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Entschließungen der Kammerversammlung am 18. November 2023 im Wortlaut


Rauchverbot in Autos bei Anwesenheit von Kindern oder Schwangeren

Die Kammerversammlung fordert den Bundesgesetzgeber auf, im Bundesnichtraucherschutzgesetz (BNichtrSchG) unverzüglich ein Rauchverbot (Tabakzigaretten, E-Zigaretten, erhitzte Tabakprodukte und Cannabis) in Autos bei Anwesenheit von Minderjährigen oder Schwangeren zu verankern. Dieses Verbot war im Referentenentwurf zum Cannabisgesetz (CanG) gut begründet enthalten und wurde ohne Begründung im Kabinettsentwurf gestrichen. Ungeborene Kinder und Minderjährige haben nicht die Wahl, sich einer Autofahrt mit rauchenden Erwachsenen zu entziehen und benötigen daher besonderen Schutz, den die Ärzteschaft seit Jahren einfordert. Das Rauchen von Cannabis in Kraftfahrzeugen durch Mitfahrer ist unter Strafe zu stellen, da die Fahrtüchtigkeit der Fahrenden relevant beeinträchtigt wird.

Verbot / Beschränkung von Einweg-E-Zigaretten zum Schutz von Umwelt und Gesundheit

Die Kammerversammlung fordert den Bundesgesetzgeber auf, unverzüglich ein Verbot von Einweg-E-Zigaretten zu prüfen - noch bevor 2026 das EU-Batteriegesetz greift. Bis zum wirksamen Verbot fordert die Kammerversammlung die Bundesregierung auf, weitere Maßnahmen (z.B. Pfandsystem, Verteuerung der Einwegprodukte durch erhöhte Besteuerung, Aufklärungskampagne, etc.) zu ergreifen, um einer nicht sachgerechten Entsorgung von Einweg-E-Zigaretten wirkungsvoll entgegenzutreten.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Anliegen der Aktion "Praxenkollaps" in Nordrhein

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Anliegen der Aktion "Praxenkollaps" in Nordrhein.

Bei der Aktion "Praxenkollaps" handelt es sich um ein Bündel von Protestmaßnahmen, das eine Änderung der Politik des amtierenden Bundesgesundheitsministers Lauterbach mit dem Ziel der Verhinderung des Zusammenbruchs der ambulanten medizinischen Versorgung zum Ziel hat.

Die Teilnehmer der Aktion vertreten die Auffassung, dass die ambulante medizinische und insbesondere die ambulante ärztliche Versorgung in höchstem Maße bedroht ist. Sie muss als wesentlicher Bestandteil der Daseinsfürsorge und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes erhalten werden.

Die Aktion wird getragen und unterstützt von 36 ärztlichen und psychotherapeutischen Berufsverbänden und Arztgruppen aus Nordrhein.

Patientenversorgung nur noch mit gemeinsamen Protesten zu sichern

Im Sinne einer stabilen Patientenversorgung unterstützt die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein die Bemühungen der niedergelassenen Ärzteschaft zusammen mit anderen Organisationen der nichtärztlichen Gesundheitsberufe wie z.B. der Aktion "Praxenkollaps" oder dem "Aktionsbündnis Patientenversorgung" in Nordrhein.

Bei der Aktion "Praxenkollaps" handelt es sich um ein Bündel von Protestmaßnahmen innerärztlich, das eine Änderung der Politik des amtierenden Bundesgesundheitsministers Lauterbach mit dem Ziel der Verhinderung des Zusammenbruchs der ambulanten medizinischen Versorgung zum Ziel hat.

Das "Aktionsbündnis Patientenversorgung" ist ein über die Ärzteschaft hinausgehendes Bündnis mit anderen Gesundheitsberufen.

Die Teilnehmer aller Aktionen vertreten die Auffassung, dass die ambulante medizinische und insbesondere die ambulante ärztliche Versorgung in  höchstem Maße bedroht ist. Sie muss als wesentlicher Bestandteil der Daseinsfürsorge und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes erhalten werden.

Die Aktionen werden getragen und unterstützt von insgesamt 36 ärztlichen und psychotherapeutischen Berufsverbänden und Arztgruppen, Zahnärzten,  Apotheken und VMF aus Nordrhein.

Krankenhausreform – Vorhaltevergütung sinnvoll gestalten

Die Ärztekammer Nordrhein unterstützt ausdrücklich eine bundesweite Reform des Krankenhaussektors mit dem Ziel, die Behandlungsqualität zu steigern und die Versorgungssicherheit zu gewähren. Die aktuellen Bemühungen und Initiativen des Bundesgesundheitsministeriums erfüllen die Anforderungen an die notwendigen  Reformen nicht.

Aus Sicht der Nordrheinischen Ärzteschaft muss ein wesentlicher Bestandteil der Reform eine echte Vorhaltefinanzierung sein. Die Vorhaltevergütung soll den wirtschaftlichen  Druck im Krankenhaus lindern und Fehlanreize eliminieren, wie beispielweise das  Einsparen von essentieller Infrastruktur, um finanzielle Ergebnisse zu verbessern.

Erste positive Ansätze in Richtung einer Vorhaltvergütung sind durch die aktuellen Regelungen der Refinanzierung der Pflegepersonalkosten bereits umgesetzt. Als  singuläre Maßnahme wirkt diese jedoch teilweise kontraproduktiv. Deshalb fordert die Ärztekammer Nordrhein, dass neben dem Pflegebudget auch die ärztlichen Personalkosten in der Vorhaltefinanzierung enthalten sein müssen.

Eine wirksame Vorhaltefinanzierung muss folgende Eckpunkte berücksichtigen:

  • Der Umfang der durch eine Vorhaltefinanzierung berücksichtigen Kosten (Vorhaltekosten) ist inhaltlich eindeutig zu definieren. Dabei sind insbesondere personenbezogene Kosten für ärztliche, pflegerische, andere medizinische Leistungen und für den Reinigungsdienst zu berücksichtigen.
  • Der Umfang der Refinanzierung von Vorhaltekosten darf sich nicht an Mindestanforderungen für die Strukturqualität orientieren, sondern muss insbesondere eine angemessene patientengerechte Personalausstattung kostendeckend refinanzieren. Die Berechnung einer adäquaten ärztlichen Vorhaltung kann anhand des Personalberechnungstools der Bundesärztekammer erfolgen. Eine Vergütung nach geltenden Tarifverträgen ist in der Berechnung zugrunde zu legen. Eine ärztliche Untergrenzenverordnung äquivalent zur Pflege wird abgelehnt.
  • Die Vorhaltefinanzierung darf nur nachgewiesene Kosten für diesen Finanzierungbereich decken.

Belegarztwesen als bewährte wohnortnahe Grundversorgungsstruktur beibehalten

Die Kammerversammlung fordert die Landes- und Bundesgesundheitspolitik auf, ein tragfähiges Gesamtkonzept für eine wohnortnahe, patientenorientierte und medizinische Versorgung sektorenübergreifend zu etablieren.

Eine funktionierende sektorenübergreifende Versorgung gewinnt vor dem Hintergrund des zunehmenden Versorgungsbedarfs einer alternden Bevölkerung, der begrenzten finanziellen Ressourcen, von erweiterten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und vor allem dem sich verschärfenden Personalmangel im Gesundheitswesen immer mehr an Bedeutung.

Bewährte Systeme wie das Belegarztwesen und die Möglichkeit der Ermächtigungen von Krankenhausärzten zur ambulanten Versorgung zeigen, dass es bereits seit langer Zeit gut funktionierende Elemente einer sektorenübergreifenden Versorgung gibt.

Aus Sicht der Kammerversammlung können und müssen diese vorhandenen Strukturen zur sektorenübergreifenden Versorgung weiter ausgebaut und gestärkt werden, anstatt immer wieder neue kleinteilige Konzepte umzusetzen, die nicht das Potenzial haben, Teil eines gesamtgesellschaftlich tragfähigen Konzeptes zu werden.

Die Kammerversammlung betrachtet es mit Sorge, dass in den mit der gesetzlichen Krankenversicherung geführten Verhandlungen zur Regionalen Krankenhausplanung in Nordrhein viele Krankenhäuser erwägen, etablierte Belegabteilungen zu schließen, in der Befürchtung, dass diese nicht (betriebs)wirtschaftlich zu betreiben seien. Durch die Möglichkeiten, ärztliche Tätigkeiten im ambulanten und im stationären Sektor durchzuführen, haben gerade die Belegärztinnen und -ärzte die Möglichkeit, medizinische Behandlungen an der Schwelle zwischen den beiden Sektoren adäquat und wirtschaftlich durchzuführen und entlasten so die Hauptabteilungen für die Bereitstellung komplexer Interventionen.

Ebenfalls verfolgt die Kammerversammlung die Entwicklungen auf Bundesebene mit Sorge, in deren Rahmen neue Versorgungssektoren mit einem Sammelsurium an Versorgungsmöglichkeiten etabliert werden sollen, die in keiner Weise stimmig und für die Patientinnen und Patienten nachvollziehbar sind. Beispielhaft sei hier die Schaffung der Level 1i-Häuser als neue Versorgungsstufe in der Krankenhausversorgung genannt.

Keine Substitution notärztlicher Tätigkeiten

Die Ärztekammer Nordrhein lehnt die in der Regierungskommission "Reform der Notfall- und Akutversorgung: Rettungsdienst und Finanzierung" empfohlene "weitgehende Substitution" des Notarztes oder der Notärztin durch nicht-ärztliches Personal entschieden ab. Der in der Begründung der Regierungskommission aufgeführte Notärztemangel ist zumindest für NRW nicht existent; dies ist dank des Meldeerlasses (MAGS) und einer aktuellen Umfrage unter den ÄLRD in NRW auch objektiv nachvollziehbar. Weil sich der Mangel ganz im Gegenteil bei den Notfallsanitätern zeigt, ist eine Akademisierung dieser Berufsgruppe mit dem Ziel, den Notarzt zu ersetzen, nicht zielführend. Auch in der Präklinik hat der Patient - wie in der Klinik - ein Anrecht auf eine adäquate ärztliche Versorgung nach Facharztstandard.

Ausbau der ambulanten Weiterbildung

Da immer mehr Leistungen einzelner Fachgebiete ambulant erbracht werden (z.B. elektive chirurgische Eingriffe) und manche Schwerpunktfächer überwiegend ambulant tätig sind (z.B. Onkologie, Rheumatologie) fordert die Kammerversammlung die Politik auf, gemeinsam mit den Kostenträgern und in Kooperation mit den Ärztekammern zeitnah gesetzliche Rahmenbedingen zu schaffen, um die ärztliche Weiterbildung im ambulanten vertragsärztlichen Sektor durch strukturelle und finanzielle Mittel flächendeckend auszubauen. Dazu gehören die Etablierung des Facharztstandards und die Abrechenbarkeit von selbst erbrachten Leistungen der Weiterzubildenden. Die bisher praktizierte Förderung der ambulanten Weiterbildung nach Paragraf 75a SGB V ist unzureichend, um nachhaltige Strukturen für eine breite sektorenübergreifende Weiterbildung zu schaffen.

Verpflichtende Etablierung von Reanimationsschulungen ab der 7. Klasse (Sekundarstufe I)

Die Ärztekammer Nordrhein macht sich, wie im Rahmen der 6. Kammerversammlung am 13. November 2021 beschlossen, für die Verkürzung des therapiefreien Intervalls durch Ersthelfer stark.

Hierzu soll das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen:

  • verpflichtende Reanimationsschulungen ab der 7. Klasse (Sekundarstufe I inkl. Förderschulen) für alle Schülerinnen und Schüler etablieren.
  • sicherstellen, dass die Schulungen regelmäßig (z.B. zweijährig) für alle Schülerinnen und Schüler wiederholt werden.
  • sicherstellen, dass ausreichend Lehrerinnen und Lehrer umfassend geschult werden (nachhaltige Multiplikatoren). Wünschenswert wären regelmäßige Fortbildungen (z.B. zweijährig), um über den aktuellen Stand informiert zu sein.
  • sicherstellen, dass die Schulung der Lehrerinnen und Lehrer durch qualifizierte und erfahrene Berufsgruppen erfolgt (z.B. ärztliche Partner, umfassend qualifizierte Rettungsfachkräfte der Hilfsorganisationen).
  • sicherstellen, dass ausreichende Haushaltsmittel für die Schulungen sowie für das notwendige Material (ggf. auch Ersatz) zur Verfügung gestellt werden.

Die Kammerversammlung fordert die Landesregierung und insbesondere das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen auf, die Einführung  verpflichtender Reanimationsschulungen in der Sekundarstufe I, unter Berücksichtigung der o. g. Punkte, zeitnah umzusetzen.

Erweiterung des Zentralen Vorsorgeregisters bei der Bundesnotarkammer

Die Kammerversammlung fordert den Bundesgesetzgeber auf, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass bei dem bei der Bundesnotarkammer geführten Zentralen Vorsorgeregister ein separater Datenraum eingerichtet wird, in dem Bürgerinnen und Bürger ihre Patientenverfügungen und Vollmachten in Gesundheitsangelegenheiten hinterlegen können und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte für die Entscheidung über eine dringende medizinische Behandlung per elektronischem Heilberufsausweis (HBA) die Dokumente einsehen dürfen.

Suizidprävention: Unterstützung des "Kasseler Aufrufs"

Die Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Forderungen des "Kasseler Aufrufs" zur Suizidprävention und begrüßt dieses Vorhaben. Die Institutionen der Suizidprävention müssen gestärkt werden und das Gespräch über das Thema Suizid gesamtgesellschaftlich enttabuisiert werden.

Opt-Out-ePA führt zu keinem höheren ePA-Nutzungsgrad

Die Kammerversammlung fordert die Betreiber der elektronischen Patientenakte (ePA) auf, praxistaugliche, zeitsparende und sichere Lösungen zur Anmeldung und Identifikation der Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, die Voraussetzung zur Nutzung der ePA-Apps auf einem Smartphone sind. Dies muss auch in den Geschäftsstellen vor Ort möglich sein.

Eine große, für viele Bürgerinnen und Bürger nicht überwindbare Hürde vor der Erstanwendung der ePA ist die datenschutzkonforme Anmeldung und Identifizierung im Rahmen der Einrichtung einer mobilen Applikation zur Nutzung der ePA, die in den Geschäftsstellen der GKV zu leisten wäre.

Ohne Vereinfachung der ePA werden Anwenderquoten von weniger als einem Prozent nicht relevant steigen. Die Nutzung der Funktionalitäten im Routinebetrieb wird weiterhin nachhaltig verhindert.

Der vollzogene Paradigmenwechsel von einer freiwilligen Nutzung (Opt-In) zu einer automatischen Nutzung mit einem Widerspruchs-Vorbehalt (Opt-Out) hilft nicht, diese Hürde zu überwinden, sofern Patientinnen und Patienten eine ePA auch selbst aktiv einsehen und nutzen möchten. Das Problem einer viel zu geringen aktiven Anwenderquote wird durch diese Änderung des Zustimmungsweges nicht gelöst.

ePA-Konzept vereinfachen

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein sieht in der Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) eine Chance, die Prozesse zwischen den Leistungsträgern des Gesundheitswesens effizienter zu gestalten, die Patientenautonomie zu stärken und damit einen Beitrag für eine bessere Medizin zu leisten. Schlüssel zum Erfolg bei der Einführung einer ePA sind eine intuitive Bedienbarkeit und eine konzeptionelle Beschränkung auf wenige, häufig genutzte Kernfunktionen. Die Umsetzung dieser Funktionen ist so zu gestalten, dass die Infrastruktur der ePA gleichzeitig als Informationsportal für die Übermittlung patientenbezogener Daten zwischen den Leistungsträgern des Gesundheitswesens genutzt werden kann.

Im ersten Schritt sollte die ePA inhaltlich auf stark strukturierte Daten (wie zum Beispiel Labordaten, verordnete Medikamente einschl. Dosierung und Daten aus den Krebsregistern) und strukturierte Berichte (wie zum Beispiel Befundberichte und Arztbriefe) beschränkt werden.

Eine klare Abgrenzung der ePA zur Primärdokumentation der Arztpraxen, Krankenhäuser und der anderen Institutionen im Gesundheitswesen ist konzeptionell klar- und sicherzustellen.

Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung - Patientenrechte und informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten müssen geschützt werden

In der vom Gesundheitsminister angekündigten Digitalstrategie, dem geplanten Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) wird in Bezug auf die bisher geltende Gesetzeslage ein grundlegender Paradigmenwechsel vorgenommen.

Daten aus einer zentralen elektronischen Gesundheitsakte (ePA) sollen zum Beispiel, anders als bisher, künftig für industrielle Forschung mit Gesundheitsdaten und für die Pharmaforschung genutzt werden können sowie ausdrücklich auch für kommerzielle Zwecke. Zugleich gibt es eine parallele Entwicklung auf europäischer Ebene zu einem europäischen "Gesundheitsdatenraum", bei dem Praxen und Kliniken in ganz Europa ihre Arbeitsergebnisse verpflichtend für jede Art von Forschung zur Verfügung stellen müssten und die 400 Millionen Bürger Europas kein Widerspruchsrecht gegen diese undemokratische Enteignung ihrer Krankheitsdaten haben sollen. Durch einen Anwendungsvorrang von EU-Verordnungen hätte das direkte Auswirkungen auf die bundesdeutsche Gestaltung.

Die ärztliche Schweigepflicht wäre damit abgeschafft und die Ärztinnen und Ärzte würden ihrer Arbeitsergebnisse enteignet werden. Statt wie versprochen, die Ärzteschaft aktiv in die Digitalstrategie in Deutschland einzubinden, soll die gematik als Institution der Selbstverwaltung vom Bundesgesundheitsminister abgeschafft und in eine Unterbehörde des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) umgewandelt werden. Außerdem sollen dem Bundesdatenschutzbeauftragten wichtige bisherige Rechte entzogen werden. Hinzu kommt, dass den Krankenkassen datenbasierte, aus Sicht der Ärzteschaft unsachgemäße Steuerungs- und Einflußmöglichkeiten auf die Patienten eingeräumt werden sollen.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein kann angesichts dieser völlig veränderten Zielsetzung das Opt-out-Prinzip bei der elektronischen Patientenakte (ePA) nicht mehr unterstützen. Sie favorisiert das bisherige Prinzip der Zustimmungsregelung.

Sie fordert im Hinblick auf die Digitalisierungsstrategie von Gesundheitsminister Lauterbach, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten auch bei der ePA gewahrt bleiben muss. Patientinnen und Patienten müssen einfach festlegen können, welcher Arzt oder welcher sonstige Nutzer auf welche Gesundheitsdaten zugreifen darf (feingranulare Zugriffsrechte). Ein "Alles oder Nichts" ist der falsche Weg. Dies ist beim bisherigen Konzept der ePA ausdrücklich nicht berücksichtigt!

Weiter ist nicht vorgesehen, dass der Patient Zugriffen der Krankenkassen oder der kommerziellen Nutzung seiner Daten selektiv oder in toto widersprechen kann. Dies ist aus Sicht der Ärzteschaft inakzeptabel.

Die Existenz einer ePA sowie diesbezügliche Zugriffsrechte müssen vom Patienten jederzeit barrierefrei geändert werden können. Menschen, die nicht über Smartphones oder Computer verfügen oder mit digitalen Verfahren nicht vertraut sind, dürfen bei der Wahrung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und bei der gesundheitlichen Versorgung nicht benachteiligt werden.

Demontage der Schweigepflicht – kein informed consent

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Abgeordneten des Bundestages auf, der im GDNG vorgesehenen Opt-Out-Regelung nicht zuzustimmen, weil Sie die ärztliche Schweigepflicht faktisch aufhebt. Sie fordert die ärztlichen Kollegen auf, ihre Patienten auf die Aussage des Bundesgesundheitsministers hinzuweisen:

Jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist automatisch dabei. Das ist das Opt-Out-Prinzip (Karl Lauterbach).

Das widerspricht der Grundlage jeden ärztlichen Tuns, dem "informed consent", der informierten Einwilligung des Patienten. Die Schweigepflicht ist außerdem kein Arztprivileg, sondern ein Patientenrecht. Durch die Opt-Out-Regelung verlieren Arzt und Patient den konkreten Einfluss darauf, wer auf die Daten zugreift und was mit den Krankheitsdaten in der Sekundärdatennutzung geschieht.

In dem vom Bundesgesundheitsminister geplanten Opt-Out-Gesundheitswesen leitet sich zukünftig für alle gesetzlich Versicherten aus dem Nichts-tun eine Zustimmung zur Erstellung, zur Befüllung und zur Datenübertragung in und aus einer elektronischen Patientenakte ab. Dabei besteht in Fachkreisen Einigkeit, dass weder die Anonymisierung und schon gar nicht die Pseudonymisierung einen ausreichenden Schutz der persönlichen Daten garantiert.

Die Forderung nach einer Opt-Out-Regelung bei der Organspende ist in ihren Auswirkungen nicht mit dem Opt-Out der ePA zu vergleichen. Im ersten Fall betrifft es Menschen, die die Schwelle zum Tod bereits überschritten haben, während die in der ePA gespeicherten Daten einen Einfluss auf das gesamte zukünftige Leben junger Menschen haben können.

Damit wird das Recht auf Selbstbestimmung erheblich geschwächt. Die Bürger verlieren mit einem Opt-Out ihr Recht, sich bei bestimmten Fragestellungen vorläufig oder auf Dauer nicht entscheiden zu müssen.

Rücknahme des Opt-Out Beschlusses des DÄT wegen tiefgreifender Änderungen der Gesetzgebung

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Bundesärztekammer auf, die positive Zustimmung zu der Opt-Out- Regelung zur elektronischen Patientenakte (ePA) nicht weiter zu verfolgen und sich statt dessen auf den Beschluss Vc-12 des Deutschen Ärztetages 2023 in Essen zu berufen.

Es war ein Fehler, dem Opt-Out-Verfahren ohne konkrete Kenntnis der Gesetzesvorhaben zuzustimmen.

Die Auswirkungen des Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und der nachfolgenden Bestimmungen in §25b SGBV waren nicht bekannt und führen zur tiefgreifendsten Veränderung im Gesundheitswesen.

Die nunmehr bekannt gewordene, konkrete Ausgestaltung der Gesetzgebung stellt die Ärzteschaft, die bisher zentrale und akademisch-normgebende Profession im Gesundheitswesen, an die Peripherie. Dadurch wird der freiberufliche Arzt zum fremdbestimmten Erfüllungsgehilfen, ohne jeden Einfluss auf die Frage: Was ist gesund?

Im Entwurf des GDNG wird das Gesundheitsministerium allein zuständig für die Datenflüsse im Gesundheitswesen. Der Minister wird ermächtigt, seine Entscheidungen ohne direkten Einfluss des Bundestages, anderer Ministerien und des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) und ohne das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) durch Verordnung zu treffen. Er wird damit der zentrale Akteur im Gesundheitswesen und steuert zukünftig dessen gesamte Entwicklung im Alleingang:

§ 3 Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten;
Verordnungsermächtigung

...

(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, im Benehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung das Nähere zu regeln zu

1. der Einrichtung und zur Organisation der Datenzugangs- und  Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten,
2. den Einzelheiten der Wahrnehmung der Aufgaben der Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten nach Absatz 2 sowie zu den hierbei anzuwendenden Verfahren,
3. den zur Übermittlung der Anträge an die datenhaltenden und datenmittelnden Stellen gemäß Absatz 2 Nummer 4 jeweils notwendigen Arbeitsstrukturen der Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten,
4. Kriterien für die Eignung von datenhaltenden und datenmittelnden Stellen zur Einbeziehung in die Sekundärdatennutzung über die Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten sowie Bereitstellung transparenter Informationen über diese Kriterien.

Geplante Regelungen sind im Benehmen mit den Vertretern der jeweiligen datenhaltenden Stellen zu treffen. Soweit die datenhaltenden Stellen dem Recht des Sozialgesetzbuchs unterliegen, ergehen die Regelungen im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Daten, die erst durch ärztliche Arbeit entstehen, werden für die weitere Nutzung dem Einfluss des Arztes (und des Patienten) völlig entzogen.

In Ergänzung dazu erhalten die Krankenkassen nahezu freie Hand, sich in die konkrete Behandlung des Arztes einzumischen. In der Kabinettsvorlage liest sich das so:

"§ 25b (SGB V)
Datengestützte Erkennung individueller Gesundheitsrisiken durch die Kranken- und Pflegekassen

(1) Die Kranken- und Pflegekassen können zum Gesundheitsschutz eines Versicherten datengestützte Auswertungen vornehmen und den Versicherten auf die Ergebnisse dieser Auswertung hinweisen, soweit die Auswertungen den folgenden Zwecken dienen:
1. der Erkennung von seltenen Erkrankungen,
2. der Erkennung von Krebserkrankungen,
3. der Erkennung von schwerwiegenden Gesundheitsgefährdungen, die durch die Arzneimitteltherapie entstehen können,
4. der Erkennung ähnlich schwerwiegender Gesundheitsgefährdungen, soweit dies aus Sicht der Kranken- und Pflegekassen mutmaßlich im überwiegenden Interesse der Versicherten ist, oder
5. der Erkennung des Vorliegens von Impfindikationen für Schutzimpfungen, die von der Ständigen Impfkommission nach § 20 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes empfohlen sind.

...

(4) Sofern bei einer in Absatz 2 genannten Auswertung eine konkrete Gesundheitsgefährdung bei einem Versicherten identifiziert wird, ist der Versicherte umgehend auf diese konkrete Gesundheitsgefährdung in präziser, transparenter, verständlicher Weise und in einer klaren und einfachen Sprache hinzuweisen.

Der Hinweis nach Satz 1 ist mit einer Empfehlung zu verbinden, eine ärztliche, zahnärztliche, psychotherapeutische oder pflegerische Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Empfehlung ist zu begründen."

Es bleibt bei dem GDNG die Frage offen, warum "wir gerade mit Sieben-Meilen-Stiefeln in die falsche Richtung gehen und es von uns Ärzten kaum Widerstand dagegen gibt. Keiner wehrt sich und ich wundere mich, warum." sagte Frau Prof. Thun, "eine der einflussreichsten Personen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens." im Deutschen Ärzteblatt.

Man braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, wie die Auswirkungen des GDNG § 3 (3), … Verordnungsermächtigung im Zusammenspiel mit dem "unersättlichen Informationsbedarf der Krankenkassen" (Dr. Thilo Weichert, ehem. Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein) sich auf die ärztliche Alltagsarbeit auswirken werden.

Das GDNG untergräbt das vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis und stellt die ärztliche Autorität in der Frage: "Was ist gesund?" zur Disposition. Diese beiden politischen Positionen sind für uns als Ärzteschaft inakzeptabel.