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Zertifizierte Kasuistik "Patientin mit akuter Schwäche der linken Hand"

Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Patientin mit akuter Schwäche der linken Hand"

wissenschaftlich begleitet von Malte Ludwig, Chefarzt der Abteilung Angiologie und Phlebologie am Krankenhaus Tutzing.

von Thomas Nowak, Bernd Luther

Inhalt

Erläuterungen zur Kasuistik

Diagnostik

Rekanalisierende Therapie

Primär- und Sekundärprävention

Literatur


Abbildung 1

Abbildung 1

Abbildung 1: Perfusions-CT ohne Hinweis eines umschriebenen perfusionsgestörten Hirnareals, kein eindeutiger Infarkt mit tissue at risk-Nachweis.

 

Abbildung 2

Abbildung 2

Abbildung 2: CTA coronare Rekonstruktion: Rechts langstreckiger ACI Verschluss, links subtotale ACI Stenose distal oberhalb des Gabelbereichs.

Abbildung 3

Abbildung 3

Abbildung 3: Angio-MRT der extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße mit Darstellung des postoperativen Ergebnisses der rechten ACI und der filiformen ACI-Stenose links.

 

Abbildung 4

Abbildung 4

Abbildung 4: Postinterventionelles Ergebnis der Stent-PTA der linken ACI
Fotos: Helios Klinikum Krefeld


Erläuterungen zur Kasuistik

Eine plötzlich auftretene Bewegunsschwäche der Hand ohne Prodromi mit einer Dauer von über 24 Stunden ist ein typisches Symptom eines akuten fokalen neurologischen Defizits aufgrund einer umschriebenen Durchblutungsstörung des Gehirns. Dem ischämischen Schlaganfall liegt eine Unterbrechung der Blut- und damit Sauerstoffversorgung im Hirngewebe zu Grunde. Dies führt über einen Funktionsverlust schließlich zum Absterben von Hirnzellen. Durch die große Anzahl möglicherweise betroffener Hirnareale ergeben sich sehr variable klinische Erscheinungsformen. Die Ursachen ischämischer Schlaganfälle schließen thromboembolische, mikroangiopathische und hämodynamische Mechanismen ein. Auch der zeitliche Verlauf ist sehr variabel. Die Symptome können nur Minuten oder Stunden andauern (sog. transitorisch-ischämische Attacke, TIA) oder dauerhaft anhalten (vollendeter Schlaganfall). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Prognose und Schlaganfallrezidivrisiko unabhängig von der Symptomdauer sind, besonders wenn bei einer TIA in der Bildgebung (CCT, MRT mit diffusionsgewichteten Sequenzen) bereits Ischämiezonen demarkiert sind (1). Von daher ist eine TIA ebenfalls als kleinerer Schlaganfall zu werten, der eine identische Diagnostik und Rezidivprävention erfordert.

Ein Apoplex stellt wie der Herzinfarkt, die Lungenembolie oder der Mesenterialinfarkt eine klinische Notfallsituation dar. Die erfolgreiche Versorgung akuter Schlaganfallpatienten beruht auf rechtzeitigem Erkennen von und Reagieren auf die Hirninfarktsymptome durch zeitnahe zielgerichtete Diagnostik im Krankenhaus. Oberstes Behandlungsprinzip ist "time is brain". Zur Gewährleistung eines raschen Algorithmus wurden Schlaganfallstationen (Stroke Unit’s) etabliert, wodurch die Mortalität und die Notwendigkeit einer Weiterbetreuung in einem Pflegeheim oder einer vollständigen häuslichen Pflege, verglichen mit einer allgemeinen Klinik, signifikant reduziert werden kann. Schlaganfallstationen sind ausschließlich spezialisiert auf die Behandlung von Hirninfarkten und charakterisiert durch die Möglichkeit zur sofortigen Durchführung der notwendigen Diagnostik vor Ort (kranialen Computertomographie und Magnetresonanztomographie, digitale Subtraktionsangiographie) und die zeitnahe, adäquate, multidisziplinäre Therapie. Aufgrund der Differenzialdiagnose einer intrazerebralen Blutung (ICB) oder einer Subarachnoidalblutung (SAB) sind in Schlaganfallzentren in der Regel auch neurochirurgische und neuroradiologische Fachabteilungen integriert.

 

Diagnostik

Zeit ist der wichtigste Faktor in der Behandlung des akuten Schlaganfalls, vor allem die ersten Stunden nach Auftreten der Symptome. Die CCT ist die wichtigste apparative Untersuchung bei Schlaganfallpatienten, die unverzüglich durchgeführt werden sollte. Die MRT kann die CCT ersetzen. Diffusions- und perfusionsgewichtete MRT-Aufnahmen können zusätzliche Informationen zur Risiko-Nutzen-Abschätzung einer revaskularisierenden Therapie liefern. Ultraschalluntersuchungen der extra- und intrakraniellen Gefäße und des Herzens dienen der Ursachenfindung des Hirninfarkts und sollten so früh wie möglich nach Symptombeginn durchgeführt werden.

Akute Schlaganfallpatienten sollten unverzüglich in eine Stroke Unit gebracht werden. Es gilt, vor allem frühzeitig Anzeichen drohender Komplikationen wie Hirndruckentwicklung, erneuter Schlaganfall, Blutdruckkrisen und zusätzlicher Herzinfarkt festzustellen. Die frühzeitige Erkennung der Schlaganfallursache, basierend auf den klinischen und apparativen Untersuchungen, ist notwendig für die richtige Einschätzung der neurologischen Verschlechterungs- und Rezidivgefahr.

Zur obligaten Diagnostik zählt die kraniale Computertomographie (CCT), die sicher zwischen hämorrhagischen und ischämischen Schlaganfällen unterscheiden kann. Bereits zwei Stunden nach einem ischämischen Infarktereignis ist es möglich, in der CCT Infarktzeichen zu erkennen (11). Die CT-Angiographie (CTA) gibt zudem Informationen über die großen extra- und intrakraniellen Arterien und venösen Blutleiter.

Die extra- und intrakranielle Duplexsonographie und Dopplersonographie dienen der Ursachenfindung des Schlaganfalls, z. B. Gefäßverschluss oder Gefäßstenose der großen Hals- und Gehirnarterien. Sie sollte so früh wie möglich nach Symptombeginn durchgeführt werden.

Mit der Magnetresonanztomographie (MRT) kann unter Verwendung von diffusions- und perfusionsgewichteten Sequenzen perfusiongestörtes aber noch nicht diffusionsgestörtes Hirngewebe dargestellt werden. So können Patienten identifiziert werden, die zu einem späteren Zeitpunkt (mehr als drei Stunden) von einer rekanalisierenden Therapie profitieren können (2).

 

Rekanalisierende Therapie

Für kardioembolische intrakranielle Verschlussprozesse führt die intravenöse thrombolytische Therapie mit recombinant tissue plasminogen activator (rtPA innerhalb eines 3-Stunden-Fensters) zu einem signifikant verbesserten Outcome nach einem ischämischen Schlaganfall (3). Die intraarterielle thrombolytische Behandlung mit Pro-Urokinase führte bei Patienten mit Verschlüssen der proximalen A. cerebri media innerhalb von 6 Stunden nach Symptombeginn in einer randomisierten Studie zu einer signifikanten Verbesserung des Outcome (3).

Bei extrakraniellen Verschlussprozessen wird die Indikation zur notfallmäßigen oder dringlichen Karotisdesobliteration beim neurologisch instabilen Patienten (akutes oder subakutes neurologisches Defizit) zunehmend weiter gefasst. Ziele sind die Rekanalisation eines akuten extrakraniellen Karotisverschlusses, die Ausschaltung einer embolischen Streuungsquelle und die Reperfusion (noch) nicht irreversibel geschädigten Hirngewebes (ischämische Penumbra).

Notfall-Karotisdesobliteration: Sie wird innerhalb der kürzesten Zeit nach Indikationsstellung durchgeführt („im nächsten freien OP-Saal“). Indikationen sollten grundsätzlich im interdisziplinären Konsens zwischen Gefäßchirurgie und Neurologie/Innere Medizin erfolgen. Als Kontraindikationen sind Bewusstlosigkeit, Hirnblutung oder der Nachweis eines bereits etablierten ischämischen Infarkts (Infarktgröße > 1/3 des Mediaterritoriums) anzusehen (4). Indikationen sind:

1. akuter schwerer Schlaganfall

Insgesamt zeigen Literaturdaten und eigene Erfahrungen, dass 50-60% aller Patienten mit akut einsetzendem schwerem neurologischem Defizit von der notfallmäßigen Desobliteration profitieren. In ca. 30% bleiben die Patienten neurologisch unverändert, 10-20% sterben perioperativ.

2. progredienter Schlaganfall

Patienten mit akut einsetzendem, progredientem, neurologischem Defizit wechselnden Schweregrades (fluktuierende Symptomatik) mit schrittweiser Progredienz (progressiv Stroke) sind einem besonders hohen Risiko einer weiteren Verschlechterung ausgesetzt. Diese Patientengruppe profitiert besonders von einer notfallmäßigen Karotisdesobliteration.

3. Crescendo-TIA

Rezidivierende transiente neurologische Defizite mit zunehmender Frequenz, Dauer und Schweregrad im Bereich des vorderen Hirnkreislaufs sind besonders häufig karotisassoziiert und als unmittelbar schlaganfallgefährdend anzusehen.

Frühe/dringliche Karotisdesobliteration: Sie wird innerhalb der nächsten Tage nach Indikationsstellung durchgeführt. Die Indikation sollte immer dann gestellt werden, wenn von einer klinisch oder morphologisch instabilen und damit schlaganfallgefährdenden Karotisläsion ausgegangen wird. Auch hier sollte der Konsensus mit den behandelnden Disziplinen angestrebt werden. Die Kontraindikationen sind die Gleichen wie bei der Notfall-Indikation. Bei initial schwerem neurologischem Defizit sollte auf jeden Fall eine deutliche klinische Verbesserung (Plateau) abgewartet werden. Indikationen sind:

1. Nicht- invalidisierender Schlaganfall

Bei ermutigenden Daten aus der Literatur und eigener Erfahrung, sollte die Indikation bei nicht-invalidisierendem Schlaganfall großzügig und zeitnah gestellt werden, weil das Schlaganfallrezidivrisiko innerhalb der ersten 14 Tage nach akutem Schlaganfall um 10% liegt (5).

2. Hemisphären-TIA bei höchstgradiger Carotis-Stenose

Im Gegensatz zur Amaurosis fugax stellt eine passagere Halbseiten-Symptomatik bei Patienten mit höchstgradiger (>90%iger) Karotisstenose ein 2-Jahres-Schlaganfallrisiko von ca. 96% dar, wovon über die Hälfte in den ersten 2 Monaten auftritt. Diese Patientengruppe profitiert besonders von einer frühen Karotisdesobliteration.

Für den präventiven Effekt der Karotisendarteriektomie in der Sekundärprävention des Schlaganfalls bei symptomatischen Karotisstenosen ist der Zeitpunkt der Operation noch nicht endgültig geklärt. Wird die Operation später als 14 Tage nach dem initialen Ereignis vorgenommen, ist sie nicht mehr präventiv wirksam (6). Der Nutzen der Operation ist besonders hoch bei einem Stenosegrad >70%, bei Männern und wenn die Operation innerhalb von 2 Wochen nach dem Indexereignis durchgeführt wird. Der Nutzen der Operation geht bei einer Komplikationsrate von > 6% verloren.

Die stentoptimierte Angioplastie der Karotis ist trotz mittlerweile zahlreich vorliegender randomisierter Studien kein Routineverfahren(7, 8). Eine Angioplastie sollte bei Patienten mit Rezidivstenosen nach TEA, hochgradigen Stenosen nach Strahlentherapie oder hochsitzenden und einer chirurgischen Intervention schwer zugänglichen Stenosen in Betracht gezogen werden. Isolierte Angioplastie ohne Stenting sollte angesichts der hohen Restenoserate nicht durchgeführt werden. Die Rolle des Neuroprotektionssystems ist wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt (9). Periprozedural erfolgt eine Prophylaxe mit Clopidogrel (75 mg) plus ASS (100 mg) für 1-3 Monate.

 

Primär- und Sekundärprävention

Kardiovaskuläre Risikofaktoren (Blutdruck, Blutzucker, Fettstoffwechselstörung) sollten regelmäßig kontrolliert und dann behandelt werden.

Bei Patienten mit asymptomatischen hochgradigen Karotisstenosen (> 80% nach doppler- oder duplexsonographischen Kriterien) ist die Desobliteration zur Reduktion des Schlaganfallrisikos absolut indiziert (12). Im gefäßchirurgischen Zentrum sollte die kombinierte Mortalität und Morbidität des Eingriffs innerhalb von 30 Tagen unter 3% liegen. Die Lebenserwartung sollte > 5 Jahre betragen. Der Benefit ist bei Frauen deutlich geringer als bei Männern. Die number needed to treat (NNT) beträgt 19 für die Verhütung schwerer Schlaganfälle (bezogen auf 5 Jahre). Perioperativ sollte die Prophylaxe mit ASS fortgeführt werden (10).

Die stentoptimierte Angioplastie der A. carotis ist für die asymptomatische Karotisstenose nicht hinreichend untersucht, wird jedoch häufig durchgeführt. Aus gefäßchirurgischer Sicht sollte diese Methode nur Patienten mit schweren allgemeinen Erkrankungen oder hohen lokalchirurgischen Risiken vorbehalten bleiben.

Im vorgestellten Fall handelt es sich um eine kardiovaskulär morbide Patientin mit einem akuten Karotisverschluss rechts und einer höchstgradigen Karotisstenose links. Wegen vermutetem frischen thromboembolischen Verschluss der rechten A. carotis interna wurde notfallmäßig eine offene Rekonstruktion mit Karotisgabelthrombendarteriektomie und Thrombektomie der A. carotis interna mit Venenerweiterungspatchplastik durchgeführt (Abb. 1). Der Eingriff war erfolgreich, die neurologischen Symptome waren rückläufig. Nach einem Intervall von 8 Wochen wurde planmäßig die linke A. carotis interna rekonstruiert. Wegen der anatomisch ungünstig hohen Karotisgabel und des hochsitzenden langstreckigen Verschlussprozesses wurde hier ein endovaskuläres Verfahren (Stent-PTA) angewandt (Abb. 2). Auch hierbei gab es keine Komplikationen.


 

Literatur

  1. Daffertshofer M, Mielke O, Pullwitt A et al. (2004) Transient ischemic attacks are more than "ministrokes". Stroke 35: 2453-2458
  2. Röther J, Schellinger PD, Gass A et al. (2002) Effect of intravenous thrombolysis on MRI parameters and functional outcome in acute stroke < 6 hours. Stroke 33: 2438-2445
  3. Hacke, W, Brott T, Caplan L et al. (1999) Thrombolysis in acute ischemic stroke: controlled trials and clinical experience. Neurology 53: S3-S14
  4. Eckstein HH, Kraus T, Schumacher H et al. (2000) Die dringliche und die Notfall-Carotis-TEA. Zentralbl Chir 125: 259-269
  5. Wölfle KD, Pfandhauer K, Bruijnen H, et al. (2004) Early carotid endarteriectomy in patients with a nondisabling ischemic stroke: Results of a retrospective analysis. VASA 33: 30-35
  6. Rothwell PM (2008) Prediction and prevention of stroke in patients with symptomatic carotid stenosis: The high-risk period and the high-risk patient. Eur J Vasc Endovasc Surg 35: 255-263
  7. SPACE Collaborative Group, Ringleb PA, Allenberg J et al. (2006) 30-day results from the SPACE trial of stent-protected angioplasty versus carotid endarteriectomy in symptomatic patients: a randomized non-inferiority trial. Lancet 368: 1239-1247
  8. Mas JL, Chatellier G, Beyssen B et al. (2006) Endarteriectomy versus stenting in patients with symptomatic severe carotid stenosis. N Engl J Med 355: 1660-1671
  9. Barbato JE, Dillavou E, Horowitz MB et al. (2008) A randomized trial of carotid artery stenting with and without cerebral protection. J Vasc Surg 47: 760-765
  10. MCR Asymptomatic Carotid Surgery Trial (ACST) Collaborative Group (2004) Prevention of disabling and fatal stroke by successful carotid endarteriectomy in patients without recent neurological symptoms: randomized controlled trial. Lancet 163: 1491-1502
  11. Ischämischer Schlaganfall: Akuttherapie. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 3. überarbeitete Auflage 2005, ISBN3-13-132413-9; Georg Thieme Verlag Stuttgart
  12. Primär- und Sekundärprävention der zerebralen Ischämie. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 3. überarbeitete Auflage 2005, ISBN3-13-132413-9; Georg Thieme Verlag Stuttgart