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Gemeinsame Pressemitteilung

Vermeidbare Todesfälle? Aussagen der Regierungskommission zu Schlaganfallbehandlungen gehen an der Realität vorbei

Krankenbett auf einem Klinikflur
© PeopleImages/istockphoto.com

Düsseldorf/Münster, 27.06.2023. Als fachlich nicht haltbar und irreführend weisen die Präsidenten der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe (ÄkNo/ÄKWL) sowie der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) die Behauptung der Regierungskommission des Bundes zur Schlaganfallbehandlung zurück. In ihrer Fünften Stellungnahme hat die vom Bundesgesundheitsminister eingesetzte Kommission erklärt, jährlich seien bundesweit rund 5.000 Todesfälle vermeidbar, wenn Patientinnen und Patienten mit einem Schlaganfall sofort in einer Klinik mit einer Stroke Unit behandelt würden. Die Regierungskommission lasse bei ihrer Analyse von Abrechnungsdaten der Krankenkassen nicht nur die Expertise der neurologischen Fachärztinnen und Fachärzte in den Krankenhäusern außen vor, ihr fehle offensichtlich auch die detaillierte Kenntnis über die qualitätsgesicherten Strukturen der Schlaganfallbehandlung in den Bundesländern, kritisieren die drei Präsidenten Rudolf Henke (ÄkNo), Dr. Johannes Albert Gehle (ÄKWL) und Ingo Morell (KGNW). "Die längst etablierten Abläufe für Patientinnen und Patienten mit einem klar diagnostizierbaren Schlaganfall sorgen dafür, dass sie unmittelbar in ein Krankenhaus mit einer Stroke Unit gebracht werden."

Die von der Regierungskommission des Bundes gewählte Vorgehensweise lasse keine umfänglichen Rückschlüsse zu, sondern stoße vielmehr an elementare Grenzen. So seien im Wesentlichen Daten der Krankenkassen genutzt worden, die aus Abrechnungszwecken erhoben und nachfolgend anhand von historischen Erkenntnissen der Jahre 2007 - 2017 analysiert werden. Dass nur GKV-Spitzenverband, AOK-Bundesverband und das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO), nicht aber die medizinischen Expertinnen und Experten hinzugezogen wurden, stelle die Stellungnahme in ein fragwürdiges Licht. Denn es fehle eine sorgfältige Einzelfallanalyse zu den Beweggründen einer Schlaganfallversorgung außerhalb von Stroke Units, bemängeln ÄKNO, ÄKWL und KGNW.  Leider erreichen manche Patienten erst sehr spät – zu spät – die Notaufnahmen. In diesen Fällen leiteten rehabilitative Maßnahmen das therapeutische Handeln. Nur wenn solche Faktoren mitberücksichtigt würden, könne eine fundierte Aussage um die Schlaganfallbehandlung in Deutschland getroffen werden.

"Keine Ängste schüren"

"Uns stellt sich schon die Frage, mit welcher Absicht solche grob vereinfachenden Aussagen in die Welt gesetzt werden, die unter den Patientinnen und Patienten nur Ängste schüren. Da werden Ärztinnen und Ärzte in den Rettungsdiensten und in den Krankenhäusern in ein Licht gestellt, als gingen sie leichtfertig mit den ihnen anvertrauten Menschen um. Das Gegenteil ist der Fall", betont KGNW-Präsident Ingo Morell. "Offenbar ist die plakative Aussage für die schnelle Schlagzeile wichtiger, als eine fachlich angemessene wissenschaftliche Auswertung. Wenn so die Basis für eine transparente Qualitätsbeschreibung der Krankenhäuser aussieht, die Bundesgesundheitsminister Professor Lauterbach angekündigt hat, erfüllt sie selbst weder Mindestansprüche an die Qualität noch an die Transparenz solcher Aussagen."

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein ergänzt: "Fakt ist, alle Akteure in Bund und Land haben das gleiche Ziel. Wir möchten das Patientinnen und Patienten zeitnah dort behandelt werden, wo ihnen bestmöglich und leitliniengerecht geholfen werden kann. Für die Zielerreichung mag es unterschiedliche Wege geben, die jetzt in den Bund-Länder-Arbeitsgruppen verhandelt werden. Wenn wir es aber mit der Krankenhausreform und der Kooperation ernst meinen, dann sollte man in der Kommunikation nach außen darauf verzichten, den einen oder anderen Weg als für die Bevölkerung potenziell gefährlich zu diskreditieren. Diese Art der Kommunikation verbaut die Chance, eine Krankenhausreform gemeinsam zu stemmen und verunsichert zudem unnötig Patientinnen und Patienten."

Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Johannes Albert Gehle, betont: "Es werden zertifizierte Stroke-Units mit 'normalen' Abteilungen verglichen. Eine relevante Gruppe wird dabei aus der Analyse ausgeschlossen: die Verlegung von Patienten aus 'normalen' Abteilungen in Stroke-Units – also gerade die Patienten, bei denen die Kolleginnen und Kollegen an Häusern ohne Stroke-Unit einen Benefit für zum Beispiel eine Lysebehandlung sehen und keine Kontraindikationen bestehen. Die Gruppe der Schlaganfall-Patienten an 'normalen' Abteilungen wird damit um die 'guten' Risiken gemindert. Dann werden Äpfel mit Birnen verglichen."

Klare Standards für Schlaganfallbehandlung

Die Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst der Bundesländer Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen haben gemeinsam sogenannte "Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfade im Rettungsdienst" formuliert und passen diese regelmäßig an den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Leitlinien an. Dort ist eindeutig hinterlegt, dass bei jedem Verdacht auf einen Schlaganfall der Transport in eine Stroke Unit zu erfolgen hat. Insofern wird jeder rettungsdienstlich identifizierte oder vermutete Schlaganfall leitliniengerecht in eine Stroke Unit gebracht. Überdies sieht schon die seit 2013 geltende Krankenhausplanung in NRW vor, dass Versorgungsverbünde zahlreiche Strukturvorgaben zur Schlaganfallbehandlung erfüllen müssen. Dieses Konzept wird in der neuen, auf Leistungsgruppen basierenden NRW-Krankenhausplanung weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang wird festgelegt, dass die Schlaganfallversorgung grundsätzlich flächendeckend über neurologisch geführte Stroke Units, die umfängliche qualitative Mindestvoraussetzungen nachweisen müssen, sichergestellt wird. Die Einbeziehung internistisch geführter Stroke Units oder von Tele-Stroke-Units kommt nur noch in Einzelfällen aufgrund besonderer Konstellationen in Betracht.

Die auf den IST-Daten 2019 basierende wissenschaftliche Prognose des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) geht für Nordrhein-Westfalen von einem Versorgungsbedarf von 57.405 Behandlungsfällen mit einem Schlaganfall aus. In den derzeit laufenden regionalen Planungsverfahren zeichnet sich ab, dass dieser Versorgungsbedarf durch die 69 Stroke Units in NRW ohne jeglichen Zweifel sichergestellt werden kann und regional sogar teilweise darüberhinausgehende Kapazitäten bestehen. Von den in NRW derzeit im Feststellungsbescheid ausgewiesenen Stroke Units sind 38 als regionale Stroke Units und 29 als überregionale Stroke Units, zwei davon als überregionale Comprehensive Stroke Unit, gelistet (Quelle: Deutsche Schlaganfallgesellschaft, Stand 15.06.2023).

Eckpunkte der Regierungskommission sind in NRW längst umgesetzt

Für die Präsidenten von ÄKNO, ÄKWL und KGNW steht damit fest, dass die Kernforderungen der Fünften Stellungnahme der Regierungskommission in NRW bereits umgesetzt sind. Die bisher bekannten Überlegungen des Bundesministeriums für Gesundheit führten darum zu keiner weiteren Verbesserung der Schlaganfallversorgung. Die drei Verbandsvertreter äußerten sich besorgt, dass die plakativen Aussagen der Regierungskommission die Gespräche zwischen Bund und Ländern über gemeinsame Vorgaben für eine Krankenhausreform unnötig belasten.

Ansprechpartner

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  • Ärztekammer Westfalen-Lippe: Kommunikation, Gartenstr. 210-214, 48147 Münster, Volker Heiliger (Leiter), Tel.: 0251/929-2110, E-Mail: Volker.Heiliger(at)aekwl.de  
  • Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen: Referat Politik, PR und Presse, Humboldtstr. 31; 40237 Düsseldorf, Hilmar Riemenschneider (Referatsleiter), Tel.: 0211/47819-70, E-Mail: hriemenschneider(at)kgnw.de

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0211 / 4302 2010

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