Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Nicht-traumatische Gelenkschwellung "
wissenschaftlich begutachtet durch Professor Dr. Malte Ludwig, Chefarzt der Abteilung Angiologie und Phlebologie der Interne Klinik Dr. Argirov, Berg.
von Professor Dr. Jürgen Wollenhaupt und Henning Sturm
Inhalt
Symptomatik und Klinik
Nach der Anamnese und dem klinischen Befund handelt es sich um eine zunächst nicht näher einzuordnende Arthritis. Hierfür spricht die Entwicklung von Gelenkschmerzen und Schwellungen in mehr als einem Gelenk ohne erinnerliches Trauma.
Während bei monartikulärer Symptomatik neben dem Trauma oder der Überbelastung primär an einen akuten Gichtanfall oder an eine bakterielle Infektion zu denken ist, lenkt der Befall von zwei oder mehr Gelenken den Verdacht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung.
Eine länger als zwei Wochen persistierende Schwellung von zwei oder mehr Gelenken sollte daher rheumatologisch weiter abgeklärt werden.
Das Leitsymptom einer Arthritis ist die Gelenkschwellung. Diese ist meist nicht von einer Rötung oder Überwärmung begleitet. Die Schwellung entwickelt sich durch die im Rahmen der Entzündungsreaktion auftretende Hyperämie und Proliferation der Synovialmembran, die wiederum zu einer vermehrten Produktion der Synovialfüssigkeit führt.
Während im gesunden Gelenk eine geringe Menge zellarmer Synovialflüssigkeit die viskoelastische Funktion sicherstellt, ist die entzündlich veränderte Synovialflüssigkeit durch Zellreichtum charakterisiert. Dies verändert ihre Viskosität und führt insbesondere nach längeren Ruhephasen (Nachtruhe, längeres Sitzen etc.) zu einer durch Zelladhäsion bedingten Erschwernis der Bewegung. Der Patient spürt dies in Form einer Steifigkeit des Gelenkes, die sich erst nach ausreichender Durchmischung der Zellen in der Synovia bessert. Die typische Morgensteifigkeit der betroffenen Gelenke beträgt meist mehr als 30 Minuten und unterscheidet sich damit von der nur kurzen, allenfalls wenige Minuten dauernden Anlaufproblematik des Arthrose-Patienten. Die Dauer der Morgensteifigkeit stellt übrigens ein einfach zu erhebendes Maß für die Intensität einer Gelenkentzündung dar (von weniger als 15 Minuten bis zu mehreren Stunden Dauer).
Der Druckschmerz als weiteres Leitsymptom entzündeter Gelenke erklärt sich ebenfalls durch die Veränderungen der Synovialmembran, die vermehrt perfundiert ist. Es handelt sich meist um einen die gesamte Gelenkkapsel betreffenden Druckschmerz, etwa im Gegensatz zu der sehr lokalisierten Druckdolenz einer Sehnenansatzstelle bei Insertionstendinopathie.
Die Bewegungseinschränkung rheumatisch veränderter Gelenke beruht im frühen Stadium einer Arthritis entweder auf einer schmerzbedingten Tonuserhöhung der umgebeneden Muskulatur und kann dann bei der passiven Beweglichkeitsprüfung vom Untersucher leicht überwunden werden, oder es handelt sich in späteren Stadien bei chronischer Arthritis um Kontrakturfolgen. Dies erklärt, dass in frühen Krankheitsphasen meist keine Bewegungseinschränkung besteht.
Diagnostik
Für die rheumatologische Klassifikation sehr bedeutungsvoll sind die Anzahl der von der Entzündungssymptomatik betroffenen Gelenke und das so genannte Gelenkbefallsmuster.
So weisen die unterschiedlichen Gruppen rheumatisch verwandter Erkrankungen jeweils ein recht charakteristisches klinisches Befallsmuster auf, das dem Erfahrenen schon eine erste Annäherung an die Erkrankungsform ermöglicht.
Bei einer Monarthritis zählen Gichtattacke, bakterielle Infektion und so genannte Infekt-reaktive Arthritis zu den wichtigsten Differentialdiagnosen. Sind zwei bis fünf Gelenke betroffen, handelt es sich definitionsgemäß um eine so genannte Oligoarthritis. Für diese Symptomkonstellation sind oft infekt-reaktive Arthritiden einschließlich der Borreliose, so genannte Spondyloarthritiden oder systemische Bindegewebserkrankungen vom Typ der Kollagenosen verantwortlich. Natürlich kann es sich auch um Initialformen oder abortive Varianten polyartikulärer Erkrankungen, etwa der rheumatoiden Arthritis handeln.
Schließlich können Symmetrie und Gelenkbefallsmuster ebenfalls Hinweise auf die Art der rheumatischen Erkrankung geben. So verläuft die rheumatoide Arthritis langfristig meist als symmetrische Arthritis mit Beteiligung der Hand- und Sprunggelenke sowie der Finger- und Zehengrundgelenke, während für Spondyloarthritiden und die Psoriasis-Arthritis ein eher asymmetrisches Gelenkbefallsmuster mit Beteiligung der Fingerendgelenke und ein sog. Strahlbefall (d. h. Befall der Grund-, Mittel- und Endgelenke eines Fingers bzw. Zehes) charakteristisch ist.
Im aktuellen Fall handelt es sich nach der klinischen Symptomatik um eine Oligoarthritis mit Befall eines Knie- und Sprunggelenkes bei asymmetrischer Seitenverteilung.
Damit rückt eine Gruppe rheumatischer Erkrankungen differentialdiagnostisch in den Vordergrund, die als Spondyloarthritiden bezeichnet werden. Diese Gruppe von Arthritiden und entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen (Spondyloarthritiden im engeren Sinn) sind häufig und damit von eminenter Bedeutung für die Früherkennung rheumatischer Erkrankungen.
Während die rheumatoide Arthritis, charakterisiert durch einen symmetrischen, polyartikulären Gelenkbefall und den Nachweis von Rheumafaktoren sowie CCP-Antikörper wegen ihres meist chronisch-progredienten, oft erosiv-destruierenden Verlaufes die wichtigste chronische Arthritisform darstellt, sind die Spondyloarthritiden in der Gruppe von Patienten mit akuten, neu auftretenden Gelenkentzündungen wahrscheinlich sogar häufiger.
Die Gruppe der Spondyloarthropathien umfasst
- die Psoriasis-Arthritis,
- infekt-induzierte reaktive Arthritiden,
- die Arthritiden bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa),
- die Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) sowie
- andere, seltenere Varianten.
Den Erkrankungen gemeinsam ist als typisches klinisches Bild eine periphere Oligoarthritis meist asymmetrischem Befallsmusters. Oft sind größere Extremitätengelenke betroffen, begleitende Wirbelsäulenbeschwerden oder etwa im Fall der Spondylitis ankylosans reine entzündliche Wirbelsäulenmanifestationen können das klinische Bild prägen.
In der Serodiagnostik fehlen Rheumafaktor und CCP-Antikörper, sodass diese Erkrankungen auch als seronegative Arthritisformen bezeichnet werden. Dieser unscharfe Begriff bedeutet allerdings nicht, dass sich bei ausführlicherem Speziallabor nicht weitere Auffälligkeiten finden.
Für die Primärdiagnostik durch den Nicht-Rheumatologen zählen die Bestimmung der Borrelien-Antikörper und des HLA-B27 zu den wichtigen ergänzenden Untersuchungen.
Die Borreliose zählt zu den wichtigsten Differentialdiagnosen der Mon- oder Oligoarthritis. Viele Patienten mit Borreliose erinnern sich nicht an einen Zeckenbiss oder Hautsymptome nach Zeckenbiss, sodass die entsprechende Serologie wegen der direkten therapeutischen Konsequenzen zu empfehlen ist.
Der Nachweis des HLA-B27 als genetisches Merkmal ist für sich nicht wegweisend, kann aber den Verdacht auf eine Spondyloarthropathie verstärken. Bis zu 10% aller Kaukasier sind Träger des HLA-B27 Antigens, sodass ein positiver Nachweis keine direkte diagnostische Relevanz hat. Allerdings zählen über 90% der Patienten mit Spondylitis ankylosans, 60 - 80% der Patienten mit infekt-induzierten reaktiven Arthritiden nach gastrointestinalen oder urogenitalen Infekten sowie mit Arthritis bei M.Crohn/Colitis und 40 - 60% der Patienten mit Psoriasis-Arthritis zu den HLA-B27-Trägern. Die Borreliose zählt übrigens nicht zu den HLA-B27 assoziierten Erkrankungen und wird daher auch nicht zur Gruppe der Spondyloarthropathien gerechnet.
Viele Spondyloarthritiden gehen übrigens trotz eindeutiger klinischer Arthritissymptomatik nicht mit einer Erhöhung der akuten Phase-Proteine, der BKS oder des C-reaktiven Proteins einher.
Im vorliegenden Fall liegt eine seronegative Oligoarthritis bei einem Patienten mit Psoriasis vor. Da sich das Bild der einzelnen Spondyloarthritiden ähnelt, kann eine genaue Zuordnung zu Subtypen schwer fallen. So kann es sich um eine Psoriasis-Arthritis, eine infekt-induzierte reaktive Arthritis oder eine andere Spondyloarthritis handeln. Von einer dezidierten Differentialdiagnostik einschließlich umfangreicher serologischer Untersuchungen im Rahmen einer nicht fachrheumatologischen Erstdiagnostik wird abgeraten, da sich die Primärtherapie nicht unterscheidet.
Therapie
Die primäre Behandlung umfasst den Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika und physikalischer Therapiemassnahmen (Kühlung, Krankengymnastik). Bei fehlender Remissionstendenz innerhalb von vier Wochen ist eine dezidiertere rheumatologische Differentialdiagnostik anzustreben. Da der Einsatz von Glukokortikoiden die klinische Manifestation verschleiert und die Diagnostik erschwert, sollte ihr Einsatz auf Sondersituationen beschränkt werden. Zwar sprechen Arthritiden zunächst sehr gut auf eine Glukokortikoidtherapie an, der Langzeitverlauf wird jedoch dadurch nicht verbessert und die Arthritis rezidiviert in aller Regel nach dem Absetzen.
Der hier vorgestellte Patient wurde in eine rheumatologische Frühdiagnosesprechstunde überwiesen und konnte dort kurzfristig untersucht werden. Die rheumatologisch sinnvoll erweiterte Labordiagnostik verstärkte bei negativen Rheumafaktoren und CCP-Antikörpern (initiale rheumatoide Arthritis damit unwahrscheinlich), negativen Antinukleären Antikörpern (Kollagenose damit unwahrscheinlich) und negativen Borrelien-Antikörpern (Lyme-Borreliose damit praktisch ausgeschlossen) die Verdachtsdiagnose einer Spondyloarthritis vom Typ der Psoriasis-Arthritis. Eine nähere Klassifikation war zunächst nicht möglich. Sie wird auch vom weiteren Verlauf abhängen.
Therapeutisch wurde neben einer symptomorientierten Behandlung mit nicht-steroidalen Antiphlogistika das Kniegelenk zur Entlastung punktiert, Cortison injiziert und eine Basistherapie mit Sulfasalazin eingeleitet. Mit diesen frühzeitig eingeleiteten Maßnahmen besteht eine realistische Chance, eine Remission der Erkrankung zu erzielen und eine Dauerbehandlungsbedürftigkeit zu vermeiden.
Literatur und Links
Wollenhaupt J, Rheumatologie – Taschenatlas spezial, Thieme Verlag, 2003, ISBN 3-13-132941-6
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie
www.rheuma-online.de (empfehlenswerte Informationsquelle für Ärzte und Patienten)