Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik: 34-jährige Patientin mit eigenartigem Zufallsbefund im Bereich der Carotis
Folge 76 der Reihe Zertifizierte Kasuistik
von Robert Kreuzpointner und Malte Ludwig
Fallauflösung
In der vorliegenden Kasuistik handelt es sich um eine Patientin mit der Diagnose von Carotisstenosen auf dem Boden einer fibromuskulären Dysplasie (FMD) der Arteria carotis interna links (Abbildungen 1, 2, 3).
Definition
Bei der FMD handelt es sich um eine nichtentzündliche und nicht-atherosklerotisch bedingte Erkrankung, die häufig an den Nierenarterien und der Arteria carotis interna auftritt. Es können aber auch andere Abschnitte der Körperarterien betroffen sein. So finden sich bei 2/3 der Patienten entsprechende Veränderungen in unterschiedlichen Gefäßregionen. Ein pathologischer Befund im Sinne einer FMD an der Arteria carotis interna sollte daher immer Anlass geben, auch die kontralaterale Karotisregion, die Arteria vertebralis und die intrakraniellen Gefäße sowie die Arteria renalis zu untersuchen.
Ätiologie
Die Ätiologie dieser Erkrankung ist unklar. Die FMD betrifft häufig Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Sie führt zu arteriellen Stenosen, Verschlüssen, Aneurysmen und Dissektionen.
Morphologie
Der typische histologische Befund ist die Fibroplasie der Tunica media. Es handelt sich dabei um eine Proliferation der glatten Muskelzellen und des Bindegewebes mit Stenose- und lokaler Aneurysmabildung. Daraus ergibt sich das typische duplexsonographische Bild einer perlschnurartigen Veränderung der befallenen Arterie (= "multifokaler Typ", Abbildungen 1, 2, 3). Weitaus seltener ist eine Fibroplasie der Tunica intima, diedurch eine konzentrische oder exzentrische Ablagerung von Kollagen gekennzeichnet ist (= "fokaler Typ").
Die morphologischen Veränderungen einer FMD der Nierenarterie betreffen im Gegensatz zur arteriosklerotischen Nierenarterienstenose den mittleren Abschnitt dieses Gefäßes und nicht das Ostium.
Symptomatik
Die klinische Symptomatik variiert stark und ist abhängig von der Lokalisation der FMD und den Gefäßveränderungen. Stenosen, Dissektionen und Verschlüsse manifestieren sich häufig als Organinfarzierung, zum Beispiel Niereninfarkt, Schlaganfall. Bei der Ruptur von Aneurysmen kann die lokale Schmerzsymptomatik im Vordergrund stehen.
Häufige Symptome, die zu einer duplexsonographischen Abklärung führen, sind unklare Kopf- und Nackenschmerzen, Flanken- und abdominelle Schmerzen sowie eine unklare arterielle Hypertonie im jungen Erwachsenenalter.
Diagnostik
Mittel der ersten Wahl zum Nachweis oder Ausschluss einer FMD im Bereich der Hals- oder Nierenarterien ist die farbkodierte Duplexsonographie. Die Klassifizierung von Carotisstenosen richtet sich nach den aktuell gültigen DEGUM Empfehlungen (awmf.org – AMWF online: S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose. Registernummer 004-028), siehe unten Abschnitt Farbduplexsonographische Graduierung der Carotisstenose.
Besteht bei einer Patientin oder einem Patienten eine FMD, wird empfohlen, einmalig eine weitere Bildgebung, beispielsweise CT- oder MR-Angiographie durchführen zu lassen, um arterielle Dissektionen oder Aneurysmen in weiteren Körperregionen (Kopf, Thorax, Abdomen, Becken) auszuschließen.
Farbduplexsonographische Graduierung der Carotisstenose
Die allgemeinen Empfehlungen und Richtlinien zur duplexsonographischen Graduierung von Carotisstenosen bestehen nach DEGUM-Leitlinien aus einer Kombination aus Haupt- und Zusatzkriterien. Die entsprechende Tabelle 1 dieser Leitlinien ist über den Link https://www.neuro-ultraschall.de/pdf/4-2-P1.pdf (Ch. Arning) abrufbar.
Für die korrekt durchgeführte duplexsonographische Graduierung sind zunächst die Hauptkriterien ausschlaggebend. Zu diesen zählen:
- Darstellbare Einengung des Gefäßlumens im B-Bild
- Darstellbare Einengung des Gefäßlumens im Farbdoppler-Bild
- Maximale systolische Flussgeschwindigkeit im Bereich der Stenose
- Maximale systolische Flussgeschwindigkeit distal der Stenose
- Nachweis eines beginnenden Kollateralkreislaufs über die Periorbitalarterien und/oder die Arteria cerebri anterior
Unter Berücksichtigung dieser Hauptkriterien ist die Graduierung von Carotisstenosen (10 % bis 90 %) oder auch Verschlüssen aber nicht immer sicher möglich. Zum Beispiel kann bei einer 90 prozentigen Stenose im Strömungsjet die systolische Spitzengeschwindigkeit stark variieren (zwischen 100 und 500 cm/sek.).
Auch von verkalkten Stenosen ausgehende Schallschattenbildungen erschweren die Auswertung der Hauptkriterien. Daher sind zur sicheren duplexsonographischen Carotisstenosegraduierung zusätzlich die Zusatzkriterien zu berücksichtigen:
- Diastolische Strömungsverlangsamung prästenotisch in der Arteria carotis communis. Dies ist besonders eindrücklich, wenn der Fluss in der ACC mit der kontralateralen Seite verglichen wird.
- Poststenotische Strömungsstörungen
- Maximale enddiastolische Flussgeschwindigkeit im Stenosemaximum
- Konfetti-Zeichen
- Stenose-Index: Arteria carotis interna / Arteria carotis communis
Merke: Nur mit der Berücksichtigung der Haupt- und Zusatzkriterien gelingt duplexsonographisch eine zuverlässige Graduierung von Karotisstenosen.
Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien betrug bei der Patientin in der vorliegenden Kasuistik der Grad der Stenose im proximalen Anteil der FMD der Carotis interna links rund 75 Prozent nach NASCET (Abbildungen 1, 2, 3). In der Dopplerfrequenzanalyse fand sich ein erniedrigter enddiastolischer Fluss in der Arteria carotis communis links mit 15 cm/sek. gegenüber rechts (30 cm/sek.). Der enddiastolische Fluss in der Arteria carotis externa links war mit 20 cm/sek. gegenüber rechts (5 cm/sek.) kompensatorisch erhöht. V max war in der Arteria carotis interna links im Strömungsjet der proximalen Stenose auf 400 cm/sek. erhöht.
Differentialdiagnose
Wichtigste Differenzialdiagnosen sind die arterielle Gefäßpathologie aufgrund Atherosklerose oder eine Vasculitis.
Therapie
Die Behandlung der FMD richtet sich nach der klinischen Symptomatik, den objektivierbaren Einschränkungen (z. B. erhöhte Nierenretentionswerte bei Stenose der Arteria renalis) und dem arterielle Stenosegrad.
Die konservative Behandlung der FMD besteht in der Einstellung bestehender kardiovaskulärer Risikofaktoren. Abhängig vom Ausmaß der Stenose und/oder begleitender Symptome wird bei der FMD eine Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS 100 mg 1x täglich oder Clopidogrel 75 mg 1x täglich eingesetzt. Bei der Patientin in der vorliegenden Kasuistik mit einer rund 75 prozentigen asymptomatischen Carotisstenose bei FMD war der Einsatz von ASS 100 mg 1x täglich zur Schlaganfallprophylaxe gerechtfertigt.
Asymptomatische Carotisstenosen sollten erst ab einem Stenosegrad von mehr als 90 Prozent, symptomatische Carotisstenosen ab einem Stenosegrad von 75 Proeztn interventionell angegangen werden.
Bei einer FMD der Nierenarterie und nicht beherrschbarer arterieller Hypertonie, kurzer Hypertonieanamnese, progredienter Nierenfunktionsverschlechterung oder funktioneller Einzelniere ist ein Kathetereingriff mit alleiniger Angioplastie gewöhnlich ohne Stentimplantation der Goldstandard. Die FMD betrifft hier typischerweise den mittleren Abschnitt der Nierenarterie. Eine begleitende Dissektion kann aber eine Stenteinlage erforderlich machen ("bail-out stenting").
Verlaufskontrolle
Bei diagnostizierter FMD und nach Feststellung der betroffenen Gefäßregionen mittels einer weiteren Bildgebung wird eine Verlaufskontrolle mittels Duplexsonographie alle 6 bis 12 Monate empfohlen. Bei Erstdiagnose ist es sinnvoll, eine Verlaufskontrolle bereits nach 6 Monaten durchzuführen. Bei stabilem Befund und fehlender klinischer Symptomatik ist die jährliche Nachkontrolle ausreichend. In der Regel erfolgt die Verlaufskontrolle mittels Duplexsonographie, bei nicht einsehbaren Aneurysmen zum Beispiel im abdominellen Bereich, wird eine (zusätzliche) MR-Angiographie empfohlen.
Literatur
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