Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patient mit Ikterus bei progredienter Hyperbilirubinämie"
von Christoph Sippel und Peter Walger
Bei dem Fallbericht handelt es sich um eine Leptospirose. Hierbei handelt es sich um eine bakterielle Infektion mit Erregern des Genus Leptospira. Infektionsquelle sind vorwiegend Ratten und Mäuse aber auch weitere Haus-, Nutz- und Wildtiere. Die Erreger werden von infizierten Tieren mit dem Urin ausgeschieden. Leptospiren können durch kleine Verletzungen in der Haut und durch intakte Konjunktiva in den Organismus eindringen, selten kann eine Übertragung durch kontaminiertes Blut oder Gewebe erfolgen. Hämatogen gelangen Leptospiren in praktisch alle Organe einschließlich des ZNS und führen vor Ort durch Endothelschäden zu einer generalisierten Vaskulitis. Die Krankheit verläuft bei den meisten Menschen als unspezifische grippeähnliche Erkrankung. Immer wieder kann sich aber auch ein schweres fieberhaftes, septisches Krankheitsbild entwickeln. Die seltene, aber schwerste Verlaufsform, der Morbus Weil, an dem auch unser Patient erkrankt ist, geht typischerweise mit ausgedehnten Hämorrhagien, Delir, Leber- und Nierenversagen einher.
Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 70 Fälle einer Leptospirose gemeldet. Das klinische Bild war in der überwiegenden Zahl der Fälle unspezifisch. Die häufigsten Symptome waren
- Fieber (76%),
- grippeähnliche Beschwerden (63%),
- Nierenfunktionsstörung (43%),
- Ikterus (33%),
- Atembeschwerden (14%) und
- Blutungen (6%).
Im Jahr 2010 wurde kein Todesfall gemeldet. Auch unser Patient hat die Krankheit gut überstanden und wurde wieder vollständig gesund.
Zur Diagnosesicherung dient die mikrobiologische Diagnostik. Hier kann der Nachweis in Kulturverfahren versucht werden. Spezialmedien müssen bis zu vier Wochen bebrütet und im Dunkelfeldmikroskop kontrolliert werden. Zur definitiven Diagnostik dient der Antikörpernachweis. In unserem Fall konnten bei dem Patienten deutlich erhöhte IgM-Antikörper ohne Nachweis von IgG-Antikörper gesehen und somit die Diagnose gesichert werden.
Da es sich um eine bakterielle Infektion mit hoher Entzündungsaktivität handelt, zeigt sich auch in den Laboruntersuchungen eine typische Konstellation mit erhöhten Akutphaseproteinen.
Im Rahmen einer schweren Verlaufsform kommt es häufig auch zu einer Thrombopenie. Diese ist nicht spezifisch und ist generell bei schwerer Sepsis als Folge einer Verbrauchskoagulopathie anzutreffen. Bei einer spezifischen Reiseanamnese mit Rückkehr aus tropischen Regionen muß ein Hämorrhagisches Fieber Anlaß zu höchster Aufmerksamkeit sein. Eine sofortige Quarantäne des Patienten, Meldung an die Gesundheitsbehörden, unmittelbare Rücksprache mit dem Robert Koch-Institut (RKI) oder tropenmedizinischer Spezialinstitute sind erforderlich. Je nach Reiseregion kann eine Vielzahl von Erregern Ursache eines Viralen Hämorrhagischen Fiebers sein. Hierzu gehören Gelbfieber-, Ebola- und Marburgviren, das Lassavirus, das Chikungunyavirus, selten das Denguefieber-Virus sowie Rift-Valley-Fieber- und Krim-Kongo-Virus.
2010 wurden 37 importierte Infektionen unter der Kategorie „Virale hämorrhagische Fieber, sonstige Erreger“ an das RKI gemeldet. Es handelte sich ausnahmslos um Fälle von Chikungunya-Virus-Infektionen ohne hämorrhagische Verläufe. Bei einem septischen, hämorrhagisch-ikterischen Krankheitsbild kann es sich neben einer Leptospirose auch um andere bakterielle Infektionen wie beispielsweise einer Meningokokken-Sepsis handeln. Auch eine Malaria muss bei typischer Reiseanamnese ausgeschlossen werden. Differentialdiagnostisch ist diese Konstellation auch suggestiv für eine TTP/ HUS. Hier wäre allerdings eine Erhöhung der LDH bei negativem Coombs-Test mit in der Regel positivem Nachweis von Fragmentozyten zu erwarten. Zusammen mit der deutlichen Erhöhung der Entzündungsparameter und Fieber scheint im vorliegenden Fall eine infektiöse Genese wahrscheinlicher. Das Vorhandensein von Diarrhoen könnte, nach der erst kürzlich abgelaufenen EHEC- Epidemie, hier auf eine falsche Fährte locken.
Therapeutisch steht Penicillin G als Mittel der Wahl zur Verfügung. Alternativ kommen Cephalosporine der 3. Generation oder Ampicillin zum Einsatz. Sehr gut wirksam ist auch Doxycyclin, welches bei weniger schweren Verläufen eingesetzt wird. Die antibiotische Therapie sollte so schnell wie möglich initiiert werden, bereits der klinische Verdacht rechtfertigt einen empirischen Antibiotikaeinsatz. Ab dem 5. Tag der Erkrankung gibt es Kontroversen über die Wirksamkeit. Unter der Vorstellung einer Reduktion der Urinausscheidung infektiöser Leptospiren sollte dennoch auf jeden Fall eine Therapie, unabhängig von der Erkrankungsdauer, begonnen werden. Unter der Therapie mit Penicillin muss mit einer Jarisch-Herxheimer Reaktion gerechnet werden. Zudem ist natürlich eine dem Krankheitsverlauf entsprechende intensivmedizinische Supportivtherapie angezeigt. Es sind schwere, teils letale Verläufe bekannt.
Die Leptospirose wird ausschließlich durch den Kontakt mit Urin, Blut oder Gewebe infizierter Tiere übertragen. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich. Insofern gehört die Leptospirose zu den Zoonosen. Da das Haupterregerreservoir Nagetiere insbesondere Ratten sind, gelten die Personengruppen Wassersportler, Angler, Kanalarbeiter und alle Personen, die mit Nagetieren in Kontakt geraten, als gefährdet.
Die Erkrankung ist meldepflichtig. Im Jahr 2009 wurden 92 Fälle in Deutschland, davon 8 in NRW und im Jahr 2010 70 Fälle in Deutschland, davon 10 in NRW gemeldet. In den letzten Jahren gab es einige bemerkenswerte Ausbrüche von Leptospirosen bei Triathleten. So waren in den USA 12 Prozent der Erkrankten eines Jahres Triathleten. Der letzte Ausbruch in Deutschland betraf 2007 eine Gruppe von Erdbeerpflückern. Unser Patient war Hobbyangler und kehrte nach einem Campingurlaub aus Frankreich zurück.
Eine humanmedizinische Impfung gegen Leptospiren steht aufgrund der zahlreichen Serovare nicht zur Verfügung. Auch Immunität besteht nach Erkrankung nur für den jeweiligen Subtyp. Als Prophylaxe könnte Doxycyclin eingesetzt werden. Eine Gruppe amerikanischer Soldaten erhielt prophylaktisch Doxycylin während eines Manöver-Einsatzes in Hochrisikogebieten Panamas. Hieraus hat sich jedoch kein Standard etabliert.