Im Juni 2014 verunglückte die 21-jährige Franziska Unterberger bei einem Autounfall in den Niederlanden. „In unserer Familie wurde viel über Organspende gesprochen. Ich habe einen Organspendeausweis, meine Tochter hatte auch einen“, erzählte Nikolas Unterberger, Vater der Verstorbenen, bei der Fachtagung „Bedeutung der Organspende – was können wir in NRW tun?“. „Meine Tochter hat sechs oder sieben Organe gespendet. Wir haben auch Korrespondenz von den Empfängern aus den Niederlanden erhalten“, sagte Unterberger und ergänzte „Der jüngste Empfänger war ein zwei Jahre altes Kleinkind. Das Herz von Franzi ging mit dem Hubschrauber nach Rotterdam, zu einem 15-jährigen Jungen.“ Der Familienvater lobte die Arbeit und Hilfe des Klinikpersonals: „Wir waren in der gesamten Zeit in sehr guter Betreuung – konnten zu Franzi ans Bett und uns gebührend verabschieden.“
In Deutschland weist die Anzahl der Organspenden bis 2017 einen stetigen Abwärtstrend auf und erreichte dabei ein Rekordtief. Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern bildet dabei das bundesweite Schlusslicht. „Neben der Steigerung der Akzeptanz der Organspende muss auch die Bereitschaft der Krankenhäuser, die vorhandenen Potenziale für die Realisierung von Organspenden auszuschöpfen, gesteigert werden“, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke bei der Begrüßung der 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Veranstaltungssaal des Hauses der Ärzteschaft in Düsseldorf. Zu der Veranstaltung eingeladen hatten die Ärztekammern Nordrhein und WestfalenLippe, das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationsbeauftragten NRW e.V. sowie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).
NRW setzt auf Transparenz
„Wir brauchen trotz des leichten Anstiegs 2018 konkrete Verbesserungen. Ich begrüße daher das neue Gesetz zur Organspende, das eine kostendeckende Vergütung sichert, die Position der Transplantationsbeauftragten stärkt und ihre Freistellung sowie einen strukturierten Organspendeprozess gewährleistet“, sagte Henke mit Blick auf das am 14. Februar 2019 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes. Dieses sieht auch die Einrichtung eines neurochirurgischen und neurologischen konsiliarärztlichen Bereitschaftsdienstes vor. Alle Maßnahmen zusammen, so Henke, werde den Entnahmekrankenhäusern bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen helfen.
Im vergangenen Jahr gingen laut Dr. Ulrike Wirges, Geschäftsführende Ärztin der DSO-Region NRW, bundesweit 2.811 Anrufe bei der DSO ein. Diese führten dann zu insgesamt 955 Spenden. Denen wiederum stehen rund 10.000 Patientinnen und Patienten gegenüber, die auf ein lebensnotwendiges Transplantat warten. „Aus NRW kamen 653 Kontaktaufnahmen, natürlich fragt man sich dann, weshalb nur 163 Spenden durchgeführt wurden.“ Laut Wirges gehen viele Spender auch wegen medizinischer Kontraindikationen oder einer generellen Ablehnung der Spende „verloren“. „Das verdeutlicht die Wichtigkeit des Angehörigengesprächs und des Organspendeausweises“, sagte die Ärztin. „Die Transplantationsmedizin ist eine Errungenschaft. Wir als Land müssen die Gesellschaft objektiv und transparent über das Thema aufklären“, sagte NRW Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Er glaubt nicht, dass die Menschen in NRW weniger aufgeklärt sind, als die Bürgerinnen und Bürger anderer Bundesländer. Laumann erklärte sich die niedrigen Zahlen zum Teil mit den OrganspendeSkandalen der vergangenen Jahre und einem dadurch bei manchem Bürger eingetretenen Verlust der Glaubwürdigkeit. „Wir brauchen ein Höchstmaß an Objektivität und Transparenz um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen“, sagte der Gesundheitsminister und fügte hinzu: „Für mich persönlich ist die Bereitschaft Organspender zu werden ein Liebesbeweis an den Menschen.“
Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, bekräftige seine Forderung nach Einführung der sogenannten Widerspruchslösung. „Die Debatte um Organspende ist zwar in der Politik angekommen. Aber es muss ein grundsätzliches Umdenken aller stattfinden.“ 70 Prozent der Menschen entschieden sich inzwischen für eine Feuerbestattung, es stelle sich die Frage, wie man sie auch dafür sensibilisieren könne, sich frühzeitig aktiv mit der Organspende zu beschäftigen. Es solle nicht mehr wie heute der Regelfall sein, dass man die Frage einer Organspende erst am Sterbebett klärt – mit aufgewühlten und trauernden Angehörigen.
Diese Problematik der Entscheidung in letzter Stunde beschäftigt auch Dr. Doris Dorsel, Referentin der Geschäftsführung der Ärztekammer WestfalenLippe. Experten, so Dorsel, seien sich einig, dass die niedrige Anzahl der Organspenden auch damit zusammenhänge, dass es oftmals Widersprüche zwischen Organspende und Patientenverfügung gebe. Probleme entstehen laut Dorsel besonders dann, wenn eine Ablehnung intensivmedizinischer Maßnahmen vorliegt. Die Referentin sieht Lösungsansätze nur in einer klar formulierten Klausel, die in die Patientenverfügung mit aufgenommen werden sollte.
Herausforderungen der Kliniken
Nach den Worten von Jochen Brink, Präsident der KGNW, muss das Klinikpersonal für die herausfordernde, emotionale Situation mit den Angehörigen eines Verstorbenen sensibilisiert werden, selbst wenn eine eindeutige Patientenverfügung oder ein Organspendeausweis vorliegen. „Die Ärztlichen Direktoren oder die Geschäftsführung einer jeden Klinik haben beim Thema Organspende eine große Verantwortung zu tragen. Wir können allerdings nur gemeinsam eine Verbesserung erzielen. Das Land hat uns dafür uneingeschränkt an seiner Seite“, so Brink bei der Veranstaltung.
Die Bedeutung der Pflege in der Organspende beleuchtete Sandra Mehmecke, Referentin für Pflege im Krankenhaus des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest e.V. „Das Pflegefachpersonal begleitet Patienten meist durch alle Phasen ihrer Erkrankungen, es entstehen enge Bindungen“, so Mehmecke. Der längere Kontakt, auch zu den Angehörigen vereinfache die späteren Gespräche über Organspende. „Pflegefachkräfte können die Bevölkerung für die Organspende sensibilisieren“, erläuterte die Referentin und nahm Bezug auf eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2011.
Dr. Gero Frings, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Operative Intensivmedizin und Akutschmerztherapie der Sankt Bernhard-Hospital Kamp-Lintfort GmbH erläuterte die Rolle der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken. „Unsere Arbeit besteht aus Diagnostik, Kommunikation und Kooperation“, so der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationsbeauftragten. Zwar habe NRW durch den Konsiliardienst der DSO eine flächendeckende Hilfestellung, dennoch: „Irgendwann kommt die Spende, und dann muss man vorbereitet sein.“ Für den Chefarzt ist die Angehörigenbetreuung einer der wichtigsten Aspekte des Organspendeprozesses: „Ganz im franziskanischen Sinne sollten auf den Intensivstationen nicht nur die Türen, sondern auch die Herzen offen stehen.“
Der Organspendeprozess
Daniel Schrader, DSO-Koordinator in Essen erläuterte die Unterstützungsleistungen der DSO im Organspendeprozess. „Potenzieller Organspender ist nahezu jeder Patient unter kontrollierter Beatmung mit akuter primärer oder sekundärer Hirnschädigung und unbeeinflussbar forschreitendem Verlust der Hirnstammfunktionen“, so Schrader.
Die Meldung nach festgestelltem irreversiblem Hirnfunktionsausfall ist verpflichtend, eine Kontaktaufnahme zur DSO ist laut Schrader jedoch deutlich früher möglich und sinnvoll. Auf Wunsch der Klinik können Gespräche auch vor Ort stattfinden. Dabei werden die medizinischen und juristischen Voraussetzungen geklärt und das Personal der Intensivstation beim Angehörigengespräch unterstützt.
Die DSO arbeitet mit standardisierten Checklisten und überprüft vor Ort die Richtigkeit aller Formulare und Dokumente.
Ablauf, Inhalt, Ergebnis, sowie beteiligte Personen sind nach § 4 des Transplantationsgesetzes (TPG)vom gesprächsführenden Arzt aufzuzeichnen. Dazu gehören:
- Datum, Uhrzeit und Dauer des Gesprächs
- entscheidungsbefugte Person
- Grundlage der Entscheidung
- Art und Umfang der Zustimmung (Organe/Gewebe)
- Dokumentation der rechtlich wirksamen Zustimmung zur Organspende
Die DSO berät 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag unter 0800 3311330.
Neue IT-Lösungen
Dr. Andreas Sander, Medizinischer Geschäftsführer des Evangelischen Klinikums Niederrhein in Duisburg, stellte einen IT-gestützten Reminder für Kliniken vor. Das Computersystem „TransplantAct“, das seit August 2018 in Gebrauch ist, erkennt potenzielle Organspender schon frühzeitig während des stationären Aufenthaltes. Die Transplantationsbeauftragten werden per E-Mail informiert. Das Programm hat die Klinik selber entwickelt, um das „Durchrutschen“ von Organspenden zu vermeiden. Das System ermittelt relevante Fälle aus dem Krankenhausinformationssystem (KIS) mit Hilfe eines sogenannten SQL-Reports. Mindestens ein Kriterium aus dem Transplantcheck-Diagnose-Katalog muss vorliegen. Zusätzlich müssen Kontraindikationen ausgeschlossen, der Patient aktuell auf einer Intensivstation behandelt und beatmet werden.
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail: mgf(at)evkln.de