Die Komplikationsrate bei Eingriffen zur Sanierung der Varikose im Bereich der unteren Extremitäten gilt als außerordentlich gering [1-9]. Besonders gewichtige Komplikationen bedürfen aufgrund ihres vermuteten intraoperativen Entstehungsmechanismus, insbesondere wenn sie erst postoperativ diagnostiziert werden, einer besonderen Beachtung und Risikoaufklärung. In so gelagerten Fällen ergibt sich für die betroffenen Patienten fast zwangsläufig der Verdacht auf eine intraoperative Fehlleistung des Operateurs. Zu solchen Komplikationen gehören neben den Läsionen an den großen Blutgefäßen und den Lymphbahnen insbesondere die Läsionen peripherer Nerven.
von Helmut Nüllen, Klaus Balzer, Beate Weber und Thomas Noppeney
Die hohe Vulnerabilität von Nervengewebe ist hinlänglich bekannt. Es genügen bereits relativ kleine Ursachen, um eine passagere oder permanente Läsion der im Behandlungsgebiet liegenden peripheren Nerven im Zusammenhang mit einer Sanierung der Varikose zu erzeugen. Alle denkbaren Noxen kommen in praxi auch tatsächlich vor. Zu den klassischen, im Wesentlichen mechanischen Läsionen, sind mit der Erweiterung der therapeutischen Optionen durch die endovenösen Verfahren auch thermische Läsionen hinzugekommen. Je nach Art und Ausdehnung des Eingriffs ist davon auszugehen, dass alle peripheren Nerven im Zielgebiet des Eingriffs durch direkte oder gelegentlich auch indirekte Traumatisierung geschädigt werden können.
Schädigungsmechanismen bei der Läsion peripherer Nerven
Mechanische Schädigungen
- Druck/Zug
Intraoperativ
• Haken, Pinzetten
• Nähte
• Stripperköpfe
• Blutleere-Manschetten
• Lagerung
Postoperativ
• Kompressionsverband
• Kompressionsstrumpf
- Durchtrennung
Thermische Läsionen
- Elektrokauter
- Radiofrequenz-Verfahren
- Laser-Verfahren
- Heißdampfapplikation
Chemisch-toxische Läsionen
- Sklerosierungsmittel
Die Frage nach der Vermeidbarkeit von Nervenläsionen im Zusammenhang mit Eingriffen wegen Varikose, beziehungsweise die Frage nach dem schicksalshaften Verlauf bei der Beurteilung der hier diskutierten Schädigungsfolge, stellen außerordentlich schwierig zu klärende Fragen dar. Eine eindeutige und allgemeingültige Antwort ist hierzu nicht möglich. Die Umstände des Einzelfalles sind vielmehr ausschlaggebend.
Häufigkeit
Bei allen Betrachtungen zur Häufigkeit von Nervenläsionen im Zusammenhang mit Eingriffen am epifaszialen Venensystem ist zu berücksichtigen, dass die Zahl der Eingriffe wegen Varikose in Deutschland, bei konservativer Hochrechnung aus den verfügbaren Daten, über die vergangenen 20 Jahre hinweg relativ stabil mit 300.000 bis 350.000 Eingriffen pro Jahr zu veranschlagen ist [9]. Die Läsion peripherer Nerven im Zusammenhang mit Eingriffen am epifaszialen Venensystem können als Teilsumme der als relativ klein geltenden Quote aller Komplikationen (circa 0,43 %) als sehr selten angesehen werden. Innerhalb der dokumentierten Schadensmeldungen stellen sie allerdings einen relativ großen Anteil dar (circa 0,18 %).
Die wahre Häufigkeit der Quote der Nervenläsionen im Zusammenhang mit Varizenoperationen ist nicht bekannt. Die verschiedenen vorliegenden Daten stammen allesamt aus selektierten Klientelen und weisen somit einen systemischen Bias auf. Darüber hinaus mangelt es häufig an der exakten Angabe der Art und der Lokalisation der Läsionen. Auffällig sind die enorme Schwankungsbreite in den Angaben, sowie die Tatsache, dass einige spezielle Läsionen in der internationalen Literatur überhaupt nicht auftauchen.
Im System der schwedischen Medical Injury Insurance (SMII) fanden sich in der Zeit von 2002 bis 2007 insgesamt 193 Schadensmeldungen und Schadensersatzforderungen nach Eingriffen am Gefäßsystem. Abgeglichen mit dem schwedischen Gefäßregister ergaben sich 66 Fälle (32 Prozent), bei welchen eine Varizenoperation vorausgegangen war. Insgesamt waren Läsionen peripherer Nerven mit 39 Fällen (59 Prozent) und Wundinfektionen mit 14 Fällen (21 Prozent) die häufigsten Anlässe für Schadensersatzforderungen [10]. Dickhoff et al. [11] untersuchten Schadensersatzforderungen nach Varizeneingriffen in den Niederlanden und fanden in der Zeit von 1993 bis 2007 insgesamt 144 Verfahren, davon 28 (19,4 Prozent) mit Läsionen peripherer Nerven.
Beklagte Nervenläsionen in den nordrheinischen Begutachtungen
Wir haben eine Übersicht über alle Jahrgänge seit Gründung der Kommission am 1. Dezember 1975 bis zum 31.12.2019 erstellt (Tabellen 1 und 2). In den genannten 43 Jahren wurden 43.588 Begutachtungen durch die Gutachterkommission bearbeitet, darunter 283 Fälle (0,65 Prozent) nach Eingriffen wegen Varikose. Hierunter fanden sich 87 Fälle (30,7 Prozent) mit 93 Nervenläsionen. Bezogen auf die Gesamtzahl der Verfahren betrug die Quote 0,20 Prozent.
Unter den Schädigungsfällen mit einer klaren Benennung des geschädigten Nervens (n=78) überwiegen mit 58 Fällen die Schädigungen motorischer beziehungsweise gemischter Nerven. Vergleicht man dies mit den (spärlichen) Angaben in der internationalen Literatur, so erscheinen die rein sensiblen Defizite bei den Verfahren der Gutachterkommission unterrepräsentiert und die Läsionen von motorischen und gemischten Nerven deutlich überrepräsentiert.
Dies lässt zwei grundsätzliche Aussagen zu: Im Vergleich zu den Daten aus den Verfahren der Gutachterkommission existiert mit hoher Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Publikationsbias für die Schädigung motorischer und gemischter Nerven (N. ischiadicus, N. femoralis, N. tibialis, N. peroneus communes) im Zusammenhang mit Eingriffen wegen Varikose. Schädigungen der sensiblen Nerven, insbesondere des N. saphenus und des N. suralis, finden sich in den Verfahren der Gutachterkommission im Vergleich zu den Angaben in der Literatur unterrepräsentiert. Die Ursache hierfür kann in der geringeren Belastung der Betroffenen durch ein rein sensibles Defizit gesehen werden, was dann wiederum zu einer geringeren Auslösung von Schadenersatzansprüchen führt.
Haftungsfälle 2014 bis 2019
In den Begutachtungen der sechs Abschlussjahre 2014 bis 2019 bestätigten sich bei 37 wegen Varikosis vorgenommener und beklagter operativer beziehungsweise radiofrequenzgesteuerter Behandlungen 14 Behandlungsfehlervorwürfe (BF-Quote 37,8 Prozent). Festgestellt wurden zehnmal intraoperative Fehler, darunter ein Hygienemangel (Anscheinsbeweis). Dreimal lagen postoperative Fehler vor, darunter eine versäumte Thrombose-Prophylaxe und eine zu spät erkannte Nachblutung mit Beinvenenthrombose.
In fünf von dreizehn Fällen mit beklagter(n) Nervenläsion(en) wurden Behandlungsfehler mit der Folge einer Haftung festgestellt, darunter in drei von sechs Fällen mit Läsion des N. peronaeus: Im ersten Fall erfolgte fehlerhaft eine intraoperative Umstechung des N. peroneaus in der Kniekehle, was durch eine Revisionsoperation gesichert und mit teilweiser Besserung revidiert werden konnte. Im zweiten Fall kam es intraoperativ zu einer vorwerfbaren akzidentellen iatrogenen Durchtrennung des N. peronaeus. Im dritten Fall wurde durch die zusätzlich zur Radiofrequenzbehandlung vorgenommene Schaum-Sklerosierung fehlerhaft in unmittelbarer Nähe der N. peronaeus geschädigt.
Durch ein postoperativ zu spät erkanntes Kompartmentsyndrom bei zu engem Verband – vermutlich hämatombedingt – kam es in einem Fall zu einer motorischen Leitungsstörung des N. tibialis und zu einer sensiblen Störung des N. saphenus. Eine Haftung für eine N. saphenus-Läsion wurde bejaht, weil die endoskopische Perforansdissektion als nicht indiziert bewertet wurde.
Zusammenfassung
Die Komplikationsrate bei Eingriffen wegen Varikose ist gering. Läsionen peripherer Nerven nach Eingriffen wegen Varikose sind selten, stellen allerdings einen großen Anteil der Gesamtkomplikationsrate dar. Nervenläsionen nach Eingriffen wegen Varikose als Auslöser für ein Verfahren bei der Gutachterkommission Nordrhein finden sich lediglich in 0,2 Prozent der insgesamt in 43 Jahren geführten Verfahren (zuletzt in 0,1 Prozent der Verfahren), führten aber überproportional häufig zur Haftung für die eingetretene Schädigung (zuletzt in 38,5 Prozent der beklagten Nervenläsionen).
Die „klassischen“ Schädigungen sensibler Nerven in direkter topographischer Beziehung zu den meist behandelten Stammvenen (N. saphenus, N. suralis) sind selten Anlass für Schadensersatzforderungen und unseres Erachtens zumeist durch die Aufklärung abgedeckt.
Dagegen ist die Schädigung motorischer Nerven im Zusammenhang mit Eingriffen wegen Varikose eindeutig als Behandlungsfehler zu bewerten. Kenntnisse der anatomischen Verläufe motorischer Nerven bei den Eingriffen werden dabei grundsätzlich gefordert und direkte Schädigungen wie Durchtrennung, Kompression durch Umstechung oder Noxen sowie indirekte Schädigungen durch zu enge postoperative Kompressionsverbände mit Auftreten eines Kompartmentsyndroms sind vermeidbar und führen zur Bejahung von Haftungsansprüchen.
Erforderlich sind eine entsprechende Dokumentation einer sorgfältigen Indikationsstellung, intra- und postoperative Risikoanalysen und die Bestimmung und Benennung von hieraus folgenden standardisierten Vermeidungsstrategien vor jedem Eingriff, um derartigen Verläufe zu vermeiden und Haftungsansprüchen begegnen zu können. Die Folgen der häufig nur lapidar als „Nervenläsion“ bezeichneten Störung sind dem Patienten bei der Risikoaufklärung deutlich vor Augen zu führen, da dieser hierunter womöglich nur sensible Störungen vermutet, nicht jedoch eine gravierende Beeinträchtigung motorischer Nerven mit entsprechender Gehstörung.
Dr. med. Helmut Nüllen ist als Gutachter, Professor Dr. med. Klaus Balzer als Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied und Dr. med. Beate Weber als Referentin für die Dokumentation und Auswertung in der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein tätig, Privat-Dozent Dr. med. Thomas Noppeney ist Co-Autor mehrerer Publikationen zum Thema Varikosis.
[1] Balzer K (1983) Venen. In: Carstensen G (Hrsg.) Intra- und postoperative Komplikationen. Springer, Heidelberg
[2] Heidrich M, Balzer K (2004) Standarisierte Varizenchirurgie- Operationstechnik, Komplikationen, Ergebnisse. Gefässchirurgie 9:276-283
[3] Heidrich M, Balzer K (2006) Die konventionelle operative Therapie der Stammvenen. Gefässchirurgie 11: 45-60
[4] Helmig L (1983) Häufigkeit von Frühkomplikationen bei 13.024 Krampfaderoperationen. Phlebol u. Proktol 12:184-195
[5] Noppeney T et al. (2005) Ergebnisse des Qualitätssicherungsprojektes Varizenchirurgie der DGG. Gefässchirurgie 10:121-128
[6] Noppeney T, Storck M, Nüllen H, Schmedt CG, Kellersmann R, Böckler D, Walluscheck K, Torsello G, Debus S (2016) Perioperative quality assessment of varicose vein surgery. Langenbeck’s Archives of Surgery 401:375-380
[7] Nüllen H et al. (1995) Ambulante Varizenchirurgie in der Praxis. In: Ihmig H, Schröder A (Hrsg,) Varizen, Popliteaaneurysmen. Steinkopf-Verlag, Darmstadt, Seite 73-80
[8] Noppeney T, Nüllen H (2019) Qualitätssicherung in der Varizenchirurgie. In: Noppeney, Nüllen; Varikose. 2. Auflage, Springer, Heidelberg (in Vorbereitung)
[9] Nüllen H, Noppeney T (2010) Sozialmedizinische und ökonomische Aspekte der Varikose. In: Noppeney, Nüllen; Varikose. Springer Heidelberg, aktuell 2. Auflage in Vorbereitung
[10] Rudström H, Bergqvist D, Ahlberg J, Björck M (2011) Insurance claims after vascular surgery in Sweden. Eur J Vasc Endovasc Surg 42(4):498-505
[11] Dickhoff C, Cremers JE, Legemate DA, Koelemay MJ (2014) Medical liability insurance claims after treatment of varicose veins. Phlebology 29(5):293-7