Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Atypische Angina pectoris "
wissenschaftlich begutachtet durch Professor Dr. Malte Ludwig, Chefarzt der Abteilung Angiologie und Phlebologie am Krankenhaus Tutzing.
von Christiane Buhr
Inhalt
Definition, Epidemiologie und Klinik der Myokarditis
Diagnostische Möglichkeiten und Probleme der Myokarditis
Therapeutische Konzepte bei Myokarditis
Definition, Epidemiologie und Klinik der Myokarditis
In der Mitte des 18. Jahrhunderts war allein die chronische Myokarditis als Herzmuskelerkrankung bekannt. Um 1900 kam der Begriff der primären Herzmuskelerkrankung auf. Erst 1957 wurde der Begriff der Kardiomyopathie geprägt. Bis 1980 gab es mehrere Definitionen, als die WHO die Kardiomyopathie als "Herzmuskelerkrankung unbekannter Ursache“ bezeichnete. Die WHO-Klassifikation von 1995 erweiterte den Begriff auf "Herzmuskelerkrankungen, die zu Fehlfunktionen des Herzens führen". Erst kürzer bekannte Erkrankungen wie die arrhythmogene rechtsventrikuläre und die restriktive Kardiomyopathie wurden eingeschlossen.
Die Myokarditis ist definiert als entzündliche Erkrankung des Myokards. Sie stellt den Arzt in der täglichen Praxis weiterhin vor erhebliche diagnostische und therapeutische Probleme.
Die jüngste Richtlinie zur Diagnostik der Myokarditis geht auf die 1986 publizierten Dallas-Kriterien [1] zurück, nach denen eine aktive Myokarditis durch ein entzündliches Infiltrat des Myokards mit Nekrose und/oder degenerativen Veränderungen der benachbarten Myozyten gekennzeichnet ist. Bei einer Borderline-Myokarditis liegen Infiltrate von Entzündungszellen ohne Nachweis von Nekrosen in der Lichtmikroskopie einer Myokardbiopsie vor.
Die weit häufigste Ursache für die Entstehung einer Myokarditis ist die virale Infektion. Nicht selten finden sich Parvoviren, Enteroviren oder Cocksackie B-Viren, aber auch medikamentöse Noxen oder Infektionskrankheiten wie das HI- oder Hepatitis C-Virus können ursächlich sein.
Die Epidemiologie ist weitgehend unbekannt, da die Myokarditis in so vielfältiger klinischer Varianz auftritt und häufig inapparent verläuft. Patienten mit Myokarditis stellen sich mit unspezifischen und unterschiedlichen Symptomen von Thoraxschmerzen über Dyspnoe bis hin zu Palpitationen oder Kreislaufversagen vor. In einigen Faellen kann die Diagnose als Todesursache erst nach dem Eintritt des plötzlichen Herztodes gestellt werden. Post mortem Analysen sehen die Myokarditis in 8,6 - 12 % der plötzlichen Todesfälle im jungen Erwachsenenalter als verantwortlich [2, 3]. In einer anderen Studie wiederum, in der über 12.000 Routineautopsien untersucht wurden, konnte die Diagnose nach den Dallas-Kriterien in 1 % der Fälle gestellt werden [4].
- Die sichere Diagnosefindung der Herzmuskelentzündung erfolgt durch die Myokardbiopsie, in der sich ein entzündliches Infiltrat mit degenerativen Veränderungen der benachbarten Myozyten findet.
- Die häufigste Ursache für die Entstehung einer Myokarditis ist die virale Infektion.
- Die Epidemiologie ist weitgehend unbekannt, da die Myokarditis mit vielfältiger klinischer Symptomatik einhergeht und häufig inapparent verläuft.
Diagnostische Möglichkeiten und Probleme bei Myokarditis
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden überwiegend die bereits oben genannten Dallas-Kriterien zur Diagnostik der Myokarditis verwandt. In Anlehnung an diese gab es immer wieder neu definierte Empfehlungen zur Beurteilung mittels Histopathologie.
Wie in zahlreichen Studien gezeigt, ist die Biopsie als Goldstandard, ob ungezielt oder wie seit kurzem auch MRT-gesteuert nicht zu 100 % verlässlich. Sie unterliegt dem so genannten „sampling error“. Das heißt, dass die Biopsien aus nicht entzündlich veränderten Arealen entnommen werden und somit falsch negative Ergebnisse liefern können. So erbrachte eine Post mortem Studie durch die einfache Biopsie bei histologisch gesicherter Myokarditis nur in 25 % der Proben positive Ergebnisse. Durch zusammenfassende Analyse aller entnommenen Proben jedes Patienten konnten 79 % der Fälle diagnostiziert werden, wozu im Schnitt 17,2 Proben pro Patient benötigt wurden [5].
Hinzu kommt die unterschiedliche Interpretation verschiedener Experten bei der Beurteilung der Präparate bzüglich Ödem, Lymphozytenzahl oder Fibrose, die Diskrepanz zu anderen Markern der Virusinfektion und zur Immunaktivierung sowie die Abweichung von Therapieerfolgen. Heute werden mittels Biopsie neben der Histologie, die Virussuche mittels PCR sowie immunologische Untersuchungen angestrebt.
Histologischer Befund der Myokardbiopsie mit Myokarditis-typischem Ödem mit Lymphozyteninfiltration und Nekrose einzelner Myozyten.
Quelle: Institut für Pathologie und Neuropathologie, Uniklinik Essen)
Die Diagnostik der Myokarditis wurde in den letzten Jahren durch die kardiale Magnetresonanztomographie deutlich verbessert. Hier zeigt sich typischerweise als Zeichen der Entzündung im Herzmuskel ein mittmyokardiales bis subepikardiales fleckförmiges diffuses „late enhancement“ (späte Kontrastmittelanreicherung) sowie eine Signalanhebung in den T2-gewichteten Sequenzen als Ausdruck eines Ödems. Ähnlich wie beim Herzinfarkt werden entzündliche Bereiche durch fibrotische Narben ersetzt. Darüber hinaus bietet die MRT die Möglichkeit eine gezielte Endomyokardbiopsie zu entwickeln und Biopsien aus dem Areal des Myokards zu entnehmen, in dem sich das late enhancement zeigt. Wie verschiedene Studien belegen [6], zeigt sich bei der gezielten meist linksventrikulären Biopsie eine deutlich höhere Sensitivität als bei der ungezielten rechtsventrikulären Entnahme.
Abbildung 2: Diffuses fleckförmiges subepikardiales „late enhancement“, typisch bei Myokarditis.
Quelle: Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Uniklinik Essen
Die Echokardiographie ist zwar nicht spezifisch für die Diagnostik der Myokarditis, liefert aber eine genaue Darstellung der systolischen und diastolischen globalen und regionalen Ventrikelfunktion und kann einen etwaigen Perikarderguss erkennen. Es können zwar mögliche Folgen der Erkrankung festgestellt, nicht aber die Myokarditis selbst diagnostiziert werden. Die Echokardiographie eignet sich als optimale Methode zur seriellen Verlaufskontrolle.
Ebenso gibt es keine typischen EKG-Veränderungen. Neben Reizleitungsstörungen sind auch unterschiedlichste Veränderungen von Kammerkomplex und Endstrecke möglich. Häufig sind infarkttypische EKG-Bilder mit ST-Streckenhebungen, die differentialdiagnostische Überlegungen notwendig machen.
Abbildung 3: Infarkt-typische ST-Streckenhebungen in I, II und aVF
Laborchemische Untersuchungen wie allgemeine Entzündungsparameter und kardialer Marker können richtungsweisend sein. Eine Erhöhung herzspezifischer Enzyme oder erhöhte Entzündungsparameter findet man jedoch längst nicht immer. Eine Myokarditis kann auch ohne pathologischen Troponin I-Wert vorliegen. Der serologische Nachweis kardiotroper Viren ist wenig spezifisch.
Wichtig bei der Diagnosestellung ist auch die genaue Patientenanamnese, um die Information über einen Infekt der Atemwege oder einen grippalen Infekt innerhalb der letzten 6-8 Wochen vor Auftreten der Beschwerden zu bekommen.
Derzeit scheint ein Algorithmus aus klinischem Verdacht, EKG, Laborchemie, Echokardiographie und MRT-gesteuerter Endomyokardbiopsie die sinnvollste diagnostische Strategie zur Bestätigung der Diagnose Myokarditis zu sein.
- Die Myokardbiopsie ist nur begrenzt verlässlich, da sie dem so genannten „sampling error“ unterliegt.
- Die MRT-gesteuerte Biopsie weist eine höhere Sensitivität auf, als die ungerichtete Biopsie.
- Die Diagnostik wurde durch Einführung der MRT deutlich verbessert. Hier zeigt sich typischerweise ein mittmyokardiales bis subepikardiales, diffuses „delayed enhancement“.
- Die Echokardiographie gibt eine genaue Darstellung über das Ausmaß der Schädigung der kardialen Funktion.
- Die Diagnose der Myokarditis stützt sich also auf eine Kombination verschiedener Untersuchungsmodalitäten. Dementsprechend sollte die Diagnose in der Zusammenschau aller Befunde gestellt werden.
Therapeutische Konzepte bei Myokarditis
Neben körperlicher Schonung sollte ein Monitoring von Patienten mit Myokarditis erfolgen, um Herzrhythmusstörungen erkennen zu können und diese gegebenenfalls durch entsprechende Rhythmustherapie (medikamentös, Schrittmacher-Implantation, Defibrillator-Implantation) behandeln zu können. Bei bakteriellen Infekten sollte zudem eine Antibiotika-Therapie eingeleitet werden.
Die Richtlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz gelten auch für die Myokarditis. So sollten Betablocker, ACE-Hemmer und Diuretika zur Entlasung und Optimierung der Herzfunktion zum Einsatz kommen. Die Gabe von ß-Blockern ist vor allem in der Akutphase sinnvoll und zweigt hier positive Effekte.
In den überwiegenden Fällen heilen Myokarditiden folgenlos aus, weshalb sie auch so häufig unbemerkt bleiben.
Bei drastischer Verschlechterung der Herzfunktion kommen heute überbrückende „Assist Devices“ (Unterstützungssysteme) zum Einsatz. Bei chronischer Verschlechterung der Herzfunktion muss auch die Möglichkeit der Herztransplantation diskutiert werden.
In den letzten Jahren wurden zudem im Rahmen klinischer Studien verschiedene Behandlungsansätze versucht. Mittels Immunsuppression durch Kortikosteroide oder Azathioprin nach Ausschluss einer Virusperistenz wurden positive Effekte bezüglich LVEF, linksventrikulärer Dilatation und Symptomatik erzielt [7]. Hingegen kam bei Virusnachweis Interferon als antivirales Zytokin zum Einsatz, welches durch Viruselimination ebenfalls zu positiven Langzeiteffekten führte [8].
- Nach Diagnosestellung sollte dem Patienten körperliche Schonung verordnet werden und die medikamentöse Therapie gemäß den Richtlinien zur Herzinsuffizienz-Therapie eingeleitet werden.
- In den überwiegenden Fällen heilen Myokarditiden folgenlos aus.
- Bei fulminantem Verlauf mit drastischer Verschlechterung der Herzfunktion kommen überbrückende „Assist Devices“ oder die Herztransplantation zum Einsatz.
- In klinischen Studien werden neue Therapiekonzepte mittels immunsuppressiver Medikamente bei fehlendem und Interferon-Gabe bei vorliegendem Virusnachweis getestet.
Differentialdiagnostische Überlegungen
Wie bereits erwähnt weisen Patienten mit Myokarditis ein sehr unterschiedliches Spektrum von Symptomen auf. Stellt sich ein Patient vor, der über Dyspnoe, Thoraxschmerz, Palpitationen, ein retrosternales Druckgefühl oder Herzrhythmusstörungen klagt, so müssen zunächst einige differentialdiagnostische Erkrankungen in Erwägung gezogen werden. Hierunter finden sich uner anderem:
- Koronare Herzerkrankung
- Myokardinfarkt
- Hyperthyreose
- Intoxikationen
- Perikarditis
- Mitralklappenprolaps
- Tako Tsubo Syndrom
- Herzrhythmusstörungen
- Pulmonale oder skeletale Ursachen
- verschiedene Formen der Kardiomyopathie
Selbst nach Ausschluss anderer Ursachen für die Beschwerden oder eine kardiale Fehlfunktion, ist die sichere Diagnosefindung nur durch die Herzmuskelbiopsie zu stellen. Desweiteren muss unterschieden werden, ob die Myokarditis akut, chronisch oder bereits abgelaufen oder ausheilend ist, beziehungsweise ob sie schon zu einer Schädigung der kardialen Funktion geführt hat. So ist die inflammatorische Kardiomyopathie als Myokarditis in Gesellschaft von kardialer Dysfunktion definiert. Sie kann entweder mit und ohne Inflammation, mit und ohne Viruspersistenz oder mit beidem einhergehen.
Der Übergang einer Myokarditis in eine dilatative Kardiomyopathie wird schon seit langem vermutet. Verschiedene Studien unterstützen diese Hypothese, der definitive Beweis ist jedoch noch ausstehend. Die dilatative Kardiomyopathie ist charakterisiert durch die Dilatation und die geschädigte Kontraktion des linken oder beider Ventrikel. Idiopathische, familiär/genetische, virale oder immunologische, toxische oder KHK assoziierte Äthiologien werden vermutet. Die Histologie ist hier unspezifisch. Sie ist meist verbunden mit einer Herzinsuffizienz, die progredient verlaufen kann und bei der Arrhythmien, thrombembolische Ereignisse oder plötzlicher Herztod nicht selten zu finden sind.
Dementsprechend ist es wichtig, Patienten mit einer Herzmuskelentzündung regelmäßigen Verlaufsuntersuchungen zu unterziehen, um eine etwaige Verschlechterung der kardialen Funktion rechtzeitig erkennen und einer solchen entgegenwirken zu können.
- Differentialdiagnostisch kommen viele Erkrankungen in Betracht, die wichtigste ist die koronare Herzerkrankung.
- Die inflammatorische Kardiomyopathie ist eine mit kardialer Dysfunktion vergesellschaffete Myokarditis.
- Der mögliche Übergang einer Myokarditis in eine dialatative Kardiomyopathie ist wahrscheinlich, weshalb regelmäßige Follow up-Untersuchungen notwendig sind.
Literatur und Links
[1] Aretz et al., Diagnosis of myocarditis by endomyocardial biopsy, Med Clin North Am. 1986 Nov;70(6):1215-26.
[2] Doolan, A, Langlois N, Semsarian C. Causes of sudden cardiac death in young Australians. Med J Aust. 2004;180:110-12
[3] Fabre A, Sheppard MN. Sudden adult death syndrom and other non ischaemic causes of sudden cardiac death. Heart. 2006; 92:451-6
[4] Gravanis MG, Sternby NH. Incidence of myocarditis. Arch Pathol Lab Med. 1991; 15:390.2.
[5] Chow LH, Radio SJ, Sears TD, McManus BM. Insensitivity of right ventricular endomyocardial biopsy in the diagnosis of myocarditis. J Am Coll Cardiol. 1989 Oct;14(4):915-20.
[6] Mahrhold et al., Cardiovascular magnetic resonance assessment of human myocarditis: a comparison to histology and molecular pathology, Circulation. 2004 Mar 16;109(10):1250-8.
[7] Wojnicz, R. et al. Randomized, placebo-controlled study for immunosuppressive treatment of inflammatory dilated cardiomyopathy: two-year follow-up results. Circulation 104 (1) (2001), 39–45.
[8] Kuhl, U. et al. Interferon-b treatment eliminates cardiotropic viruses and improves left ventricular function in patients with myocardial persistence of viral genomes and left ventricular dysfunction. Circulation 2003; Jun 10;107(22):2793-8. Epub 2003 May 27.
[9] C. Buhr, P. Krings, F. Breuckmann, C. Naber. Diagnose und Fehldiagnose Myokarditis - eine Übersicht -; DGK Frühjahrstagung 2007
Leitlinien zur chronischen Herzinsuffizienz der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
The role of endomyocardial Biopsie in the management of cardiovascular disease – ESC Guidelines
Acute Heart Failure (Guidelines on the Diagnosis and Treatment of)