Weiterführende Informationen und Differentialdiagnostik zur Zertifizierten Kasuistik "Schluckbeschwerden und tastbarer Knoten im linken Schilddrüsenlappen "
von Christian Graeser und Hans Udo Zieren
Inhalt
Erläuterungen zur Kasuistik
Seit Jahren wird ein Zusammenhang zwischen der Autoimmunthyreoiditis (Typ Hashimoto) und dem vermehrten Auftreten von Schilddrüsenkrebs kontrovers diskutiert. Allgemein wird eine chronische Entzündung in der Literatur als Ursache für eine neoplastische Transformation gesehen [1,3,4,5,10,12,13]. Am Beispiel einer operierten Patientin haben wir uns mit den Krankheitsbildern näher befasst.
Die Hashimoto Thyreoiditis ist eine chronisch lymphozytäre Autoimmunthyreoiditis mit steigender Inzidenz. Sie ist die häufigste Thyreoiditisform und die häufigste Ursache für eine Hypothyreose. Die Autoimmunthyreoiditis betrifft bevorzugt Frauen im mittleren Lebensalter. In der Diagnostik ist in 95 Prozent der Fälle ein erhöhter anti-TPO Ak nachweisbar. Der TRAK Titer kann ebenfalls erhöht sein. Charakteristisch in der feingeweblichen Untersuchung ist die lymphozytäre Thyreoiditis mit Lymphfollikeln. Die Therapie besteht bei Auftreten einer Hypothyreose (TSH-Wert erhöht) in der LT4 Substitution.
Bei etwa 20 Prozent der Einwohner Deutschlands kann ein Knoten in der Schilddrüse festgestellt werden. Die Karzinomprävalenz aller Schilddrüsenknoten liegt bei 0,1 Prozent [7,8]. Schilddrüsenmalignome sind mit einer Häufigkeit von einem Prozent der Malignomerkrankungen seltene Tumoren. Die Einteilung erfolgt in
- differenzierte Karzinome
- papillares Karzinom (50-60%) lymphogene Metastasierung (m:w = 1:2,5)
- follikuläres Karzinom (20-30%) hämatogene Metastasierung (m:w = ca. 1,5:1)
- undifferenzierte Karzinome
- z.B. das anaplastische Karzinom (5-10%)
- medulläres (C-Zellen) Karzinom (ca. 5%)
Abbildungen
Abbildung 1: Schnittbild des linken Schilddrüsenlappens: unregelmäßige Schilddrüsenkapsel, zum Teil narbig verbreitert, mit Septen in den Herd hinein; diagnostisch entscheidend ist der Kapselbereich, hier zeigt sich herdförmig eine sehr unscharfe Begrenzung der mikrofollikulären Strukturen und ein Kapsel infiltrierendes Wachstum. Gefäßeinbrüche zeigen sich nicht. In der Herdnachbarschaft Schilddrüsengewebe mit chronischer auto-immuner lymphozytärer Thyreoiditis (Typ Hashimoto), mit Lymphfollikeln
Abbildung 2: Schnittbild des rechten Schilddrüsenlappens: gekapseltes papilläres Mikrokarzinom, mit angedeuteten Milchglaskernen (siehe Pfeile)
Morphologie
Morphologie differenzierter Schilddrüsenkarzinome:
- papilläres Karzinom: diese Tumoren sind oft klein. Anhand der Morphologie, zum Beispiel abgekapselt oder grob invasiv, kann man die Dignität ablesen. Histologisch sind papilläre Drüsenformationen und blasse Tumorzellen (Milchglaskerne) obligat.
- follikuläres Karzinom: man differenziert zwischen einem abgekapselten follikulären Karzinom, das sich nur durch eine Gefäßinvasion oder eine Kapselinfiltration von dem follikulären Adenom unterscheidet (unser Fall) und einem grob invasiven Karzinom, das die Schilddrüse vollständig durchsetzt.
In unserem Fall führte ein szintigraphisch „kalter Knoten“ als charakteristisches Malignitätskriterium zur Operation und Diagnose. Mit der Feinnadelbiospie der Schilddrüse gelingt die Differenzierung zwischen einem follikulärem Karzinom und Adenom oft nicht, weil bei der Punktion oft Zellverbände der Zielstruktur zerstört werden und sich die Zellen sehr ähneln. In der Regel stellt der suspekte Knoten im Schilddrüsenszintigramm die Indikation zur Operation dar:
Malignom suspekte Knoten werden heutzutage durch die komplette Entfernung des betroffenen Schilddrüsenlappens entfernt. Das Vorgehen bezüglich des anderen Lappens richtet sich nach dem intraoperativen Befund. In unserem Fall wurde zunächst intraoperativ trotz Schnellschnittdiagnostik des vorbeschriebenen Knotens nicht die richtige Diagnose gestellt. Die Voraussetzung im Falle eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms für die definitive Diagnose ist jedoch die standardisierte Aufarbeitung des Operationspräparates in der Paraffinhistologie mit mehrfachen Schnitten [9]. Diese führte letztlich postoperativ zur Diagnose eines minimal invasiven follikulären Schilddrüsenkarzinoms.
Therapie
Während in diesen Fällen bis vor kurzer Zeit nach den alten Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie eine Komplementierungsoperation mit zentraler und gegebenenfalls lateraler zervikaler Lymphadenektomie obligat war, wird aktuell bei minimal invasiven follikulären Karzinomen eine limitierte chirurgische Radikalität diskutiert [7,9,11].
Die aktuellen Empfehlungen zum Resektionsausmaß und zur Nachbehandlung eines in toto resezierten follikulären Karzinoms vom minimal invasiven Typ werden von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie derzeit überarbeitet und sind noch nicht abschließend definiert [6,7,9], sodass der Chirurg abhängig vom Einzelfall entscheiden muss. Im Anschluss an die Operation wird bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen eine Radioiodtherapie sowie ein adäquates Staging empfohlen, mit
- Röntgen Thorax, gegebenenfalls Thorax CT
- gegebenenfalls Schädel CT
- Abdomensonographie, gegebenenfalls Abdomen CT
- gegebenenfalls Ganzkörperskelettszintigraphie
Vorteile einer Komplementierungsoperation bestehen des Weiteren in der größtmöglichen Sicherheit und einer vereinfachten Nachsorge mit
- der Bestimmung des Tumormarkers Thyreoglobulin (Tg): dieser wird sowohl von der normalen Schilddrüse als auch von differenzierten Zellen eines Schilddrüsenkarzinoms gebildet. Daher hat Tg für die Diagnose eines Schilddrüsenkarzinoms keine Bedeutung. Nach radikaler Thyreoidektomie ist jedoch die Tg-Produktion ausgeschaltet. Ein Wiederanstieg des Tg-Spiegels nach Radikaloperation eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms spricht für ein Tumorrezidiv bzw. Metastasen.
Voraussetzung ist, dass eine entsprechende chirurgische Expertise besteht und das Risiko minimiert wird. Durch die Komplementierungsoperation wurde in unserem Fall ein multifokales papilläres Schilddrüsenkarzinom in toto entfernt. Hierbei handelt es sich um einen seltenen Einzelfall, aus dem natürlich keine allgemeinen verbindlichen Schlüsse abgeleitet werden können. Der Fall macht allerdings deutlich, dass Leitlinien und Empfehlungen letztlich nur einen Handlungskorridor vorgeben und Ausnahmen im Einzelfall durchaus möglich und sinnvoll sind. Im Falle der Entscheidung für eine Komplementierungsoperation sollten in Grenzfällen auch die persönlichen Wünsche und die Lebenssituation der Patientin berücksichtigt werden.
Schlussfolgerung
Ein Zusammenhang zwischen dem synchronen Auftreten von Schilddrüsenknoten, einer Hashimoto Thyreoiditis und einem damit verbundenen erhöhten Malignitätsriskio konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Dennoch ist bei Patienten mit einer Hashimoto Thyreoiditis und einem suspekten Befund die Indikation zur pathologischen Klärung und chirurgischen Sanierung eher großzügig zu stellen. Über eine zweiseitige Komplementierungsthyreoidektomie sollte bei noch nicht geklärter Indikation individuell entschieden werden.
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