Fragen an Dr. Jens Wasserberg, neuer Vorsitzender der Vertreterversammlung (VV) der KV Nordrhein, und Dr. Manfred Weisweiler, stellvertretender VV-Vorsitzender, zu Herausforderungen und Zielen ab 2023.
KVNO: Mit Blick auf die kommende Amtsperiode: Was werden die wichtigsten Themen für die neue VV sein?
Wasserberg: Das wichtigste Thema der kommenden Jahre wird die Existenzsicherung der ambulanten Medizin sein. Obwohl die ambulante Versorgung ihre Systemrelevanz auch gerade unter Pandemiebedingungen eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, entzieht uns die Gesundheitspolitik aktuell die Basis für einen Fortbestand dieser tragenden Säule der Versorgung.
Angesichts einer Kostenexplosion im zweistelligen Bereich ist ein Honorarentzug – Stichwort Neupatientenregelung – ein infamer Angriff auf unsere Praxen und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Durch Regresse und eine dysfunktionale Telematikinfrastruktur, welche nicht die Praxisabläufe verbessert, sondern in ihrer aktuellen Form lediglich Verwaltungsarbeit von den Kassen in die Praxen verlagert, wird die ambulante Versorgung zusätzlich belastet. Da wir einen ausgeprägten Angebotsmangel an ärztlicher Tätigkeit haben, ist zunehmend auch die Nachbesetzung von rentennahen Praxen ein großes Problem.
Der Schwerpunkt wird sein, für eine angemessene Ausstattung des ambulanten Sektors mit Arbeitsmitteln – sprich Honorar – zu sorgen und gleichzeitig die versorgungsfeindlichen und praxisuntauglichen Digitalisierungskonzepte durch echte Innovationen, die die Praxisabläufe für die Praxisteams und die Patienten verbessern, zu ersetzen. Die als zunehmend übergriffig wahrgenommenen Eingriffe der Politik in die Praxisabläufe kosten Geld und binden wichtige Ressourcen, die für die dringend notwendige Versorgung fehlen.
Weisweiler: Die VV muss konsequent in enger Zusammenarbeit der Hausärzte und der Fachärzte die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Praxen überwachen und ermöglichen. Alle Leistungen müssen betriebswirtschaftlich überprüft werden und gegebenenfalls angepasst werden. Versorgung, die sich nicht rechnet, kann letztlich nicht stattfinden. Das System muss sehr schnell, innerhalb von Wochen auf eine Unterfinanzierung reagieren können.
KVNO: Wie könnten vor dem Hintergrund zunehmender politischer Einflussnahme die Selbstverwaltung und das KV-System gestärkt werden?
Wasserberg: Das KV-System muss sich ein gutes Stück weit emanzipieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, unbrauchbare politische Konzepte umzusetzen, um dann für das absehbare Scheitern auch noch verantwortlich gemacht zu werden. Die KVen haben in jüngster Zeit unüberhörbar kritisch in den politischen Diskurs eingegriffen. Die negativen Konsequenzen für die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung, die durch die aktuellen politischen Entscheidungen auf Bundesebene entstehen, müssen wir konsequent aufzeigen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, diese Fehlentscheidungen zu korrigieren. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bis die ambulante Medizin die Möglichkeit verliert, dieses politische Missmanagement substanzerhaltend zu überstehen. Diese Dringlichkeit muss mit aller Macht in die Öffentlichkeit transportiert werden.
Weisweiler: Auch die KV muss sich kurz bis mittelfristig darauf einstellen, dass eine monistische Gegenfinanzierung der GKV-Patientenversorgung offensichtlich politisch nicht mehr gewollt ist. Da die Menschen aber versorgt werden müssen und niemand das besser und ökonomischer kann als wir, wird ein gemischtes Finanzierungssystem zu entwickeln sein.