Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Hirntoddiagnostik und Organspende"
von Ulrike Wirges, Torsten Biel, Christian Brandtner, Christina Wittek
Inhalt
Exkurs: Dopplersonographie zur Hirntoddiagnostik
Rechtliche Vorraussetzungen
Die rechtlichen Grundlagen in Deutschland werden durch das Transplantationsgesetz (TPG) gegeben, welches am 1. Dezember 1997 in Kraft trat.
In Deutschland ist eine postmortale Organspende nur unter den Vorraussetzungen möglich, dass der Tod des Spenders nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft festgestellt ist und eine Einwilligung zur Organentnahme vorliegt. Der Eingriff unterliegt zudem dem Arztvorbehalt. Vermittlungspflichtige Organe im Sinne des TPG sind Herz, Lunge, Leber, Nieren, Pankreas und Darm.
Aktuell gilt in Deutschland die erweiterte Zustimmungsregelung. Dies bedeutet, dass, wenn es keinen schriftlich dokumentierten oder geäußerten Willen des Verstorbenen gibt, die nächsten Angehörigen zum mutmaßlichen Willen befragt werden. Ist der mutmaßliche Wille nicht ermittelbar, dürfen die Angehörigen dann auch nach eigenem Ermessen entscheiden. Die Angehörigen müssen in den letzten zwei Jahren persönlichen Kontakt zum Verstorbenen gehabt haben und werden vom Gesetz in eine Rangfolge gebracht (siehe Tabelle 1). Bei mehreren gleichrangigen Angehörigen reicht die Zustimmung eines Angehörigen. Jedoch führt die Ablehnung auch nur eines gleichrangigen Angehörigen zu einer gesamten Ablehnung der Organspende. Das TPG räumt Minderjährigen für die eigene Person bereits ab 14 Jahren das Recht auf Ablehnung und ab 16 Jahren das Recht auf Zustimmung ein. Diese Art der Zustimmungslösung wurde in den letzten Monaten in der Politik diskutiert, so dass mit einer Änderung des TPG und der Einführung einer Entscheidungslösung gerechnet werden kann.
1 | Ehegatte | volljährige Person in besonderer persönlicher Verbundenheit, |
2 | volljährige Kinder | |
3 | Eltern | |
4 | Geschwister | |
5 | Großeltern |
Tabelle 1: Rangfolge der Angehörigen nach § 4 Abs. 2 TPG
Die Person in besonderer persönlicher Verbundenheit (zum Beispiel Lebensgefährte) tritt in der Rangfolge neben den nächsten Angehörigen und ist diesem bei der Entscheidung gleichgestellt.
Hirntoddiagnostik
Die Bundesärztekammer ist durch §16 TPG beauftragt, dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechende Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes zu erstellen. Diesem Auftrag folgend gibt es seit 1997 die Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, welche für die Durchführung und die Dokumentation der Hirntoddiagnostik bindend sind. Die Richtlinien beschreiben die Voraussetzungen zur Hirntoddiagnostik, die Qualifikation der untersuchenden Ärzte und die unterschiedlichen Vorgehensweisen, abhängig von Entstehung und Lokalisation der Hirnschädigung sowie dem Alter des Patienten. Ebenso wird die Dokumentation der Untersuchungen über das „Protokoll zur Feststellung des Hirntodes“ formell festgelegt.
Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes
Die geforderte Qualifikation der untersuchenden Ärzte ist eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schwerer Hirnschädigung. Durch diese Definition ist die Untersuchung nicht auf bestimmte Fachrichtungen beschränkt und es besteht auch kein Facharztvorbehalt. Die Untersucher dürfen aber weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des Spenders beteiligt sein. Sie dürfen auch nicht Weisungen eines Arztes unterstehen, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist. Sie müssen zudem den Patienten unabhängig voneinander untersuchen.
Abbildung 1: CCT einer schweren hypoxischen Hirnschädigung nach kardio-pulmonaler Reanimation mit massiven Hirnödem und komprimierten Ventrikeln (siehe Pfeile). Foto: Deutsche Stiftung Organtransplantation
In dem vorgestellten Fall ergeben sich aus der vorbestehenden und akut exazerbierten COPD Besonderheiten für die Hirntoddiagnostik, da es gemäß der Richtlinien zur Hirntoddiagnostik, Anmerkung 3b „Prüfung des Atemstillstandes“, keine allgemein anerkannten Werte des paCO2 für einen positiven Apnoetest bei Patienten gibt, die durch ihre Vorerkrankung an erhöhte Werte über 45 mmHg adaptiert sind. Dieser obligatorische Test, der unter normalen Bedingungen einen zentralen Atemstillstand bei einer Hyperkapnie von über 60mmHg nachweist, ist in diesem Fall für den Funktionsausfall des Hirnstammes nicht beweisend. Die Richtlinie fordert daher den Funktionsausfall durch zusätzliche, apparative Untersuchungen zu belegen. Hierfür kommt derzeit nur der Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstandes in Frage, der hier mittels Dopplersonographie bei adäquatem systemischem Blutdruck den indirekten Beweis des Funktionsausfalles des Hirnstammes erbringt. Der Irreversibilitätsnachweis -bei hier sekundärer Hirnschädigung - kann daher in diesem Fall nicht über eine 72-stündige Beobachtungszeit und erneute klinische Untersuchung geführt werden.
Exkurs: Dopplersonographie zur Hirntoddiagnostik
In den Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes ist die Dopplersonographie zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes im Rahmen des Nachweises der Irreversiblität der klinischen Ausfallsymptome als technisches Zusatzverfahren zugelassen. Der Nachweis eines zerebralen Zirkulationsstillstandes mittels Dopplersonographie ist ein indirekter Nachweis des Funktionsausfalls über die nicht mehr stattfindende Durchblutung des Großhirns, Kleinhirns und des Hirnstamms. Diese Untersuchung ist aber an definierte Voraussetzungen gebunden.
- Die Untersuchung muss durch einen in dieser Methode erfahrenen Untersucher bei einem ausreichenden systemischen Blutdruck durchgeführt werden.
- Im Rahmen der Dopplersonographie müssen durch den Untersucher alle extrakraniellen, hirnversorgenden Arterien und transkraniell die Hirnbasisarterien beschallt werden.
- Die Untersuchung muss mindestens zweimalig im Abstand von wenigstens 30 Minuten erfolgen.
Verwertbar im Sinne eines Perfusionsstillstands ist eine Biphasische Strömung (oszillierende Strömung/Pendelfluss) mit gleich ausgeprägter antero- und retrograder Komponente oder kleine frühsystolische Spitzen, die kleiner als 50 cm/s sind, und sonst fehlende systolische und diastolische Strömung in den Aa. cerebri mediae, Aa. carotides internae intrakraniell sowie in den übrigen beschallbaren intrakraniellen Arterien und in den extrakraniellen Aa. carotides internae und Aa. vertebrales.
Abbildung 2: Frequenzspektren der transkraniellen Dopplersonographie (TCD), (Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation: DSO)
Ein Fehlen der Strömungssignale (no flow) bei transkranieller Beschallung der Hirnbasisarterien kann nur dann als sicheres Zeichen eines zerebralen Kreislaufstillstandes gewertet werden, wenn derselbe Untersucher einen Signalverlust bei zuvor eindeutig ableitbaren intrakraniellen Strömungssignalen dokumentiert hat und an den extrakraniellen hirnversorgenden Arterien ebenfalls ein zerebraler Kreislaufstillstand nachweisbar ist.
Im Umkehrschluss ist eine Untersuchung, bei der initial über einer der genannten Arterien keine Strömungssignale mehr darstellbar sind, nicht verwertbar beziehungsweise beweisend im Sinne eines Perfusionsstillstandes.
Spendereignung
Aufgrund guter Ergebnisse nach Transplantationen von Organen älterer Spender wurden früher einmal bestehende Altersgrenzen aufgehoben. Es gibt somit keine obere Altersgrenze für einen Organspender mehr. Die Eignung der einzelnen Organe für eine Transplantation muss in jedem Einzelfall anhand der Krankheitsgeschichte, Laborparameter und der sonstigen Untersuchungsergebnisse beurteilt werden. Insbesondere akute Funktionseinschränkungen müssen nicht zum Ausschluss dieser Organe führen.
Der in diesem Fall beobachtete Anstieg der Retentionsparameter im Sinne eines beginnenden akuten Nierenversagens ist zum Beispiel kein Ausschlusskriterium für die Transplantation dieser Nieren.
Es gibt nur noch wenige absolute Kontraindikationen zur Organspende. Ein akutes, metastasierendes Tumorleiden ist eine absolute Kontraindikation. Ein Tumor, der jedoch vor mehr als 5 Jahren kurativ behandelt wurde, seitdem kein Rezidiv hatte und somit als geheilt gilt, braucht einer Organspende nicht entgegenzustehen. Wichtig ist in einem solchen Fall eine genaue Dokumentation der Nachsorgeuntersuchungen und des Grading und Staging. Ebenfalls gilt in Deutschland eine HIV-Infektion als absolute Kontraindikation. Eine Sepsis mit Multiorganversagen gilt dann als Kontraindikation, wenn noch kein Keimnachweis gelungen ist, beziehungsweise die Sepsis sich als therapierefraktär darstellt. Eine Sepsis mit nachgewiesenem Erreger und adäquater Antibiose ist keine Kontraindikation. Weitere absolute Kontraindikationen sind die aktive Tuberkulose und Prionenerkrankungen.
Ablauf der Organspende in der Klinik
Die Kliniken mit Intensivstation in Nordrhein-Westfalen wurden durch das Krankenhausgestaltungsgesetz NRW (KHGG) und das Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (AG-TPG) des Landes NRW verpflichtet, einen Arzt in leitender Stellung als Transplantationsbeauftragten zu stellen. Dieser soll in seiner Klinik schriftliche Handlungsanweisungen für den Ablauf einer Organspende erstellen. Die Kliniken sind verpflichtet, potentielle Organspender zu melden.
In der Praxis erfolgt die Meldung an die zuständige Organisationszentrale der Region der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Dort gibt es eine 24-Stunden Hotline (DSO-NRW 0800 / 3311330), die die Anrufe entgegennimmt und dem diensthabenden Koordinator weiterleitet.
Dieser klärt dann mit dem behandelnden Arzt die Vorraussetzungen zur Organspende ab. Im Einzelfall werden toxikologische Untersuchungen bei dem Verdacht auf eine Intoxikation oder auch bei einer vorherigen Sedierung durch die DSO organisiert. Ebenfalls können Konsiliarärzte für die Hirntoddiagnostik bei fehlenden personellen oder apparativen Untersuchungsmöglichkeiten vermittelt werden. Diese Hilfsangebote der DSO sind für das Krankenhaus kostenlos. Das Angehörigengespräch wird dann durch den zuständigen Arzt in der Klinik mit dem Angebot einer Beteiligung des Koordinators der DSO geführt und dokumentiert. Bei jeder ungeklärten oder unnatürlichen Todesursache muss die Staatsanwaltschaft informiert und die Freigabe zur Organentnahme eingeholt werden. Die DSO bietet den Kliniken an, für sie den Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufzunehmen.
Häufig kommt es im Hirntod durch den Wegfall der zentralen Regelkreisläufe zu Entgleisungen der Laborwerte und der Kreislaufparameter. Aufgrund des Ausfalls des im Hypothalamus gebildeten ADH kommt es in rund 75 Prozent der Fälle zu einem Diabetes insipidus mit einer oft ausgeprägten Hypernatriämie. Durch Verlust der Temperaturregulation findet sich häufig eine Hypothermie. Der Ausfall des Vasomotorenzentrums bedingt häufig eine Hypotonie mit dem Erfordernis einer Katecholamintherapie. Bei Fragen zur organprotektiven Intensivtherapie nach Feststellung des Todes wird das behandelnde Team von der DSO unterstützt. Der Koordinator der DSO klärt mit dem zuständigen Arzt die erforderlichen Untersuchungen des Spenders ab.
Bei der Vorbereitung einer Organspende werden folgende Untersuchungen benötigt:
| Nieren | Leber | Pankreas | Herz | Lunge | |
Labor | klinische Chemie | immer: kleines Blutbild, Elektrolyte, Glukose, Kreatinin, Harnstoff, | ||||
klinische Chemie Leber | immer: GPT, GOT, GGT, AP, Bilirubin ges., Bilirubin dir., LDH, Lipase, Amylase, Gesamteiweiß, Albumin (aktuelle Werte nicht älter als 12h) | |||||
HbA1c / Amylase |
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| X |
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Troponine |
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| X |
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U-Status | X | X | X | X | x | |
BG | Blutgruppe | immer serologische Bestimmung | ||||
Virol. | Serologie / MiBi | durch DSO (HIV, CMV, HBV, HCV, EBV, TPHA, Toxopl.) | ||||
BGA | BGA | X | X | X | X | X |
BGA 100% |
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| X | X | |
app. Untersuchungen | Ultraschall Abdomen | X | X | X | X | X |
Röntgen Thorax | X | X | X | X | X | |
Röntgen Thorax aktuell |
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| R | R | |
Echokardiographie |
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| X |
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12-Kanal EKG |
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| X | X | |
Bronchoskopie |
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| R | |
Koronar-Angiographie |
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| R |
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| R: nach Rücksprache mit DSO veranlassen |
Tabelle 2: Voruntersuchungen zur Organspende
Spezielle Laboruntersuchungen wie die HLA-Typisierung oder virologische Untersuchungen werden von den akkreditierten Regionallaboren durchgeführt. Die so erhobenen Daten werden zur Charakterisierung des Spenders erfasst, ebenfalls die Vorerkrankungen, Medikation, Kreislaufparameter und die Daten zur Hirntoddiagnostik und dem Angehörigengespräch.
Diese Daten werden dann an die Vermittlungsstelle Eurotransplant in Leiden (Niederlande) übermittelt. Eurotransplant beginnt daraufhin umgehend mit der Allokation der Organe. Die Allokation erfolgt nach den „Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG“ der Bundesärztekammer in denen für jedes Organ spezifische Allokationskriterien festgelegt sind.
Zu diesem Zeitpunkt ist der Beginn der Entnahmeoperation bereits geplant. Bei einer rein abdominellen Organentnahme (Leber, Pankreas, Nieren) kann circa 3 - 4 Stunden nach der Meldung an Eurotransplant die Operation beginnen. Bei der geplanten Entnahme von thorakalen Organen oder dem Dünndarm werden ungefähr 5 - 6 Stunden gerechnet, da in diesem Fall die Explantationsteams aus den akzeptierenden Empfängerzentren noch anreisen müssen. Die viszeralen Explantationsteams sind den Krankenhäusern regional zugeteilt und kommen aus einem nahegelegenen Transplantationszentrum, unabhängig, ob ihrem Zentrum ein Organ zugeteilt wurde oder nicht. Die gesamte Logistik für die Organspende wird durch die DSO organisiert.
Literatur
- Bundesärztekammer: Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG.
- Bundesärztekammer: Richtlinie zur medizinischen Beurteilung von Organspendern und zur Konservierung von Spenderorganen gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 a) und b) TPG. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107; A1532 - 1541, Heft 31-32, 09. August 2010
- Bundesärztekammer: Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes: Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz (TPG). Deutsches Ärzteblatt 1998; 95; A 1861-1868; Heft 30, 24. Juli 1998
- Bundesärztekammer: Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG zur ärztlichen Beurteilung nach § 11 Abs. 4 S. 2 TPG. Deutsches Ärzteblatt 2007; 104; A3428 - 3430, Heft 49, 07. Dezember 2007
- Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) vom 5. November 1997. BGBl. I S. 2631
- Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (KHGG NRW) vom 11.12.2007. GV. NRW. S. 702, zuletzt geändert am 16.3.2010. GV NRW S. 184 - in Kraft getreten am 31. März 2010
- Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (KHGG NRW) und Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (AG-TPG) vom 11. Dezember 2007. GVBl. NRW 2007 Nr. 34 v. 28.12.2007, 702
- Schlake HP, Roosen K: Der Hirntod als der Tod des Menschen, zweite überarbeitete und erweiterte Auflage, 2001
- Bösebeck D, Mauer D, Wesslau C: Spenderkonditionierung und Organprotektion NeuroIntensiv 2008, III, 315-320,; Hrsg.: Schwab S, Schellinger P, Werner C, Unterberg A, Hack