuroendocrine midgut tumors: a report from the PROMID Study Group.J Clin Oncol. 2009 Oct 1;27(28):4656-63. Epub 2009 Aug 24.
  3. Oberg K, Eriksson B. The role of interferons in the management of carcinoid tumours.Br J Haematol. 1991 Oct;79 Suppl 1:74-7.
  4. Haug A.R., Bartenstein, P. Peptidradiorezeptortherapie neuroendokriner Tumoren. Onkologe 2011. 17:602-608.